Die Polizei spricht von Notwehr, Augenzeugen von Mord: In Athen hat ein Polizist einen 15-jährigen Demonstranten erschossen. Jetzt kam es in mehreren griechischen Städten zu schweren Ausschreitungen. Randalierer zerstörten Autos und Geschäfte.
Nach Medienberichten zogen Hunderte Jugendliche randalierend durch Thessaloniki und zerstörten Autos und schlugen Fensterscheiben ein. Auch in den nordgriechischen Städten Komotini und Ioannina sowie auf der Mittelmeerinsel Kreta und in Patras kam es zu Protesten. In Athen zogen Hunderte Autonome durch die wichtigste Einkaufsstraße Ermou und zerstörten Dutzende Geschäfte. Mehrere Läden brannten völlig aus, wie das Staatsfernsehen zeigte. Einer vorläufigen Bilanz der Polizei zufolge wurden auch 17 Banken in Athen und fünf weitere in Thessaloniki beschädigt.
Ausgelöst worden waren die Krawalle durch die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf einen 15-Jährigen. Der 15-Jährige starb am späten Samstagabend bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Polizisten und linksextremen Gruppen in Athen. Nach Polizeiangaben hatte der Jugendliche mit etwa dreißig anderen Autonomen im zentralen Stadtviertel Exarchia einen Polizeiwagen mit Steinen beworfen. Ein Polizist sei aus dem Auto ausgestiegen, um die Jugendlichen aufzuhalten, und habe den 15-Jährigen mit drei Kugeln tödlich in der Brust getroffen. Der Junge wurde nach Berichten griechischer Fernsehsender noch ins Krankenhaus gebracht, wo aber nur noch sein Tod festgestellt wurde.
Mehrere Stunden danach gab die Polizei eine Erklärung heraus. Der Streifenwagen mit zwei Polizisten sei im Stadtteil Exarchia von 30 Steine werfenden Jugendlichen angegriffen worden, hieß es darin. Daraufhin hätten die Beamten das Auto verlassen und zur Selbstverteidigung von der Waffe Gebrauch gemacht. Während der eine Beamte eine Blendgranate gezündet habe, habe der andere drei Schüsse abgegeben, von denen einer den Minderjährigen getroffen habe.
Innenminister Prokopis Pavlopoulos drückte sein tiefes Bedauern für den Tod des Jugendlichen aus, sein Rücktrittsangebot lehnte Regierungschef Kostas Karamanlis aber ab.
Neue Aktionen für Sonntag angekündigt
Nach Darstellung von Augenzeugen kam es nur zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe von Autonomen und der Besatzung des Polizeiwagens. Anschließend hätte der Polizist direkt in die Richtung des Jungen geschossen. "Es war ein kaltblütiger Mord", sagte ein Augenzeuge im Radio. "Wir werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen", erklärte der Innenminister Pavlopoulos im Fernsehen. Die beiden Beamten und ihr örtlicher Bezirkschef wurden bis zum Abschluss der Untersuchung suspendiert.
In dem Exarchia geraten linksextremen Gruppen und die Ordnungsmacht immer wieder aneinander. Ausgehend von dem Stadtviertel breitete sich eine Protestwelle gegen die angebliche Polizeiwillkür und die konservative Regierung aus, die im Laufe der Nacht auch andere griechische Städte erfasste.
Die Polizei setzte Tränengas ein. Sie verstärkte ihre Einheiten im Zentrum der Stadt, berichtete der staatliche Rundfunk. Autonome und linksgerichtete Bürger kündigten für Sonntagnachmittag Protestaktionen an. Griechische Autonome greifen seit Jahren immer wieder Polizisten an und verüben Brandanschläge auf Banken und Autos im Zentrum Athens.
Pavlopoulos beauftragte umgehend drei Staatsanwälte mit der Untersuchung der tödlichen Schüsse. In einer Erklärung versprach er, die Verantwortlichen für den Tod des Jugendlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Fall ruft in Griechenland Erinnerungen an den Tod von Michalis Kaltezas wach, der 1985 als 15-Jähriger ebenfalls im Viertel Exarchia während einer Demonstration von einem Polizisten erschossen worden war. Sein Tod war über mehrere Jahre hinweg Anlass für Zusammenstöße zwischen der Polizei und linksextremen Jugendgruppen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen