„Der Staat, der Mörder“ unter einer dieser Parolen demonstrierten auch heute, dem dritten Tag nach dem Tod eines 15 jährigem, den ganzen Tagesverlauf über weiterhin Massen vornehmlich junger Leute in ganz Griechenland. Am Montagabend waren es bis zu 10.000 Menschen in der Athener Innenstadt, bei Einbruch der Dunkelheit kam es erneut zu Ausschreitungen.
Stadtzentrum mit roter Farbe angemalt
Die meist jugendlichen Demonstranten bemalten heute große Teile der Panepistimiou-Straße im Stadtzentrum mit roter Farbe, diese sollte das vergossene Blut symbolisieren. Zu der Demonstration hatte die kleine griechische Partei Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) aufgerufen. Der Protest verlief friedlich, Blumen und Kerzen lagen auf dem Pflaster der Tsavella-Straße im Stadtviertel Exarchia. „Nie wieder unschuldiges Blut“, heißt es da unter anderem auf einem Zettel. Die Schulen und Universitäten blieben heute fast überall in Griechenland geschlossen, das werden sie bis Mittwoch aus Protest gegen den Tod des Schülers auch bleiben, sagte der Generalsekretär des Gymnasiallehrergewerkschaft, Kostas Maniatis, im Radio, die Universitätsprofessoren haben den dreitägigen Streik ausgerufen. Auch das Kultusministerium erklärte den Dienstag zum Tag der Trauer für die Schulen. Per SMS hatten Bürger- und Menschenrechtorganisationen die Einwohner Athens dazu angeschrieben, am Montagmorgen auf dem Syntagma-Platz in schwarzer Kleidung für Gerechtigkeit im Falle des toten Schülers zu protestieren. Der Platz liegt im Zentrum Athens und befindet sich direkt am Parlamentsgebäude.
Proteste seit den frühen Morgenstunden
Die Proteste hatten bereits heute früh angefangen, als sich Athener Schüler am Vormittag vor der Universität versammelten und zum Parlament liefen, wo ihnen die Polizei den Weitermarsch zum Regierungssitz versperrte. An der Spitze des Protestzugs trugen die Jugendlichen ein großes Transparent mit der Aufschrift: „Geld für die Schulen, nicht für den Kauf von F-16-Bombern oder Hilfe für die Banken“. Nach einigem Hin und her mit der Polizei begaben sich die Demonstranten zu der seit Sonntag von Studierenden besetzten rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität. Der Verband der Jurastudenten verlangt in einer Erklärung den Rücktritt des Innenministers sowie seines für öffentliche Ordnung zuständigen Stellvertreters. Die ganze „Mörderregierung“ muss weg, hieß es. Rund 150 Vermummte lieferten sich vor der Universität mit Brandsätzen und Steinen Kämpfe mit den Ordnungshütern. Die Polizei, deren Tränengasvorräte offensichtlich erschöpft waren, hätten sich mit Steinwürfen verteidigt, hieß in Medienberichten. Nach griechischem Gesetz darf das Gelände des Polytechnikum und der Wirtschaftsuniversität nicht von der Polizei betreten werden. Wie das griechische Fernsehen jedoch heute im Tagesverlauf berichtete, hätten mittlerweile fast alle Autonome das Polytechnikum inzwischen aber verlassen.
Erneut schwere Ausschreitungen in der Athener Innenstadt
Am Montagabend gab es dann erneut Ausschreitungen, die bis zur Stunde anhalten. Auf dem Syntagma-Platz in Athen ging der riesige Weihnachtsbaum in Flammen auf. Fenster von einem Luxushotel an diesem Platz, dem Athens Plaza, wurden eingeworfen. Die Hotellobby war voller Tränengasschwaden. Ein Hotelmitarbeiter sagte, die Gäste würden evakuiert, später hießt es rund 600 Autonome hätten den Eingang und die Lobby zweier Hotels verwüstet und plünderten mehrere Geschäfte. Am Ort des Geschehens befindet sich auch das historische Hotel Grande Bretagne und die Einkaufsstraße Odos Ermou, die Polizei ging mit einem massiven Tränengaseinsatz gegen die Menschen vor. Entlang der drei großen Einkaufsstraßen Panepistimiou, Stadiou und Skoufa sowie rund um den zentralen Syntagmaplatz brannten nahezu alle Geschäfte. Gewalttäter erreichten am Abend auch den schicken Kolonaki-Platz, wo viele Politiker des Landes wohnen und zerstörten auch dort alle Geschäfte. Nach Berichten des Fernsehsenders Antenna brannte es am Abend auch im griechischen Außenministerium und im Wirtschaftsministerium am Syntagmaplatz. Die Polizei scheint heute Abend machtlos zu sein. Die Protestwelle wird sich voraussichtlich weiter ausweiten, da die Gewerkschaften zu einem schon länger geplanten Generalstreik gegen die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen aufgerufen haben. Aus der Empörung über den Tod des Jungen ist inzwischen eine mächtige Protestwelle geworden. Mehrere Organisationen von Schülern und Studenten kündigen für Dienstag weitere Proteste vor allem am zentralen Omonia-Platz an, unter den Demonstranten sind mittlerweile nicht nur Autonome, sondern auch viele Normalbürger.
