Sonntag, 14. Dezember 2008

Polizei Berlin in der Krise

Passend zu Weihnachten brennt es bei der Berliner Polizei an allen Ecken und Enden. Schuld daran sind eine Reihe Skandale und die öffentliche Wahrnehmung. Denn die schon seit langem bekannten Zustände in der Behörde interessieren jetzt auch die Mainstreampresse. Kommt als Konsequenz endlich die Kennzeichnungspflicht?
Tatort Mommsenstadion, Berlin-Charlottenburg
Ein Mann wird von zwei Polizisten bedrängt. In einer Hand ein Telefon redet er ruhig mit den Beamten. Urplötzlich wird er angegriffen. Zuerst landet die Polizeifaust in seinem Gesicht, danach in dem der Person daneben, die zu Boden geht. Mutmaßlicher Täter ist ein Hundertschaftsführer, gesehen auf Youtube, gelesen unter anderem in der Morgenpost. (Links finden sich unten.) Die Prügel-Attacke ist das neueste Ereignis in einer Kette von Vorfällen, die seit einigen Wochen Stadt und Polizei beschäftigen. Dass es sich hier um ein Spiel des Hooligan-Clubs BFC Dynamo trifft, muss erwähnt werden, bleibt aber für den Gegenstand des Artikels unwichtig.

Die Berliner Polizei und vor allem ihre Hundertschaften - ohnehin über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für Brutalität und Willkür - stehen zunehmend in der öffentlichen Kritik. Gewalt, rechte Gesinnung oder verbotene Ausrüstung sind einige der Vorwürfe, die an die Staatsmacht gerichtet werden. Und der öffentliche Druck wächst.

Seit gut einem Monat vergeht nun fast keine Woche ohne einen neuen Skandal. Mitte November hatten Berichte ein großes öffentliches Interesse geweckt, wonach Hundertschaftsbeamte von ihren Vorgesetzten dazu gedrängt wurden, sich Handschuhe mit Quarzsandeinsatz anzuschaffen. Diese Handschuhe gehören nicht zur offiziellen Ausrüstung der Berliner Polizei und sind per Dienstanweisung verboten. Die Handschuhe sollen eine bessere Schlagkraft entwickeln und dabei die eigene Hand besser schützen. Dass diese Handschuhe allerdings weit verbreitet sind und ständig zum Einsatz kommen, ist sowohl in der Polizei als auch bei politisch Aktiven kein Geheimnis. Ob im Polizeiforum „copzone.de“ oder bei Indymedia, die Reaktion lautete oft: „Wie, die sind verboten?“

Provokationen, überhartes Vorgehen, verbotene Ausrüstung und Thor Steinar
Neben dem Handschuhverdacht wurde einzelnen führenden Hundertschaftsmitgliedern aber auch vorgeworfen, unverhältnismäßiges Handeln praktiziert und gefördert zu haben. Außerdem sollen sie sich bewusst provozierend verhalten haben. Die Vorwürfe beziehen sich anscheinend auf Einsätze bei Demonstrationen und Fussballspielen. Herausgekommen waren die Vorgänge in den Hundertschaftszügen der Direktion 4 nach Beschwerden einzelner Mitglieder der Einheiten. Gegen sieben Führungskräfte wird nun ermittelt, sie sind von ihren Aufgaben entbunden worden.

Aber schon gut eine Woche zuvor hatte die Berliner Polizei für Schlagzeilen gesorgt – und zwar in Potsdam. Nachdem tagsüber knapp 2.000 Menschen für den Erhalt subkultureller Projekte und gegen eine Preußen verherrlichende Stadtpolitik demonstrierten, kam es am Abend zu einer spontanen Party in einer leer stehenden Lagerhalle. Mitten in der Nacht rückte die 24. Einsatzhundertschaft nach Potsdam aus um dort die besagte Party zu räumen. Dies geschah offensichtlich auf brutale Art und Weise, und erst als die Feiernden schon friedlich aus der Halle gingen. Mittlerweile ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft gegen Beamte wegen des Verdachts auf Körperverletzung. Auch die Potsdamer Polizei übte Kritik am Einsatz der sogenannten Kolleginnen und Kollegen aus Berlin.

