Prozessbeginn gegen drei Schweizer
Von Julia Jüttner
Der Fall sorgte für Fassungslosigkeit in Deutschland und der Schweiz: Drei junge Schweizer wollten im Juni 2009 "ein bisschen Spaß haben" und prügelten in München wahllos auf Passanten ein, zwei davon starben beinahe. Im Prozess drohen den 16-Jährigen nun hohe Haftstrafen.
Hamburg - Mike B., Ivan Z. und Benji D. hatten keine Messer, keine Schlagringe, keine Schreckschusspistolen. Ihre Waffe war ihre Aggressivität. Sie wollten "ein bisschen Spaß haben", sagte einer der 16-Jährigen im Verhör. Tatsächlich überfielen sie in der Münchner Innenstadt - innerhalb einer halben Stunde - grundlos fünf Passanten, prügelten wie von Sinnen auf sie ein und verletzten sie zum Teil schwer.
Am Montag beginnt gegen die drei Schüler vor der Jugendkammer des Landgerichts München der Prozess wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes sowie gefährlicher Körperverletzung.
Die drei jungen Schweizer waren am 29. Juni vergangenen Jahres mit der zehnten Klasse der Weiterbildungs- und Berufsschule in Küsnacht im Kanton Zürich zur Abschlussfahrt nach München gekommen. Am Abend des 30. Juni haben sie Ausgang bis nach Mitternacht. Um halb eins sollen sie wieder im Jugendgästehaus des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) in der Landwehrstraße nahe des Hauptbahnhofes sein. Sie verbringen den Großteil des Abends mit Mitschülern im Nussbaumpark, trinken Bier und Schnaps, einige rauchen einen Joint.
Gegen 23 Uhr machen sie sich auf den Weg zu ihrem Quartier - nun solle "der Spaß" beginnen. Um 23.15 Uhr gehen die drei 16-Jährigen laut Anklage grundlos und ohne Vorwarnung auf drei Mazedonier los, die im Park Schach spielen. Eines ihrer Opfer ist körperlich behindert. Der Mann sitzt auf einer Bank, er sackt bei dem Angriff nach hinten, sein Kopf schwebt frei in der Luft, als Ivan Z. mit voller Wucht noch einmal dagegen tritt - als wäre er ein Fußball. Um 23.23 Uhr ziehen sie weiter, laut Staatsanwaltschaft besessen davon, weiterzuprügeln.
Zur gleichen Zeit ein paar Minuten entfernt verlässt Wolfgang O. ein Lokal nahe dem Sendlinger Tor. Der Versicherungskaufmann aus Ratingen hatte einen Geschäftstermin. Er geht die Straße entlang, das Handy am Ohr, er telefoniert mit seiner Frau. Um 23.35 Uhr schlagen die jungen Schweizer rücklings auf den 46-Jährigen ein, zertrümmern seinen Kiefer, brechen ihm mehrere Kopfknochen. Das Gesicht des Geschäftsmannes muss später in mehreren Operationen neu aufgebaut werden, mit Mühe können Ärzte sein Augenlicht retten. Laut Polizeibericht erleidet er zudem "durch die brutale Misshandlung eine Teilamnesie".
"Das ist ein Alptraum, nichts als ein Alptraum", sagt Mikes Vater
Augenzeugen schreien die Täter an und alarmieren die Polizei. Mike B., Ivan Z. und Benji D. ziehen weiter, keine zehn Minuten später überfallen sie einen Studenten auf der Sonnenstraße nahe dem Stachus. Mit Fäusten gehen sie auf den 26-Jährigen aus Bulgarien los, schlagen bevorzugt auf Gesicht und Hals.
In der Jugendherberge wechseln die Schüler ihre blutverschmierte Kleidung. Kurz darauf werden sie von der Polizei festgenommen. Opfer und Augenzeugen hatten die Teenager detailliert beschreiben können.
"Es war ein Amoklauf ohne Waffen - mit Fäusten und Fußtritten", sagt Staatsanwalt Laurent Lafleur.
Die Staatsanwaltschaft München I erhebt nicht nur Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Ihrer Ansicht nach haben sich die Jugendlichen "dazu verabredet, beliebige Passanten zu attackieren". Im Fall des Ratinger Versicherungsmannes ließen sie laut Anklage erst von ihrem Opfer ab, als Zeugen laut nach der Polizei riefen. In seinem Fall und in dem des sichtlich behinderten Mannes sei die "Vorgehensweise so brutal" gewesen, dass die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe vorliegen. Die Teenager sind daher auch wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes angeklagt.
Wichtig in dem bevorstehenden Prozess wird sein, zu klären, ob einer der Jungen als eine Art Anführer agierte und die anderen zu den Taten anstiftete. Wer übernahm während des Prügelkommandos welche Rolle? Dementsprechend unterschiedlich könnte bei jedem einzelnen das Strafmaß ausfallen. Im Vorfeld des Prozesses wollte sich keiner der drei Verteidiger, allesamt renommierte Rechtsanwälte aus München, zu dem Verfahren äußern. Zwei Opfer treten als Nebenkläger auf.
Wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten findet der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
"Das ist ein Alptraum, nichts als ein Alptraum. Es ist unglaublich, die ganze Familie ist im Elend", sagte Toni B. dem Schweizer Sender "Radio 1". Er ist Mikes Vater und betreibt ein kleines Unternehmen. Mike hat zwei Schwestern, mit den Eltern leben sie in Uetikon am See nahe Zürich. "Dieser Fall ist nicht nur für die Opfer, sondern auch für unsere Familie eine einzige Katastrophe", sagte Toni B. der Schweizer Zeitung "Sonntag".
In der Schweiz waren alle drei Jugendliche polizeibekannt
Nach Angaben der Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich sind alle drei Jugendlichen aktenkundig: Ivan Z. wegen Körperverletzung, Benji D. wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch, Mike B. wegen Raubversuchs. Alle drei wurden mit Sozialdienst bestraft.
Seit ihrer Festnahme in München sitzen sie in Untersuchungshaft, haben einmal pro Tag Hofgang und dürfen arbeiten, wenn sie wollen - Staubsaugerbeutel kleben oder Schrauben sortieren. Zwei Stunden pro Monat dürfen sie von ihren Eltern Besuch bekommen.
Der Fall sorgte in Deutschland und in der Schweiz für Fassungslosigkeit und erinnert an Serkan A., 21, und Spyridon L., 18, die in einem Münchner U-Bahnhof den pensionierten Lehrer Bruno N. fast zu Tode prügelten. Serkan A. erhielt zwölf Jahre Haft, Spyridon L. eine Jugendstrafe von achteinhalb Jahren wegen Mordversuchs. Das Urteil fällte die Jugendkammer des Landgerichts München unter dem Vorsitz von Richter Reinhold Baier. Er führt nun auch im Verfahren gegen die drei Jugendlichen aus der Schweiz den Vorsitz, ebenso soll er im Fall Dominik Brunner den Prozess leiten.
Mike B., Ivan Z. und Benji D. hatten nach ihrem Schulabschluss keine Lehrstelle gefunden und absolvierten an der Weiterbildungs- und Berufsschule in Küsnacht eine Art Berufsvorbereitungsjahr. Seit dem Vorfall hat die Schule bekannt gegeben, auf Abschlussreisen ins Ausland vorläufig zu verzichten.
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