Anwalt des Polizisten zurückgetreten
Während die Spekulationen um den Vorgang anhalten, soll in Kürze das Urteil des Gerichtmediziners veröffentlicht werden. Die Familie des Toten hatte darauf bestanden, dass ein eigener Berater an den Untersuchungen teilnahm. Griechischen Medien zufolge deutet alles darauf hin, dass die Kugel den 15-jährigen Schüler direkt in den Leib traf. Der Anwalt, der die Verteidigung des Polizisten übernommen hatte, trat bereits am Samstag von seinem Mandat zurück. Sein Nachfolger soll Medien zufolge ebenfalls einen Rückzug erwägen. Der zurückgetretene Anwalt lies verlauten, dass er einen solchen Mandanten aus Gewissensgründen nicht verteidigen könne. Über den mutmaßlichen Schützen wurde bekannt, dass er wegen seines harten Durchgreifens unter dem Spitznamen „Rambo“ bekannt gewesen sei, berichtete der griechische Rundfunk. „Sie haben ihn kaltblütig ermordet“, sagt Kostas Lilas, ein Augenzeuge. „Dann haben sie sich umgedreht und sind einfach davongegangen, als sei nichts geschehen.“ Die Beamten sitzen im Polizeigewahrsam, am Mittwoch sollen sie dem Haftrichter vorgeführt werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes und Beihilfe zum Mord.
Premier beruft Sondersitzung ein
Der griechische Ministerpräsident Kostas Karamanlis berief für die Nacht zum Dienstag eine Sondersitzung des Ministerrates ein, mittlerweile haben alle politischen Parteien das Vorgehen der Polizisten verurteilt. Nicht nur Innenminister Prokopis Pavlopoulos, ein enger Mitarbeiter vom Premier sondern auch der Staatssekretär des Innenministeriums Panagiotis Chinofotis haben ihren Rücktritt angeboten. Premier Karamanlis lehnte dies aber ab . Zu viele hochrangigen Parteifreunde in seiner Regierung waren in der letzten Zeit zurückgetreten, oder man hatte ihnen auf grund von Korruption nahe gelegt zu gehen. Der Innenminister hatte indirekt Kritik an dem Vorgehen der Polizei geübt. Er sagte, die Rechtstaatlichkeit sei durch diese Ereignisse verletzt worden, der Tod des 15-Jährigen sei jedoch ein „tragischen Einzelfall“, der keine Rückschlüsse auf die Polizei als Ganzes zulasse. Mindestens in vier Fällen wurden dieses Jahr Polizisten wegen übertriebener Gewaltanwendung vom Dienst suspendiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen werfen seit Jahren der griechischen Polizei vor, brutal vor allem gegen Flüchtlinge vorzugehen. Der Chef der oppositionellen Partei der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), Giorgos Papandreou, rief die Bürger des Landes für Dienstagabend dazu auf, Kerzen im Zentrum der Stadt zu entzünden, um an das Opfer der Polizeigewalt zu erinnern. Zudem forderte er indirekt den Rücktritt der Regierung. „Alle junge Menschen sagen heute: Es reicht mit dieser Regierung, die ihre Verantwortung nicht übernimmt“, äußerte er im Fernsehen.
Hoher Sachschaden und Tränengasschwaden
Bei den Unruhen waren seit Samstagabend rund 40 Menschen verletzt worden, schrieben die Medien, der Sachschaden werde auf 100 Millionen Euro geschätzt. Straßenzüge in Athen und im nordgriechischen Thessaloniki boten Bilder wie in einem Bürgerkrieg, hieß es. Mehr als 500 Angestellte der Stadt hätten am Montag in Athen versucht, die Wracks der Autos aus den Straßen zu entfernen. Brennende Barrikaden und massiver Tränengaseinsatz der Sicherheitskräfte legten gestern Abend weite Teile der Innenstadt Athens unter eine dichte Rauchdecke. In einigen Straßen hingen so dicke Tränengasschwaden, dass hunderte Einwohner unter Atemwegebeschwerden litten. Für die schweren Ausschreitungen machte der Premier „extreme Elemente“ verantwortlich. „Deren einziges Motiv ist die Gewalt und die Zerstörung“, sagte der konservative Regierungschef. „Wir werden das nicht dulden“, sagte er weiter. Er rief die Griechen auf, Ruhe zu bewahren und versprach Entschädigungen für die Inhaber der Geschäfte, die beschädigt oder zerstört wurden. Medienberichten zufolge sei auch die weltweite Finanzkrise und die wirtschaftliche Situation in Griechenland eine Ursache für die Ausschreitungen. Viele Jugendliche, auch solche mit einer guten Ausbildung, sähen für sich keine Perspektiven mehr. Das deutsche Auswärtige Amt hat erste Reisehinweise für Griechenlandurlauber auf die Homepage gesetzt. Es müsse damit gerechnet werden, dass sich diese Auseinandersetzungen in den kommenden Tagen fortsetzten. Reisenden wird geraten, sich in den griechischen Medien sowie bei ihren Gastgebern über die aktuelle Lage zu unterrichten. Besuche in den betroffenen Gegenden der Stadtzentren und Demonstrationen sollten gemieden werden.
