Sonntag, 6. Juni 2010

Merkel soll von der Leyen ausgespielt haben

Vorwurf gegen Angela Merkel. Sie soll sich früh auf Wulff als Köhler-Nachfolger festgelegt und Ursula von der Leyen im Unklaren gelassen haben.
 
Leben und Karriere einer Ministerin
Die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen ist seit Ende 2009 Bundesarbeitsministerin.

Von der Leyens Vater Ernst Albrecht war einst Ministerpräsident von Niedersachsen. Das Bild zeigt ihr mit seiner Frau Heide-Adele und den musizierenden Kindern Donatus, Barthold und Ursula (vorne), Hans-Holger, Harald und Lorenz.
Von Günther Lachmann
Die Geschichte klingt unglaublich. Und wenn sie wahr ist, wirft sie einen weiteren dunklen Schatten auf die Kanzlerschaft von Angela Merkel. Sie wäre ein weiteres Indiz für die These, Merkel sei Krisensituationen nicht gewachsen und verfahre selbst mit ihr nahestehenden Menschen zuweilen unverständlich rücksichtslos.

Es geht um die Suche nach einem Kandidaten oder einer Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten. Darüber ist in dieser Woche viel berichtet worden. Doch ein Aspekt wurde offensichtlich ausgeblendet. Ein Aspekt, der entscheidend sein kann für die weitere Zusammenarbeit von Angela Merkel mit ihrer wichtigsten Ministerin Ursula von der Leyen und damit für den Erfolg der schwarz-gelben Bundesregierung.

Stimmt es, was die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ heute schreibt, dann ließ die Kanzlerin Ursula von der Leyen brutal gegen die Wand laufen. WELT ONLINE fragte im Bundesarbeitsministerium nach. Die Antwort war knapp und vielsagend. „Wir äußern uns nicht dazu“, sagte eine Sprecherin. Vom Kanzleramt liegt auf eine Anfrage von WELT ONLINE noch keine Stellungnahme vor.

Reaktionen auf die Nominierung von Christian Wulff als Bundespräsident:

"Christian Wulff ist jemand, der einem Wertesystem verhaftet ist, das auch Orientierung gibt, und insoweit halte ich ihn für einen wunderbaren zukünftigen Bundespräsidenten."
Angela Merkel
Somit steht der Vorwurf bislang unwidersprochen im Raum, Merkel habe von der Leyen im Glauben gelassen, sie sei die aussichtsreichste Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, obwohl sich die Kanzlerin längst auf Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff festgelegt hatte. Schlimmer noch, Merkel und Wulff hatten sie Sache laut dem Zeitungsbericht schließlich unter sich ausgemacht und von der Leyen weiter im Unklaren gelassen.

Aus Regierungskreisen erfuhr WELT ONLINE, dass Merkel und von der Leyen in der vergangenen Woche einmal über die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten gesprochen haben.

Doch der Reihe nach. Bereits am Dienstag, dem 1. Juni, und damit einen Tag nach dem Rücktritt von Horst Köhler, wurde von der Leyen als Favoritin für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Angeblich soll der Name am Montag im CDU-Präsidium genannt worden sein.

Da niemand die Meldung über von der Leyen dementierte, verfestigte sich der Eindruck, Merkel wolle ihre populäre Arbeitsministerin zur Bundespräsidentin machen. Am Dienstagnachmittag empfing die Kanzlerin die Vorsitzenden der Koalitionsparteien. Auch in dieser Runde mit Horst Seehofer und Guido Westerwelle spielte die Köhler-Nachfolge eine Rolle.

Angeblich wurde neben von der Leyen auch Wulffs Name genannt. Wie dem auch sei, jedenfalls verbreitete eine Nachrichtenagentur im Anschluss an das Treffen die Meldung, wonach die Parteivorsitzenden eine Präferenz für von der Leyen hätten. Auch diese Darstellung wurde weder vom Kanzleramt, noch von den Parteivorsitzenden dementiert.

Und jetzt berichtet die „FAS“ das Ungeheuerliche: Zu diesem Zeitpunkt soll Merkel sich bereits auf Wulff festgelegt haben. Zwei Stunden vor dem Treffen mit den Parteichefs am Dienstag habe sie den niedersächsischen Ministerpräsidenten angerufen und für den Abend ins Kanzleramt bestellt. Dort habe Merkel Wulff offiziell die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten angetragen. Der Niedersachse habe sich jedoch einen Tag Bedenkzeit ausgebeten.

Am nächsten Morgen ging die Berichterstattung über von der Leyen weiter. "Bild" titelte: „Wird sie die Mutter der Nation?“ Alle Welt glaubte, die Entscheidung sei gefallen. Das Kanzleramt ließ die Berichterstattung unkommentiert laufen. Um die Mittagszeit herum soll Wulff dann zugesagt haben.

Ministerpräsident mit Ambitionen

Oldenburg
Christian Wilhelm Walter Wulff ist seit dem 4. März 2003 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Außerdem gehört er als stellvertretender Parteivorsitzender dem CDU-Präsidium an. Schon als Schüler...
Am Nachmittag kamen Merkel und ihre Arbeitsministerin zu den Haushalts-Chefgesprächen im Kanzleramt zusammen. Es ging um mögliche Einsparungen im Haushalt des Arbeitsministeriums. Nach Informationen von WELT ONLINE signalisierte Merkel ihrer Arbeitsministerin am Rande dieses Gesprächs, die Bundespräsidentenfrage brauche noch Zeit. Über die Entscheidung für Wulff erfuhr von der Leyen aus dem Munde der Kanzlerin schließlich vor der Telefonkonferenz des CDU-Bundesvorstandes gegen 18 Uhr und damit auch noch vor der offiziellen Pressekonferenz von Christian Wulff, versichert das Kanzleramt gegenüber WELT ONLINE. Die Nachricht von Wulffs Kandidatur lief freilich schon seit mittags über die Agenturen. Auch bei zwei weiteren Zusammentreffen am Vormittag hatte Merkel den Verlauf der Dinge mit keinem Wort erwähnt. Von Enttäuschung bei von der Leyen ist die Rede, von einem bitteren Nachgeschmack.

Der Vorgang, wie auch immer er sich letztlich abgespielt hat, dürfte das Verhältnis von Angela Merkel und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schwer belasten. Bislang gilt ihre Zusammenarbeit als vorbildlich. Als Familienministerin trug von der Leyen maßgeblich zu der von Merkel gewünschten Öffnung der CDU für andere Wählerschichten bei. Sie ist populär, und ihre Fachkompetenz wird sogar in den Reihen der Opposition anerkannt. Nun betreut sie als Arbeitsministerin eines der wichtigsten Ressorts. Merkel ist also sehr auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit von der Leyen angewiesen.

Die Ereignisse der Tage aber könnten die beiden zu Rivalinnen machen. Seit langem wird der ehrgeizigen von der Leyen nachgesagt, sie traue sich auch das Amt der Bundeskanzlerin zu. Vielleicht wird sie auf dieses Ziel jetzt hartnäckiger denn je verfolgen.

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