Montag, 28. Juni 2010

Afghanen verschieben Hilfsmilliarden ins Ausland

Korruption und Geldwäsche in Afghanistan haben wesentlich größere Ausmaße als bisher angenommen. US-Zeitungsberichten zufolge fließen täglich zehn Millionen Dollar ins Ausland - häufig in Kisten per Flugzeug. Ein Teil des Geldes stammt möglicherweise aus westlichen Hilfsprojekten.

 Flughafen Kabul: Laut US-Ermittlern werden Kisten voller Bargeld ausgeflogen

Flughafen Kabul: Laut US-Ermittlern werden Kisten voller Bargeld ausgeflogen

Kabul/Washington - Afghanistan gilt schon lange als eines der korruptesten Länder der Welt. Doch die Zahlen, die US-Zeitungen an diesem Montag präsentieren, sind überraschend. Dem "Wall Street Journal" zufolge wurden in den vergangenen Jahren mehr als drei Milliarden Dollar (2,4 Milliarden Euro) außer Landes gebracht.

Ein US-Ermittler sagte der Zeitung, ein Teil des Geldes stamme vermutlich aus Hilfs- und Wiederaufbauprojekten, die der Westen finanziert. "Es ist nicht so, dass das Geld hier auf den Bäumen wächst - bei einem Großteil handelt es sich wohl um unsere gestohlenen Steuer-Dollar. Und um Drogengeld natürlich", sagte er. Jedes Jahr wird aus Kabul mehr Geld ausgeflogen, als die afghanische Regierung im ganzen Land an Steuern und Zollabgaben einnimmt. Unter den Verdächtigen sind laut "Wall Street Journal" viele prominente Afghanen, unter anderem Mahmud Karzai, ein Bruder des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, und Vizepräsident Mohammed Fahim.

Das Geld wird den Erkenntnissen zufolge in bar aus dem Land gebracht - in Kisten, sagte ein ranghoher US-Beamter der Zeitung. "Sie haben Kisten im hinteren Stauraum von Flugzeugen. Sie haben Kerle, die im wahrsten Sinne des Wortes Kisten mit Bargeld an Bord der Flugzeuge bringen", sagte der Regierungsvertreter. Der afghanische Zoll schaut zu, denn die Ausfuhr ist legal, solange der Transfer ordentlich deklariert wird. Zielort ist häufig Dubai, wo wohlsituierte Afghanen Villen besitzen.

Der Transfer wird den Ermittlern zufolge von sogenannten Hawala-Unternehmen organisiert. Hawala kommt aus dem Arabischen und bezeichnet ein Überweisungsystem, das seinen Ursprung im frühmittelalterlichen Handelswesen des Nahen und Mittleren Ostens hatte. Meistens werden lediglich das afghanische Hawala-Unternehmen, das das Geld angenommen hat, und der ausländische Empfänger in den Papieren aufgeführt. Die Schwierigkeit für die Ermittler: Sie können häufig nicht einmal feststellen, wer der Absender des abtransportierten Geldes ist. Über die Hawalas werden laut "Wall Street Journal" 80 bis 90 Prozent der Geldtransfers ins Ausland abgewickelt.

"Washington Post": Beamte behindern Korruptionsermittler
Die ungezügelte Korruption und die mutmaßliche Verwicklung hoher Beamter in den Opiumhandel tragen dazu bei, dass die afghanische Bevölkerung ihr Vertrauen in die Regierung weiter verliert - was den radikalislamischen Taliban Zulauf verschafft. Verschärfend wirkt da noch, was die "Washington Post" an diesem Montag berichtet. Demnach sind nicht nur einflussreiche Leute in die kriminellen Machenschaften verwickelt, sondern sie haben auch noch hohe afghanische Regierungsbeamte auf ihrer Seite, die Korruptionsermittlungen verhindern.

Unter Berufung auf US-Regierungsvertreter schreibt die Zeitung, afghanische Strafverfolger und Ermittler ordneten routinemäßig an, namhafte Afghanen gegen Korruptionsermittlungen zu schützen - indem sie ihre Namen aus Untersuchungsakten streichen.

"Ab einer bestimmten Ebene sind die Menschen sehr gut geschützt", wird ein hochrangiger US-Beamter in der Zeitung zitiert. Unter Angehörigen der Eliten sei es üblich, sich gegenseitig zu decken und Ermittlungen zu unterbinden, wie im Falle eines ungenannten größeren Finanzunternehmens, das im Verdacht steht, für afghanische Funktionsträger Millionen Dollar nach Übersee geschafft zu haben.

CIA räumt Probleme beim Afghanistan-Einsatz ein
Für die US-Regierung ist es von entscheidender Bedeutung, die Korruption in Afghanistan in den Griff zu bekommen. Wenn die US-Bürger Karzais Regierung als hoffnungslos bestechlich einschätzen, könnte die Unterstützung für den Krieg schnell kippen.

Korruption und Drogenhandel erschweren den internationalen Einsatz in dem Land deutlich. Leon Panetta, Chef des US-Geheimdienstes CIA, gab Probleme zu. Man sehe zwar Fortschritte, sagte er am Sonntag dem US-Fernsehsender ABC. Die Entwicklung gehe aber "schwieriger und langsamer voran, als alle vorausgesehen haben". Als Ursache nannte Panetta das afghanische Stammesprinzip. Korruption, Drogenhandel und der Taliban-Aufstand seien in dieser Gesellschaftsform begründet. Die entscheidende Frage laute, ob die Afghanen Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen wollten.

Die Taliban seien derzeit besonders gewalttätig und begingen mehr Bombenanschläge gegen die internationalen Truppen, sagte Panetta. Der diesjährige Juni war der tödlichste Monat für sie in Afghanistan seit dem US-geführten Einmarsch Ende 2001. Fast hundert Soldaten wurden getötet.

Panetta hob allerdings auch Erfolge hervor. Das Terrornetzwerk al-Qaida, dessen Bekämpfung ein zentrales Ziel des US-Einsatzes in Afghanistan sei, sei derzeit so schwach wie wohl nie zuvor. In Afghanistan gebe es nur noch 50 bis 100 Qaida-Mitglieder, vielleicht auch weniger.

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