von Hal Weitzman (Chicago), Sabine Muscat (Washington) und Hubert Wetzel (Berlin)
Erpressung, Bestechung, Günstlingswirtschaft - Amerika ist schockiert vom Politskandal in Illinois. Der Fall könnte Barack Obama gefährlich werden. Denn der künftige Präsident begann seine Karriere in der "Chicago-Maschine"
Das FBI wollte die Kinder nicht wecken. Also riefen die Beamten den Gouverneur einfach an, Dienstagmorgen, kurz vor sechs Uhr. Zwei Agenten stünden vor seiner Haustür. Um ihn zu verhaften. Rod Blagojevich war auf einen Schlag wach. "Ist das ein Witz?"- "Nein. Öffnen Sie die Tür bitte leise."
Der Gouverneur zog also Rollkragenpullover und Trainingsanzug an und ließ sich Handschellen anlegen. Draußen im Regen warteten zwei dunkle Limousinen. Nach 20 Minuten war alles vorbei, die Fahrt ging zum Haftrichter. Die Kinder schliefen weiter. Die Frau blieb entsetzt zurück.
Entsetzt wie der Rest des Landes. Ein Gouverneur in Handschellen, in Chicago, Illinois, der Heimat des künftigen Präsidenten. Ganz Amerika ist alarmiert. Den Bundesstaat erschüttert einer der größten Politskandale des Landes - und niemand weiß, ob sich die Provinzaffäre nicht zu einer landesweiten Krise ausweitet. Für Barack Obama könnte die Sache noch mehr als peinlich werden.
Die Vorwürfe sind ungeheuerlich: Betrug, Bestechlichkeit, Erpressung, Versteigerung von öffentlichen Ämtern, darunter der Senatsposten des scheidenden Barack Obama - "selbst unsere zynischsten Agenten waren schockiert", sagt der Chicagoer FBI-Chef. Oberstaatsanwalt Patrick Fitzgerald spricht von einer "Korruptionsorgie", die ihn zum sofortigen Handeln gezwungen habe: "Abraham Lincoln würde sich im Grabe umdrehen."
Schon seit Längerem haben die Beamten ermittelt, zuletzt zapften sie sogar das Telefon des Gouverneurs an. Das Ergebnis ist ein Bericht von 76 Seiten, der im Internet nachzulesen ist, unter anderem auf der Website der Financial Times. Das Protokoll ist ein Mix aus Flüchen, Kraftausdrücken und offensichtlichen Rechtsbrüchen.
So habe Blago, wie der Politiker genannt wird, versucht, 2,5 Mio.$ Wahlspenden einzutreiben - von Firmen oder Privatpersonen, die zuvor vom Staat Aufträge oder Steuernachlässe gewährt bekommen haben. Auch die Vergabe eines Milliardenauftrags für den Bau einer Autobahn soll von Spenden abhängig gewesen sein. "Wenn sie die nicht bringen, vergiss es", soll Blago einen Vertrauten angewiesen haben.
Bei solchen Untaten ging es nicht immer um Großbeträge. Vom Children's Memorial Hospital forderte er laut FBI-Bericht 50.000 $ - als Gegenleistung für die Millionen, mit denen er die Klinik fördere. Wenn nicht, könnte das Geld noch gestrichen werden.
Auch habe Blago der Zeitung "Chicago Tribune" ein unsittliches Angebot gemacht. Deren Verlag ist insolvent und sucht dringend einen Käufer für ein Baseballstadion, das ihm gehört. Er werde den Verlegern nur dann dabei helfen, soll er gesagt haben, wenn sie im Gegenzug einige unliebsame Kommentatoren entlassen würden: "Fire those Fuckers."
Es finden sich viele Vorwürfe in dem Bericht. Einer ist besonders haarsträubend: Blago soll versucht haben, Obamas Senatsposten zu versteigern. Bis zur nächsten Kongresswahl 2010 kann der Gouverneur den Sitz nach Gutdünken besetzen. Darin sah Blago wohl mehr Kür als Pflicht: "Ich will Geld machen", soll er in einem Telefonat gesagt haben. "Der Sitz ist scheißwertvoll, den verschenkst du nicht."
