Montag, 21. Juni 2010

WM-Jubel am Kap schwächelt

Johannesburg (dpa) – Eineinhalb Wochen nach dem farbenprächtigen WM-Auftakt in Südafrika ist den Vuvuzela-Bläsern ein wenig die Puste ausgegangen.

Die Welt schaut seit dem Anpfiff des Sport-Spektakels auf Afrika, staunt über Schnee unter Palmen, spektakuläre Stadien, exotische Kulissen mit sympathischen Menschen und den neuen südafrikanischen Exportschlager Vuvuzela. Doch im Gastland selbst hat die Begeisterung über die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden einen Dämpfer bekommen, seit das heimische Team vor dem WM-Aus steht. Die Wirkung des 3:0-Siegs von Uruguay über Südafrika verglichen heimische Kolumnisten mit der «Hindenburg«- Zeppelinkatastrophe: «Danach war nur noch Stille».

Straßenhändler wagen kaum noch, die heimische Flagge an den Ampeln zum Verkauf anzupreisen – der zuvor allgegenwärtige Fan-Artikel verkommt zum Ladenhüter. «Autofahrer werden ausfällig und aggressiv, wenn ich meine Nationalflagge zum Verkauf anpreise«, sagt einer von ihnen. Die von der Politik angeheizten Erwartungen der Bevölkerung sind bitterer Enttäuschung gewichen – selbst die anderen afrikanischen Teams haben mit Ausnahme von Ghana bisher enttäuscht.

Die WM-Organisatoren spüren allerdings keinen Stimmungsabfall im Land. «Die Menschen stehen hinter der WM. Es herrscht überall große Freude», sagte OK-Sprecher Rich Mkhondo in Johannesburg. Auch die FIFA sei «sehr zufrieden mit dem Turnierverlauf», unterstrich Mediendirektor Nicolas Maingot. Eine neue Kampagne zur Steigerung der WM-Begeisterung sei nicht geplant, so Mkhondo. Vor der WM hatte man den wöchentlichen «Fußball-Freitag» ausgerufen, um die Südafrikaner auf das Turnier einzustimmen. «Die Stimmung wird bis zum 12. Juli gut sein», versprach Mkhondo.

Karikaturisten entdecken aber angesichts des nationalen Blues einen neuen Verwendungszweck der umstrittenen Vuvuzela: Ein «Bafana Bafana»-Fan mit Makarapa-Kopfbedeckung begeht mit ihr Harakiri. «Der ultimative Verwendungszweck der Vuvuzela«, meinte dazu der «Saturday Star». Kein Wunder, dass selbst der Übervater der Nation, Ex-Präsident Nelson Mandela, vor diesem Hintergrund über seine Stiftung dazu aufruft, nicht nachzulassen beim WM-Enthusiasmus.

International überlagerten eher der Lärm der WM-Tröten, die Proteste der Stadion-Ordner und gelegentliche Transportprobleme das Geschehen auf dem Rasen. Blonde PR-Hasardeure in der niederländischen Fan-Kurve in orange-farbenen Minis riefen die FIFA-Markenpolizei auf den Plan – doch die befürchteten großen Sicherheitsprobleme blieben außerhalb der Stadien trotz gelegentlicher Zwischenfälle aus. Die WM-Schnellgerichte funktionieren und verhängen exemplarische Strafen. Ein Handy-Dieb wurde so in Rekordzeit zu beeindruckenden fünf Jahre Haft verurteilt – Südafrikaner sind sprachlos.

Der Kap-Staat präsentierte sich einem staunenden Weltpublikum bisher als fähiger und sympathischer WM-Gastgeber. Das berühmt- berüchtigte fatalistische Kürzel ausländischer Entwicklungshelfer – «TIA» – (für «This is Afrika!» – etwa: So ist Afrika eben!) – macht Platz für den WM-Slogan «Ke Nako». Afrikas Zeit ist gekommen… Nach anfänglicher Scheu haben sich viele der angereisten Berichterstatter ans Entdecken gemacht und sogar in Townships mit verdrehten Augen Hühnerfüße verkostet. Selbst die korrekte Schreibweise der Stadt Johannesburg (mit «e» statt mit «i») hat sich nun eingebürgert.

«Wir leben noch, und gar nicht so schlecht», lautet die Kernbotschaft an die Heimat. Findige Händler haben sie längst aufgegriffen und verkaufen erfolgreich T-Shirts mit dem Aufdruck «I survived Jo’burg» (Ich habe Jo’burg überlebt). Nach anfänglicher Skepsis über die WM-Touristen zählten die Behörden in den ersten beiden Juni-Wochen 456 000 Besucher – wobei offen bleibt, ob alles WM-Touristen waren. Nachdem viele internationale Stars angesichts der negativen Schlagzeilen im Vorfeld der WM fernblieben, berichten die Organisatoren von verstärktem Interesse an Last-Minute-Reisen. Kommende Woche wird daher eine zweite Welle von Besuchern erwartet.

Denn die Stimmung unter den angereisten WM-Fans ist trotz nächtlicher Minusgrade gut. Die Masse der Besucher berichtet von positiven Erfahrungen. Die Restaurants sind voll, und in den Bars wird überschwänglich gefeiert. Es herrscht Partystimmung: in den Fan- Parks liegen sich bunt geschmückte Chilenen, Serben oder Argentinier in den Armen. Wer bei all dem turbulentem Treiben noch Zeit hat, kann sich schon auf die nächste WM einstimmen. In Johannesburgs Nobel-Vorort Sandton präsentiert sich bereits der nächste WM-Gastgeber Brasilien unter dem Slogan: «Brasilien ruft euch».

Quelle: sueddeutsche.de

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