Sonntag, 28. Dezember 2008

Friedliche Proteste gegen die Mauer

Wie ein Dorf im Westjordanland gegen die israelische Grenzanlage protestiert

Von Jochanan Shelliem

Während die Gewalt im Gazastreifen wieder einmal eskaliert, wird ein kleines Dorf zum Vorbild für friedliche Proteste: Bil'in im Westjordanland. Hier demonstrieren seit drei Jahren Jugendliche aus Europa, Israel und den Palästinensergebieten gewaltlos gegen die israelische Grenzanlage, die mitten durch die Olivenhaine der Dorfbewohner geht.

"Off Shore Zionismus" hatte der Historiker Gadi Algazi die Politik genannt, die Wohnungen und Industrieanlagen im Schatten der israelischen Grenzanlage errichtet. Siedlungen wie das rasant wachsende Mode'in Illit auf israelischer Seite, auch wenn sich die Bewohner des palästinensischen Dorfes Bil'in gegen ihre Enteignung wehren.

"Gleich gegenüber Mode'in Illit finden Sie ein palästinensisches Dorf, das zum Symbol geworden ist in den letzten zweieinhalb drei Jahren und das ist Bil'in."

Berühmt wurde Bil'in, weil es sich seit drei Jahren nicht von seinem gewaltlosen Protest gegen die israelische Mauer abbringen lässt.

"Und Bil'in ist ein winzig kleines Dorf. Die Leute von Bil'in haben schon die meisten ihrer Ländereien verloren, als Mode'in Illit, die Siedlung, gebaut worden ist. Und jetzt sind sie dabei, den Rest ihrer Ländereien zu verlieren, wenn die Mauer so gebaut wird, dass Mode'in Illit noch weiter expandieren kann."

Vorbild der Einwohner von Bil'in war die Geschichte ihrer Nachbargemeinde Budrus. Als sich die Mauer Budrus näherte, organisierten die Olivenbauern mehrere Jahre lang Sitzblockaden und Demonstrationen. Alle Einwohner des 1200 Seelendorfes beteiligten sich daran: Kinder, Frauen und die Alten. Unabhängig von den konkurrierenden Parteien in der Westbank, allein durch ihren hartnäckigen und gewaltfreien Widerstand erreichten sie eine Verschiebung der israelischen Grenzanlage aus ihrem Hain. Ihrer Enteignung konnten sie so entgehen.

"Das heißt, und das ist wichtig, der Verlauf der Mauer reflektiert nicht die Grenze von Israel vor dem Krieg vom 4. Juni 1967, reflektiert nicht mal die Sicherheitsbedürfnisse der Israelis, sondern der künftigen Expansion der Siedlung und der Investition einiger großer Konzerne in Israel, die in diese Siedlungen investiert haben."

In Bil'in hat sich die Auseinandersetzung um den Bau der Mauer in den vergangenen drei Jahren ritualisiert.

"Bil'in selbst, das palästinensische Dorf ist berühmt geworden, weil das Projekt des gewaltlosen Widerstandes dieses Dorfes eine Form angenommen hat, die das Dorf zum Anziehungspunkt für Leute aus der ganzen Welt gemacht hat."

"Ich heiße Abdullah Rahman, ich arbeite als Lehrer und koordiniere die Aktionen unseres Ausschusses gegen die jüdische Siedlung in Bil'in."

Am Morgen liegt das Dorf still an der staubigen Durchgangstraße über die von Zeit zu Zeit ein Schwerlastwagen durch die Schlaglöcher schwankt. Von der Dachterrasse geht der Blick weit ins Tal. Vom Flachdach des von Obstbäumen umwachsenen Hauses des Lehrers kann man die sechsstöckigen Häuserzeilen von Mode'in Illit jenseits der israelischen Grenzanlage sehen.