Offenbar sah sich der Gouverneur schon als Minister in Obamas Kabinett. Oder auf einem Botschafterposten. Oder als Gewerkschaftsfunktionär mit einem Gehalt von 300.000 $. Und seine Frau müsse ja auch noch unterkommen, vielleicht im Vorstand eines Unternehmens. O-Ton Blagojevich: "I've got this thing and it's fucking golden, and, uh, uh, I'm just not giving it up for fuckin' nothing. I'm not gonna do it."
Und wehe, er kriege nichts dafür. Dann übernehme er den Senatorenposten eben selbst. Blago plante sogar schon weiter - bis zum Amt des Präsidenten. Er müsse nur sein Image aufpolieren, dann könne er 2016 zur Wahl antreten.
Sein Image war schon vor der Verhaftung mies. Zuletzt hatte er in Umfragen eine Zustimmung von 13 Prozent - weniger als der scheidende Präsident George W. Bush, weniger als bisher jeder US-Politiker in vergleichbarer Position.
Dabei ist der Mann mit Föhnwelle und Saubermann-Attitüde angetreten, um Moral und Anstand zurück in den Bundesstaat zu bringen. 2002 wurde er zum ersten Mal gewählt - der erste Demokrat an der Spitze des Staates Illinois nach 26 Jahren, Sohn eines Stahlarbeiters und einer Fahrkartenkontrolleurin. Keiner also aus dem berüchtigten Chicagoer Establishment. "Ich bin gewählt worden, um etwas für die Bürger zu tun, nicht für andere Politiker", sagte er vor seiner Wiederwahl 2006.
Politik in Illinois war immer ein schmutziges Geschäft - und Blagojevich, dem nun 30 Jahre Haft drohen, reiht sich ein in eine lange Tradition gefallener Gouverneure. Vier der letzten acht wurden vor Gericht gestellt und verurteilt. Sein Vorgänger, der Republikaner George Ryan, sitzt bis heute wegen Bestechlichkeit im Knast.
So elend ist alles, dass Zeitungskommentatoren sich inzwischen in depressive Selbstanklagen flüchten: "Weiß nun endlich jeder Bescheid über das Ausmaß der Korruption in Illinois und warum einige von uns so besorgt waren, einen Präsidenten zu wählen, der aus dieser Jauchegrube kommt?", fragt die "Chicago Tribune". Schmiergeld und Vetternwirtschaft seien hier ein "way of life".
Seit einem halben Jahrhundert wird Chicago fast durchgängig von einer Familiendynastie regiert. Bürgermeister Richard Daley wird 2010 den Rekord seines Vaters brechen, Richard Daley, des Älteren, der das Amt 21 Jahre lang bekleidete. Weit über 100 Familienmitglieder waren bislang in der Stadtverwaltung beschäftigt.
Nur ein Politiker schien über den Dingen zu schweben: Barack Obama. Er lernte Chicago zu einer Zeit kennen, als die Stadt den Aufbruch probte. Als er 1985 als Sozialarbeiter kam, waren die Schwarzen wie beschwipst von ihrem ersten afroamerikanischen Bürgermeister Harold Washington. Doch der Aufbruch endete schon zwei Jahre später mit Washingtons Tod. Wenig später kehrten die Daleys zurück.
Obama schaffte den Aufstieg in der Chicagoer Politik nach seiner Rückkehr aus Harvard ohne die Hilfe der "Daley-Maschine", wie sie in der Stadt genannt wird. Ihm half eine Gruppe von Politikern im edlen Hyde-Park-Bezirk, die als "Independent Voters of Illinois" eigene Kandidaten für politische Posten aufstellten - vorbei am Establishment. 1996 zog Obama in den Senat ein.
Doch ganz ohne die "Maschine" geht nichts in Chicago. Als Senator wie auch als Präsidentschaftskandidat hielt Obama zwar so viel Distanz wie möglich zu Chicagos Innenpolitik - doch die Grenzen zum Establishment wurden fließend. William Daley, der Bruder des Bürgermeisters, bekam einen Posten in Obamas Beraterteam. Und zuletzt stärkte Obama einer Reihe umstrittener Lokalpolitiker den Rücken für ihre Wiederwahl.
