Freitag, 11. Juni 2010

Sven Giegold zu den Sparbeschlüssen: "Die Schwachen bezahlen"

Jetzt präsentiert die Koalition das Sparpaket und bis zur nächsten Wahl setzt sie dennoch die FDP-Steuersenkung um, befürchtet der Grüne Sven Giegold.

Guido Westerwelle (FDP) hat sein Steuersenkungsprogramm noch lange nicht aufgegeben.
Sven Giegold (40) ist Mitbegründer von Attac Deutschland und war im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis tätig. 2008 trat er den Grünen bei. Seit 2009 ist er Grünen-Abgeordneter im Europäischen Parlament.

taz: Herr Giegold, was bringt Sie beim Sparpaket mehr auf die Palme - die Luftbuchungen oder die Belastung der sozial Schwachen?
Sven Giegold: Mich ärgert natürlich am meisten die neoliberale Handschrift des Textes und die soziale Schieflage. Ich vermute allerdings, dass die ganze Sache noch bösartiger ist. Denn die Steuersenkungspläne sind ja nicht vom Tisch. Herr Westerwelle hat es am Montag noch einmal betont. Es sind ja eine Menge Themen ausgespart worden. Deswegen glaube ich, dass jetzt die Schwachen das bezahlen sollen, was nachher durch eine Steuerreform wieder verjubelt werden soll.

Können Sie das näher erklären?
Der letzten Steuerschätzung lag ein Wirtschaftswachstum für dieses Jahr von 1,8 Prozent zugrunde. Der Außenhandel boomt aber, auch dank unserer Niedriglohn- und Steuerzurückhaltungspolitik. Deswegen kann es sehr gut sein, dass wir bei einem deutlich stärkeren Wachstum enden. Dann sähe die Einnahmesituation viel besser aus und man könnte 2011, 2012 mit Steuersenkungsplänen der Bundesregierung rechnen, mit denen diese wahrscheinlich die nächste Bundestagswahl bestreiten will.

Gibt es am Sparpaket auch etwas Positives?
Natürlich enthält es Forderungen, die wir schon lange stellen, wie etwa eine Flugticketabgabe oder die zumindest teilweise Beschränkung der Übersubventionierung der energieintensiven Industrie. Das ändert aber nichts daran, dass diese Einsparungen im Kern von den sozial Schwachen bezahlt werden, um dann vermutlich in der nächsten Periode den sogenannten Mittelstand kräftig zu entlasten.

Wie bewerten Sie das Sparpaket europapolitisch?
Das Paket ist antieuropäisch. Das nimmt in der Debatte viel zu wenig Raum ein. Tatsache ist: Die südeuropäischen Länder müssen ihre Haushalte konsolidieren. Das geht aber nur, wenn die Leistungsbilanzüberschüsse der starken Länder, allen voran Deutschlands, mit den schwächeren zurückgeführt werden. Mit diesem Sparpaket wird das erschwert, denn die nachfragewirksamen Einkommen am unteren Ende werden weiter reduziert. Auch im Interesse eines stabilen Euros muss die Konsolidierung vor allem durch die höhere Besteuerung von Kapitaleinkommen und durch die Schließung von Steuerschlupflöchern erfolgen.

Die Opposition kündigt Widerstand an. Gibt es Protest auf der Straße oder ist das auch eine Luftnummer?
Ich hoffe, dass es zu Widerstand kommt und dass dazu die Gewerkschaften, die kritischen Teile der Kirchen, Sozialverbände und die Oppositionsparteien an einem Strang ziehen. Es zeigt sich, dass es möglich ist, die Union zu spalten. Man muss nur hören, wie Unionspolitiker derzeit höhere Spitzensteuersätze fordern. Da liegt großes Potenzial.

Also auf die Straße unter dem Motto "Steuererhöhungen für Gutverdienende"?
Das wäre nicht die alleinige Botschaft. Es geht auch um sinnvolle Sparmaßnahmen. Es gibt jede Menge Staatsausgaben, die weder gerecht noch effizient sind. Die kann man abbauen. Das gilt für Subventionen und diverse Steuervergünstigungen.

An was denken Sie im Detail?
Zum Beispiel an das Gesundheitssystem, an Privilegien für Apotheken, Pharmakonzerne, einen Teil der niedergelassenen Ärzte und mangelnde Qualitätssicherung. Da gibt es vieles, wo man sparen und zu einer besseren Gesundheitsversorgung beitragen könnte. Bei unökologischen Subventionen könnte man insgesamt 40 Milliarden Euro einsparen. Und Beamte sollten wie Angestellte im öffentlichen Dienst behandelt werden. Wir verschieben mit den Beamtenpensionen ein großes Problem in die Zukunft.

Wie steht es um die verringerten Mehrwertsteuersätze? Erhöhte Sätze für Dinge des täglichen Konsums würden Geringverdiener härter treffen.
Deswegen bin ich auch gegen pauschale Angleichungen. Aber warum soll das Züchten von Pferden mehrwertsteuerbegünstigt sein? Es ist aber aus meiner Sicht kein Zufall, dass diese Themen bei diesem Paket ausgespart wurden. Das kommt im Rahmen einer nachgeschobenen, größeren Steuersenkungsrunde, die die FDP ja immer noch verspricht. Zur Gegenfinanzierung wird man dann, befürchte ich, im Bereich der Konsumbesteuerung insgesamt so drauflegen, dass es auch wieder die Armen bezahlen müssen, um dann wie versprochen die Senkung der Einkommensteuer für die FDP-Klientel zu finanzieren.

INTERVIEW: EVA VÖLPEL

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