Montag, 14. Juni 2010

"Innerer Reichsparteitag" ist Berliner Mutterwitz

Im Dritten Reich persiflierte die Redewendung "innerer Reichsparteitag" den bombastischen Nazi-Jargon. Doch das ist den wenigsten bekannt.


Katrin Müller-Hohenstein Von Tilman Krause
 
Hoppala! Was kam denn da herausgekrochen? Was hat die Sportreporterin Katrin Müller-Hohenstein wohl bewogen, die Freude des Nationalspielers Miroslav Klose nach seinem Tor gegen Australien als „inneren Reichsparteitag“ zu bezeichnen?
Zugegeben, als ich den Ausdruck am Sonntagabend hörte, staunte ich nicht schlecht. Klose, so dachte ich, wird hoffentlich angesichts seines schönen Erfolgs keinen „inneren Reichparteitag“ empfunden haben, sondern das schiere Glück, vielleicht auch Stolz, sogar „Erlösung“, wie Oliver Kahn die Formulierung der ZDF-Kommentatorin gar nicht ungeschickt richtig stellte.

Echte Freude, keine Schadenfreude

Denn etwas Echtes, Unverstelltes dürfte es gewesen sein, was der Torschütze während des ersten deutschen Spiels dieser WM gefühlt hat, nicht die klammheimliche, von Schadenfreude nie ganz freie Genugtuung, die gemeint ist, wenn jemand selbstironisch von sich sagt: „Das war mir ein innerer Reichsparteitag.“
Doch wie staunte ich erst, als ich am Montagmorgen die hämisch-hasserfüllten Kommentare zu Müller-Hohensteins Ausrutscher im Netz las. „Jawoll, mein Tabellenführer“ war noch das Witzigste unter unzähligen beckmesserhaften Belehrungen darüber, Müller-Hohenstein habe sich hier beim „Wörterbuch des Unmenschen“ bedient. Was für ein
„Ein innerer Reichsparteitag“ – das ist nicht Nazi-Sprache. Das ist vielmehr gerade die Persiflierung des bombastischen Nazi-Jargons, wie er im Dritten Reich gang und gäbe war. Das ist, wie man damals gesagt hätte, Berliner Mutterwitz, frech, respektlos, nicht ohne Anteile von Zynismus, wie sie ja auch im Wort von der „Reichskristallnacht“ aufscheinen, welches das verbrecherische Spektakel des Pogroms vom 9. November 1938 als staatsoffiziellen Budenzauber entlarvte, den die Nazis als „spontane Äußerung des Volkszorns“ verkaufen wollten.

Das Beispiel "Reichswasserleiche"


Leni Riefenstahl
Leni Riefenstahl wurde am 22. August 1902 in Berlin geboren. Nach einer Ausbildung und Karriere als Tänzerin entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Film und wurde berühmt mit Streifen wie "Der heilige Berg" (1926) und "Weiße Hölle am Piz Palü" (1929). Später wurde sie Hilters Lieblingsregisseurin. Das Foto zeigt sie kurz vor ihrer Verhaftung am 16. Mai 1945 im Garten ihres Hauses in Kitzbühel.

„Reichswasserleiche“ als Spitzname der damals populären Schauspielerin Kristina Söderbaum, die sich in Ufa-Filmen oft ertränken musste, wäre noch so ein Beispiel für diesen Spott, den man sich unter der Diktatur mit dem Offiziösen erlaubte, denn auch bei der sentimentalen Söderbaum handelte es sich ja um eine Vorzeigefigur des braunen Deutschlands.

Hier geht es um sprachhistorische Feinheiten, deren Kenntnis man vielleicht von einer Sportjournalistin, die unter immensem Druck vor einem Millionenpublikum agiert, nicht erwarten kann. Umso mehr sollten diejenigen, die sich jetzt über sie erhaben dünken, vor Scham erröten, dass sie Distanz und Ironie, die im Ausdruck vom „inneren Reichparteitag“ wohnen, glatt übersehen haben.

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