Dabei sein, ohne mitzumischen - wie heikel das ist, musste Obama schon im Präsidentschaftswahlkampf erfahren. Da brachte ihn sein Freund Tony Rezko in Schwierigkeiten, ein Spendensammler, der im Juli wegen Korruption in 16 Fällen verurteilt wurde. An Obama blieb schließlich nichts hängen, obwohl ein gemeinsamer Grundstückskauf der Familien Obama und Rezko für Aufregung sorgte.
Obamas Kumpel Rezko und Blagojevich haben sich offenbar auch besser verstanden, als es Obama lieb sein kann. So soll Blago als Dankeschön für Wahlkampfspenden Regierungsposten an Rezko-Vertraute vergeben haben.
Mit solchem Gebaren, mit so einem Menschen will Obama natürlich nichts zu tun haben. Wegen der Neubesetzung der Senatorenstelle habe er mit dem Gouverneur keinen Kontakt gehabt, beteuert er.
Die Telefonmitschnitte entlasten und belasten ihn zugleich: Einen Deal hat es wohl nicht gegeben. Blago schimpft in einem Telefonat mit einem Vertrauten über den künftigen Präsidenten, dessen Berater offenbar glaubten, sie könnten Obamas Wunschkandidaten für den Senatssitz durchsetzen - ohne Gegenleistung. Laut FBI-Bericht ereifert sich Blagojevich über den "Motherfucker" Obama und dessen Vorschlag: "For nothing? Fuck him."
Doch wusste Obama wirklich nichts von all dem? In den Anklagepapieren heißt es, dass der Gouverneur darüber gesprochen hätte, einen Berater Obamas anzusprechen und diesem Gegengeschäfte vorzuschlagen. Ob es dazu gekommen ist, ist offen.
Obama hat auf dieses Enthüllungen seltsam reagiert. So sagte er der "New York Times": "Ich hatte keinen Kontakt mit dem Gouverneur oder seinem Büro, und daher hatten wir ... hatte ich keine Kenntnis davon, was passierte." Er ändert also sein Dementi von "wir" in "ich". Vielleicht bedeutet es nichts, aber es könnte heißen, dass zumindest jemand in Obamas Team - vielleicht ein Berater - Bescheid wusste.
Weiter sagte Obama wenig: "Ein trauriger Tag für Illinois", stellte er fest und forderte Blagojevich auf, er solle zurücktreten. Der aber denkt nicht daran. "Er hat sich nichts vorzuwerfen", sagt sein Anwalt.
Dafür gibt's Kritik von anderen: Das angesehene "Chicago Magazine" nennt ihn "Mr. Un-Popularity", fast alle Lokalgrößen sind zu persönlichen Feinden geworden: Vizegouverneur, Parlamentssprecher, Generalstaatsanwältin, der Bürgermeister von Chicago. Sogar mit seinem Schwiegervater hat sich Blagojevich völlig zerstritten. "Dieser Gouverneur hat nicht einen einzigen Verbündeten", sagt Senator Mike Jacobs. "Ich habe fast Mitleid mit ihm."
Korrupte US-Politiker |
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Tom DeLay Im Juni 2006 musste der damalige Führer der republikanischen Mehrheitsfraktion im US-Abgeordnetenhaus - einer der mächtigsten Männer Washingtons - zurücktreten. Zuvor war "der Hammer", wie der beinharte Parteipolitiker genannt wurde, in seiner Heimat Texas wegen Geldwäsche im Zusammenhang mit Wahlspenden angeklagt worden. DeLay beteuert seine Unschuld und wurde bisher nicht verurteilt. |
George Ryan Der Vorgänger von Rod Blagojevich im Amt des Gouverneurs von Illinois wurde 2006 wegen zahlreicher Korruptionsvorwürfe zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Der Republikaner soll unter anderem staatliche Aufträge an Freunde vergeben und bei der Verschleierung von Bestechungszahlungen geholfen haben. Ryan sitzt derzeit im Gefängnis. |
Ted Stevens Der US-Staat Alaska gilt - ähnlich wie Illinois - als besonders anfällig für Korruption. Einer der beiden bisherigen Senatoren des Staates, Ted Stevens, wurde erst vor wenigen Wochen von einer Jury in Washington schuldig gesprochen, unerlaubt teure Geschenke von einer Ölfirma angenommen zu haben. Daraufhin missglückte ihm seine Wiederwahl. |
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