Montag, 8. März 2010

Coup der Dilettanten: Überfall auf Pokerturnier

Von Jörg Diehl und Hendrik Ternieden
Sie agierten chaotisch und in großer Hektik, doch sie entkamen mit fast 250.000 Euro Beute: Bei den Männern, die das Pokerturnier in Berlin überfallen haben, handelt es sich wohl nicht um Profis. Der Coup gelang nur, weil auch die Sicherheitsvorkehrungen alles andere als ausgefeilt waren.

Berlin - Eine Machete, eine Pistole, das richtige Timing - mehr brauchten vier Männer am Samstagnachmittag nicht, um ein großes Pokerturnier in Berlin zu überfallen und fast 250.000 Euro zu erbeuten. Und dank eines wehrhaften Wachmannes und zahlreicher Kameras wurde der Überfall sogar zum spektakulären Actionfilm.
Die Nachrichtenagentur AFP verglich den Coup mit der Hollywood-Gaunerkomödie "Oceans Eleven". Doch das ist - nach allem, was man bislang weiß - Unsinn.

Denn im Gegensatz zu den smarten Casino-Räubern um George Clooney gingen die Berliner Täter nicht wie Gentleman-Gangster vor, sondern eher wie brutale Kriminelle, die einen Supermarkt ausrauben.

Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), ist überzeugt, dass nicht Profis, sondern "kleine Ganoven" den Überfall verübt haben. Er sei "chaotisch und dilettantisch" ausgeführt worden. "Die Bewaffnung, das Vorgehen und die die Berge von Spuren, die sie offensichtlich hinterließen, deuten darauf hin, dass die Polizei diese Täter sehr schnell kriegen wird", sagte Wendt.

Zeugen befragen, Videos auswerten

Auch der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch geht von einem zügigen Ermittlungserfolg aus. Die Chancen für die Aufklärung "stehen nicht schlecht", sagte Glietsch am Montag im Innenausschuss. Genauere Angaben wollte die Berliner Polizei auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht machen. Es werde mit Hochdruck gearbeitet, sagte eine Sprecherin. Momentan bedeutet das vor allem: Tatortspuren analysieren, Zeugen befragen, Videos auswerten.

Die Bilder zeigen deutlich, wie wirr der Überfall ablief: Um 14.12 Uhr betreten die Männer über einen Seiteneingang das Hyatt-Hotel, bewaffnet mit Pistolen und einer Machete. Sie gehen in den Vorraum des Pokerturniers, bedrohen die Anwesenden, nehmen Geld aus den Kassen, stopfen die Scheine hektisch in ihre Taschen. Sie nutzen sogar eine Laptoptasche, die sie erst am Tatort einsammeln.

Doch dann stellt sich ein Sicherheitsmann den Räubern entgegen, bewirft sie mit Gegenständen, überwältigt zwischenzeitlich einen der Täter. Ein Hotel-Mitarbeiter schnappt sich die Tasche mit einem Großteil der Beute, auf ihr kann die Polizei angeblich DNA-Spuren eines Räubers sicherstellen, der keine Handschuhe trug. Die Täter flüchten schließlich mit 242.000 Euro. Sie verschwinden in der Menschenmenge auf dem Potsdamer Platz.

Gut gewählter Zeitpunkt

Das Ganze dauerte nicht einmal fünf Minuten, doch der Zeitpunkt des Überfalls war gut gewählt. Nur für einen kleinen Zeitraum war die insgesamt 691.000 Euro der Pokerspieler im Vorraum schlecht gesichert, wenig später wäre es im Haupttresor für die Gangster kaum zu erreichen gewesen. Alles deutet darauf hin, dass die Männer unter den Pokerspielern einen Helfer hatten, der ihnen den nötigen Tipp gab.

Der Coup wäre wohl gescheitert, wenn die Veranstalter nicht so sorglos vorgegangen wären. Die Mitarbeiter der privaten Sicherheitsfirma waren unbewaffnet und zudem in der Unterzahl. DPolG-Chef Wendt kritisiert die Veranstalter deshalb scharf: Wer so viel Geld in bar vorhalte, müsse auch Sorge tragen, dass genügend Sicherheitspersonal vor Ort sei. "Ein paar Wachmänner und ein Hotelpraktikant reichen da nicht aus", so der Gewerkschaftsvorsitzende. "Das war wirklich sehr fahrlässig."

Tatsächlich bietet sich solch eine Chance Kriminellen heute nur noch selten: In den vergangenen Jahren ist es aufgrund verbesserter Sicherheitsvorkehrungen immer schwerer geworden, große Summen Bargeld zu stehlen. Banken lagern die Scheine weniger zugänglich als früher. Die Aussicht auf fette Beute ist bei Überfällen also deutlich geringer als früher. Und die Gefahr geschnappt zu werden, deutlich größer.

Seltene Gelegenheiten

Tatsächlich ist die Anzahl der Diebstähle unter erschwerenden Umständen laut Kriminalstatistik seit 1993 um mehr als die Hälfte gesunken. In diese Kategorie fallen Überfälle auf Banken, Postfilialen, Geldtransporte. Kriminelle, die richtig absahnen wollen, müssen daher auf seltene Gelegenheiten warten.

So eine ergab sich in Berlin bereits 2005, als maskierte Männer das Amtsgericht Schöneberg stürmten und über 128.000 Euro erbeuteten. Auch damals war eine große Summe Bargeld leicht zu stehlen, auch damals waren die Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend.

Laut "Tagesspiegel" prüft die Berliner Polizei nun, ob eine Verbindung zum Überfall auf das Pokerturnier besteht. Im besten Fall könnten die Beamten dank des dilettantischen Vorgehens zwei Fälle auf einmal lösen. Polizeigewerkschaftschef Wendt rät den Tätern sogar spöttisch, sich am besten gleich zu stellen und die Beute mitzubringen. "Vielleicht gibt es ein paar Jahre weniger Knast", sagt er.

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