Mittwoch, 16. Juni 2010

Zensoren verbieten Kunst

Von wegen hip und cool: Satire, deftige Songtexte oder entblösste Comic-Brüste werden von Apples Zensoren aus dem iPhone verbannt.

Kein Sex, bitte, wir sind Apple!
«Wer Brüste sehen will, soll das Google-Handy kaufen», betont Apple-Chef Steve Jobs gerne. Und so verhindert er getreu der Losung «No Nipples» nackte Tatsachen auf dem iPhone. Doch Apple (AAPL 262.6 1.12%) hat es nicht nur auf profane Hintern und Brüste abgesehen, die es aus dem App Store zu verbannen gilt, sondern auch auf vermeintlich obszöne Kunst, zum Beispiel das «Kamasutra». 2009 wurde die Entwicklung einer «South Park»-App wegen «anstössiger Sprache» abgebrochen. Und die Band Nine Inch Nails durfte einen 15 Jahre alten und legalen Songtext nicht in ihre App einfügen.

Gänzlich absurd wird es, wenn sich Literaturklassiker Apples Kontrollen unterwerfen müssen – und gar zensuriert werden. Zum Beispiel «Moby Dick». Weil das Wort «sperm» in Apples iBook-Store verboten ist, wurde aus dem berühmten Pottwal (englisch: sperm whale) ein «s***m whale». Oder der Fall James Joyce: Pünktlich zum «Bloomsday» am heutigen 16. Juni sollte eine Comicversion von «Ulysses» als App erscheinen. Doch im interaktiven Cartoon war auch eine entblösste Brust zu sehen – worauf Apple der App die Lizenz verweigerte, respektive verlangte, dass der Cartoon-Zeichner die Brust verhülle.

Wie Wal-Mart
Was als App auf dem iPhone erscheint, unterliegt einer Kontrolle, man kann auch sagen: Zensur, deren Kriterien unklar sind. Der Netzaktivist und Betreiber der berühmten «Boingboing»-Blogs, Cory Doctorow, vergleicht Apples Vorschriften mit jenen des Supermarkts Wal-Mart. Dieser zwingt Musiker eine «Wal-Mart-Version», also eine harmlose Variante ihrer Alben, aufzunehmen, um es in den Verkauf zu schaffen. «Doch als Erwachsener», schreibt Doctorow, «will ich selber entscheiden, was ich kaufe. Ich will nicht, dass Apps nur auf jene Inhalte beschränkt sind, die das Apple-Politbüro als korrekt einstuft.»

Ironie der Geschichte: Vor fast 100 Jahren fiel James Joyces «Ulysses» immer wieder staatlichen Zensoren zum Opfer. 1933 entschied ein US-Gericht in einem bahnbrechenden Urteil, dass «Ulysses» verkauft werden darf. Obszönitäten sind seitdem als Teil eines Kunstwerks nicht mehr verboten. Apples App-Politik erscheint in dieser Hinsicht in höchstem Masse reaktionär. Oder wie es ein «Boingboing»-Leser ausdrückt: «Mal wieder ein Beweis, dass Apple nicht hip, cool, künstlerisch, aufgeschlossen oder kultiviert ist – alle diese Dinge, von dem die Kunden hoffen, es treffe auch für sie zu, sobald sie sich mit Apple-Produkten zeigen.»

Erst der Pulitzer-Preis stimmte Apple gnädig
Im Fall von «Ulysses» ist Apple nach massiver Kritik zurückgekrebst, besagte Brust ist unverhüllt auf dem iPhone zu sehen. Bei anderen Künstlern war man weniger gnädig. In der Comic-Ausgabe von Oscar Wilde «The Importance of Being Ernest» etwa fielen zwei sich küssende Männer der Zensur zum Opfer. Und auch politisch kritische Inhalte haben es auf dem iPhone schwer. So wurde im Dezember eine App von «San Francisco Chronicle»-Karikaturist Mark Fiore abgelehnt, mit der Begründung, seine Zeichnungen würden öffentliche Personen lächerlich machen. Erst als Fiore im April den hochangesehenen Pulitzer-Preis für seine Karikaturen gewann, gab Apple das Programm frei.

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