Über den Hügelkamm, den Hang hinauf quer durch einen Olivenhain zieht sich die Grenzanlage, gesäumt von einer breiten Zufahrtsstraße für das Militär, einem Sandstreifen und einem Zaun. Dass dieses Bauwerk das palästinensische Dorf in einen Herrgottswinkel abgedrängt hat, dagegen können die Bauern nichts tun. Dass ihnen der Zugang zu ihren Feldern verwehrt wird, dagegen tun die eigensinnigen Bewohner in diesem Teil der Westbank, wie ihre Nachbarn im dreißig Kilometer entfernten oder per Wagen in gut zwei Stunden erreichbaren Budrus etwas. Und das sei gut drei Jahren. Ohne die Hilfe aller Parteien.

Weder die Al Fatah, noch die Hamas haben den Dörflern die Organisation ihres Widerstandes aus den Händen nehmen können. Und Bil'in ist kein Einzelfall, sondern das bislang erfolgreichste Projekt des neuen Graswurzelwiderstandes mit internationalem Renomee. Seit gut drei Jahren findet jeden Freitag Punkt eins eine Demonstration zur Mauer statt. Ist das Dorf am Morgen noch verwaist, so ähnelt die Stimmung mittags einem Festival oder einem Feriencamp.

"Ich bin Italiener, wir haben in Gaza gearbeitet, wir wollten einen Kindergarten aufbauen und eine Müllkompostierungsanlage, aber wir wurden evakuiert, Saverio ist mein Name."

"Ich bin Kindergärtnern, wir hatten im Norden von Gaza mit EDUCATE ein Projekt der Universität Bologna. Ich musste auch da weg und war neugierig, wie die Lage in der Westbank aussieht. Ich heiße Ariana."

"Sara, ich bin aus Schweden, studiere Menschenrecht und bin hierher gekommen, um die Palästinenser in ihrem Kampf zu unterstützen."

Ein Fernsehteam ist da, mehrere Fotografen mit Teleobjektiv. Viele Rucksacktouristen, die man hier Internationalisten nennt. Saverio und Sara, Daniel aus New York und Christian aus Kopenhagen sind nicht hier hergekommen, weil die Region im Herrgottswinkel des Westjordanlandes vor Äonen die Helden der Makkabäer hervorgebracht hat, sondern weil sich palästinensische Bauern hier jeden Freitag - immer zur gleichen Zeit - durch Soldatenknüppel, Tränengasgranaten und Gummiummantelte Geschossen im Vorfeld des israelischen Grenzwalls auf ihrem Ackerland eine blutige Nase holen. Ohne Gewehre, ohne Explosivstoffe, aber mit Stöcken und Steinschleudern, die in der Hand junger Palästinenser tödlich sein können.

"Wir haben eine gewaltlose Demonstration organisiert, wollen zur 'Apartheids-Mauer' ziehen. Wir tragen keine Waffen. Hier sind nur Zivilisten. Wir haben nichts in der Hand als ein Paar Schilder mit Aufschriften gegen die Besatzung und die Apartheid. Scheiße."

Steinschleudern werden in Bil'in nicht als Waffe angesehen, sie gelten als legitimes Werkzeug eines gewaltlosen Widerstands. In der Männersprache von Nahost geht den Unterlegenen auch darum, das Gesicht zu wahren. Derweil die israelischen Soldaten militärisch reagieren. Sie haben einen anderen Gewaltbegriff.

"Sehen sie, welche Gewalt die Israelis einsetzen. Sie schießen jetzt mit Tränengasgranaten."

In dieser Woche hat das oberste Gericht von Israel den Bauern von Bil'in Recht gegeben und angeordnet, die israelische Mauer auf ihren Feldern abzubauen. Ein Sieg der israelischen Demokratie in einem abgelegenen palästinensischen Dorf, dessen Schicksal längst in aller Welt mit aufmerksamen Mausklicks verfolgt wird. Und vielleicht auch ein Beispiel für die Entfernung der palästinensischen Bevölkerung von ihren Führern.

In diesem Dezember hat der Oberste Gerichtshof Israels entschieden, dass den Einwohnern von Bil'in für die enteigneten Grundstücke eine Entschädigung zusteht, doch die Palästinenser wollen ihr Land zurück. Die Freitags-Demonstrationen finden weiter statt und werden ab und zu von Parlamentarieren aus Ramallah besucht.

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