Zeitungen veröffentlichen Einzelheiten über Alexandros Am dritten Tag werden nun immer mehr Einzelheiten über Alexandros von den Medien veröffentlicht, die ein anderes Bild statt einem gewaltbereiten Randalierer zeichnen. Das Foto von Alexandros war am Montag in allen Athener Zeitungen. Ein Kindergesicht, ein lachender, unbeschwert wirkender Junge, der gern Fußball spielte, im Winter zum Skifahren in die Berge fuhr und mit Freunden in einer Amateurband musizierte. Das Opfer kam keineswegs aus einem sozialen Randmilieu, wie Indymedia bereits berichtete, er war der Sohn einer wohlhabenden Familie und besuchte eine teure Privatschule. Seit der Trennung der Eltern lebte er mit seiner Mutter im Athener Villenvorort Neo Psychiko. „Alexis hatte immer ein Ohr für die Sorgen und Nöte der anderen“, heißt es in der Zeitung Eleftheros Typos die eine Mitschülerin zitiert. „Er schaffte es immer, dir gute Laune zu machen, selbst wenn du ein Wrack warst.“ Alexandros sei zwar gern in den Szene-Stadtteil Exarchia gegangen, habe aber Ärger und Gewalt immer gemieden, erzählen seine Freunde. „Wahrscheinlich war er einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.“ Der Junge hatte große Pläne für sein junges Leben. „Eines Tages werde ich berühmt, dann kennen alle meinen Namen, du wirst schon sehen“, soll er kürzlich zu Freunden gesagt haben.
Solidaritätsaktionen in europäischen Städten
Unterdessen gab es Solidaritätsaktionen in mehreren deutschen und anderen europäischen Städten. In Berlin wurde von ca. 20 Personen die griechische Botschaft am Wittenbergplatz besetzt. Die Demonstranten entfernten die griechische Flagge vom Balkon der Konsularabteilung und brachten ein Transparent mit deutscher und griechischer Aufschrift an der Fassade an. Die deutsche Aufschrift lautete: „Ermordet vom Staat“. Die zum Teil vermummten Demonstranten verhielten sich friedlich, die Mitarbeiter im Konsulat konnten weiter ihrer Arbeit nachgehen. Vor Ort wurde eine Resolution übergeben, mit der gegen den „vorsätzlichen Mord“ protestiert werden sollte. Die Botschaft leitete das Schreiben inzwischen an die Regierung in Athen weiter. Die Polizei hatte nach eigenen Angaben 130 Beamte vor dem Gebäude zusammengezogen, um das Konsulat und den freien Zugang dazu zu sichern. Im Polizeibericht wird beteuert, dass für den Objektschutz der Polizei vor dem Haus die Gruppe nicht zu erkennen war, da im Haus noch verschiedene Betriebe ansässig sei und Publikumsverkehr nicht ungewöhnlich wäre. Zwischen 13 und 16 Uhr fand auf dem Platz vor dem Gebäude eine friedliche Kundgebung von 60 Menschen zum selben Thema statt. Nach rund acht Stunden ging die Besetzung friedlich zu Ende. In der Nacht von Sonntag den 7. Dezember auf Montag den 8. Dezember wurde in Köln das Gebäude in dessen 7. Stock sich das griechische Konsulat befindet mit roten Farbeiern beworfen. Weitere Botschaftsproteste gab es bereits vor der griechischen Vertretung in Zagreb und auch in London gab es eine Besetzung, bei der die Polizei gegen die Demonstranten vorging. Die Demonstranten kappten die griechische Fahne an der dortigen Botschaft und zogen stattdessen die rot-schwarze Fahne der Anarchistenbewegung auf. In Nikosia, der Hauptstadt Zyperns, blockierten hunderte Jugendliche den Eingang der griechischen Botschaft.
Weitere Demonstrationen geplant
Weitere Solidaritätsdemonstrationen gab und gibt es weiterhin in den kommenden Tagen, viele davon werden in den meisten größeren der deutschen Städten stattfinden . Eine Demonstration in Dresden begann am Goldenen Reiter und lief über die Hauptstraße ins so genannte Szeneviertel Neustadt, wo sie sich schließlich auflöste. Um 18:00 sammelten sich am Sonntagabend ca. 100 Teilnehmenden vor der Roten Flora in Hamburg. Die Polizei stoppte die Demo auf Höhe der U-Bahnstation Schlump, später zog die Demo dann noch in Richtung City. In Köln beteiligten sich ca. 300 Menschen an einer Solidemo. Diese zog vom Hauptbahnhof aus durch die belebte Innenstadt bis zum Friesenplatz. Es gab Feuerwerk und Sprechchöre, ein Teil der Menge zog zum griechischen Konsulat. Bereits am Sonntag fand in Kreuzberg eine Demonstration statt, an der rund 150 Menschen teilnahmen. Weitere Demonstrationen sind bereits in Hannover, Dortmund, München, Frankfurt, Bremen und Bern geplant.
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