Donnerstag, 10. Juni 2010

Kritik an Reporter ohne Grenzen

Organisation behält bekannte Einseitigkeit bei Auflistung der "Feinde der Pressefreiheit" bei

Von Jan Maier
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) kürt wieder einmal die "Feinde der Pressefreiheit". Schon in der Vergangenheit sind Nichtregierungsorganisationen wie RoG oder die US-amerikanische Human Rights vor allem durch Attacken auf progressive Regierungen aufgefallen, während sie sich gegenüber massiven Menschenrechtsverletzungen von engen Verbündeten des Westens wie Kolumbien, Mexiko und der Türkei sehr zurückhaltend äußerten.

Ein erster Blick auf die aktuelle Karte der rot eingefärbten "Feinde der Pressefreiheit 2010" zeigt, dass immer noch primär diejenigen Staaten angeprangert werden, die als Konkurrenten des Geldgebers USA gelten und sich dem neoliberalen Dogma nicht vollständig unterworfen haben. Immerhin, so könnte man auf den ersten Blick denken, sind auch einige enge Verbündete oder Freunde der USA wie Spanien und Kolumbien aufgeführt, während Venezuela nicht mehr erwähnt wird. Ein Anzeichen für mehr Ausgewogenheit? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass das keineswegs der Fall ist.

Zunächst einmal irritiert, dass die Feinde der Pressefreiheit als "Predators" bezeichnet werden. Das bedeutet im Englischen primär "Raubtier" im biologischen Sinne, es wird aber in den letzten Jahren verstärkt auch auf andere – soziale – Zusammenhänge ausgeweitet. So ist in der englischsprachigen Presse sehr häufig von "predators" im Sinne von Kinderschändern und -belästigern die Rede. Es ist sicherlich kein Zufall, dass RSF diesen Begriff verwendet, in dem die Bedeutung "Kinderschänder" mitschwingt. Zugleich erfolgt damit Abwertung der Feinde des Westens, die stark an die Praxis des Kolonialismus erinnert. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die RSF nicht bestimmte Staaten anprangert, sondern in den meisten Fällen die jeweiligen Staatschefs höchstpersönlich. Aber natürlich wird kein westlicher Staatschef als Predator bezeichnet, sondern nur "gottlose Kommunisten", "asiatische Untermenschen", wie der Birmane Than Shwe oder der "Negerkönig" Mswati III von Swasiland. Da kann sich der westliche Überlegensdükel so richtig austoben. Um das Maß voll zu machen, wird in der rechten Spalte auch noch ständig ein Film gezeigt, in dem ein Achmedinedschad-Poster zerknüllt wird.

Diese Einseitigkeit zeigt sich auch bei der Listung von Spanien und Kolumbien. Es gebe sicherlich gute Gründe, Spanien als Feind der Pressefreiheit zu bezeichnen, sind doch in den letzten Jahren zahlreiche baskische Tageszeitungen geschlossen worden. In einem überraschenden Urteil hat selbst der spanische oberste Gerichtshof am 13. April 2010 die Schließung der Zeitung Euskaldunon Egunkaria (Baskische Tageszeitung) für rechtswidrig erklärt. Aber weit gefehlt: Nicht etwa ein "Diktator" Zapatero gilt als Feind der Pressefreiheit, sondern die ETA. Eine vor einer Zeitungsredaktion explodierte Bombe (ohne Personenschäden) wird als katastrophale Einschränkung der Pressefreiheit von ganz Spanien interpretiert.

In Kolumbien ist ebenfalls nicht etwa Präsident Alvaro Uribe, sondern die FARC als "Predator" aufgeführt. Ihr wird "Einflussnahme" auf die Presse und Entführung von Journalisten in ihrem Einflussgebiet vorgeworfen und sie darüber hinaus auch allgemein als Verbrecherorganisation bezeichnet, aber gleichzeitig die katastrophale sozioökonomische Situation der Mehrheit der Menschen in diesem Land verschwiegen. Tatsächlich haben sich kolumbianische Sicherheitskräfte häufig als Journalisten ausgegeben und versucht, auf diese Weise die FARC zu infiltrieren, was ihr hohe Verluste einbrachte, nicht zuletzt bei der Befreiungsaktion der Politikerin Ingrid Betancourt. Die pauschale Behauptung, dass aus dem FARC-Territorium nicht mehr berichtet werden kann, stimmt auch nicht, so stammt z.B. der Dokumentar-Film "Guerilla Girl" aus dem Jahr 2005, wo ein Filmteam eine Guerillera mehrere Monate im Dschungel begleiten durfte. Aber angesichts der Strategie des kolumbianischen Staates ist die FARC verständlicherweise sehr vorsichtig geworden und sieht in ihr Territorium eindringende Journalisten erst einmal als feindliche Kräfte an.

Um "Ausgewogenheit" herzustellen, wird nicht nur die FARC, sondern auch eine von zahlreichen Einheiten der Todesschwadrone, die tatsächlich zahlreiche kritische Journalisten ermordeten, als Predator bezeichnet. Hierdurch wird die vorläufige Gefangennahme von Journalisten als gleich schlimm beschrieben wie ihre Ermordung. Der Staat habe natürlich mit alle dem nichts zu tun, sondern müsse sich des rechten und linken Terrors gleichermaßen erwehren. Damit haben die Reporter ohne Grenzen den offiziellen Diskurs der kolumbianischen Oligarchie eins zu eins übernommen.

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