Montag, 29. Dezember 2008

Wut der arabischen Welt auch auf die eigenen Regierungen

Gewalt in Nahost

Von Ulrich Leidholdt, ARD-Hörfunkstudio Amman

Kaum zwei Stunden dauerte es nach ersten Meldungen über Israels Raketen auf Gaza, da schrieen sie ihre Wut auf den Straßen arabischer Nachbarstaaten heraus - Demonstranten, nicht selten selbst Palästinenser wie ihre Brüder und Schwestern, die im Gefängnis am Mittelmeer eingeschlossen sind.

Nicht staatlich gesteuerter, sondern oft spontaner Protest in Amman, Bagdad, Beirut, Damaskus oder Kairo. Der Zorn gilt Israel, dessen glänzend geschmierter PR-Apparat der Welt noch am Tag des Bombardements ein paar gnädig gewährte Hilfstransporte als humanitären Akt verkaufte - nach Monaten totaler Blockade.

Fernsehbilder aus Gaza wühlen auf

Den kollektiven Aufschrei befördern Bilder, die der arabischen Welt in Echtzeit geliefert werden - grauenhafte Folgen elektronischer Kriegsführung, die angeblich chirurgisch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden vermag. Ergebnisse kann - wer will und das aushält - rund um die Uhr in Sendern wie Al Dschasira und anderen arabischen Fernsehkanälen besichtigen. Die haben - anders als Amerikaner und Europäer - Reporter in Gaza. Vor ihren Kameras schlagen die vermeintlichen Präzionsgeschosse in Häuser ein, die von israelischen Diensten Hamas zugeordnet werden.

Grausame Bilder aus Krankenhäusern

Wer Augen hat, wird Zeuge, dass die mörderischen Raketen vom Ziel nicht mehr als Krater und verbogenes Metall übrig lassen, gleichzeitig aber auch Nachbarn im engbebauten Gaza keine Chance geben. Beweise hierfür finden sich in überfüllten Kliniken mit überforderten Ärzten: blutige Babys, an Schläuchen hängende Mütter, verstümmelte Studenten.

Arabische Regierungen in der Kritik

"Warum lasst Ihr das geschehen?" Die verzweifelte Frage richtet sich zunehmend auch an eigene Regierungen. Vom Westen, erst recht von den USA, erwartet man in Nahost ohnehin nichts. Die segnen doch alles ab, was immer auch Israel Selbstverteidigung nennt, heißt es da.

Kritik von innen trifft nun auch Ägyptens Präsidenten Mubarak, Palästinenser-Präsident Abbas und andere arabische Politiker. Schlappe Proteste, nutzlose Sitzungen, vielleicht ein paar Hilfsgüter. Dass Ägypten seine Grenze zu Gaza auch jetzt noch verschließt, legen nicht nur Radikale wie Hisbollah-Führer Nasrallah als Komplizenschaft mit Israel aus. Dass Abbas - trotz hunderter Opfer - der Hamas die Alleinschuld an der Katastrophe gibt, ist für die Straße völlig unverständlich, Verrat.

Wir mögen Zahlenspiele mit Opfern verabscheuen - doch solche Fragen werden gestellt: 16 Tote in Israel durch Hamas-Raketen aus Gaza in sieben Jahren - rechtfertigt das 300 Tote an nur einem Tag durch die Israels Luftwaffe? Der Westen schätzt palästinensische Opfer gering oder stempelt alle zu Terroristen, diese Auffassung ist verbreitet. Gaza bestärkt sie nur.

Israel züchtet neuen Terror

Israel schafft durch sein völlig überzogenes Vorgehen nicht mehr Sicherheit, sondern züchtet zielsicher neuen Terror. Arabische Führer sind durch politische Unfähigkeit, Desinteresse an den Palästinensern und Wohlverhalten gegenüber den USA auf bestem Wege, die Region weiter zu radikalisieren. Die letzten dünnen Friedensansätze werden in Gaza den wenigen Willigen auf lange Zeit aus der Hand geschlagen.

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