Neben einem Gewaltproblem gibt es aber auch ein Problem mit rechter Gesinnung innerhalb des Apparats. Immer wieder wird von Einsatzkräften berichtet, die offen Codes und Marken der rechten Szene tragen. Besonders unsäglich ist hier der Fall eines jungen Zivilpolizisten. Dieser hatte am 9. November ausgerechnet bei einer Gedenkdemonstration zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht mit dem Tragen von Thor-Steinar-Kleidung provoziert. Gegen ihn läuft nun ein Disziplinarverfahren. Gegen einen weiteren Polizisten wird ebenfalls disziplinarrechtlich ermittelt. Dieser soll trotz mehrfacher Gegenanweisung Thor-Steinar-Kleidung im Dienst und vor Gericht getragen haben. Besonders der Vorfall am 9. November hat das kritische Interesse der Mainstreammedien geweckt. In einem Interview mit der Taz sieht sich der Berliner Polizeipräsident etwa mit dem Vorwurf konfrontiert, es gäbe einen rechten Bodensatz bei der Polizei. Außerdem ruft Glietsch Antifaschistinnen und Antifaschisten zur aktiven Mithilfe bei der Identifizierung von rechtsgesinnten Polizeimitgliedern auf. „Die Antifa soll sich melden“, zitiert ihn die Taz in ihrer Überschrift.

Prügeln an Nikolaus
Ein weiteres Beispiel ist der Polizeieinsatz während des Naziaufmarsches am 6. Dezember im Bezirk Lichtenberg. Trotz mehrfacher Blockaden gegen den Aufmarsch sah sich die Polizei gewillte den Nazis die Strecke freizuräumen. Dabei gingen die Hundertschaften nicht zimperlich vor. Nicht nur aktive Antifaschistinnen und Antifaschisten berichten von brutalen Szenen. Auch Lichtenbergs Bezirksbürgermeisterin konnte die Staatsgewalt gleich persönlich miterleben. Sie wurde mehrmals von der Strecke geräumt. Zudem äußerten anwesende Mitglieder des Abgeordnetenhauses im Nachhinein Kritik am Einsatz. Im Vorfeld der Nazidemo waren außerdem praktisch alle Gegenproteste in der Umgebung verboten worden.

Und nun also die doppelte Boxeinlage im Mommsenstadion. Der Tathergang ist auf dem veröffentlichten Video eindeutig. Gegen den Polizisten laufen disziplinarrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung, er ist von seinen Aufgaben entbunden. Bemerkenswert ist, dass die Polizei erst nach dem Bekanntwerden des Videos aktiv wurde. Auf dem Video ist allerdings gut zu sehen, dass der Vorgang auch von einer Polizeikamera mitgefilmt wurde. Der Theorie nach wären hier schon interne Ermittlungen begründet, die Praxis ist allerdings eine andere. Es ist in kundigen Kreisen bekannt, dass bei potentiell belastenden Szenen die Kamera schon mal plötzlich aus ist oder den Boden filmt.

Die Zustände bei der Berliner Polizei sind keine Neuigkeit. Allerdings ist es erstaunlich, dass die Stimmung in der Berliner Mainstreampresse zu kippen scheint. Werden sonst Polizeidarstellungen oft einfach übernommen, konnte man in den letzten Wochen Recherchen, Nachfragen und Kritik vernehmen – und das nicht nur in den linkstendierten Blättern. Interessant ist auch, dass eine Videoaufnahme so viel bewirken kann, vor allem weil es nicht das erste Video ist, was Polizeigewalt zeigt. Außerdem äußern sich auch öffentlichkeitswirksame Personen wie etwa Abgeordnete mittlerweile deutlich, wenn sie Kritik formulieren. Das macht diese Personen noch nicht zu Heldinnen und Helden, zeigt aber, dass auch sie auf Druck von unten reagieren müssen.

Glietsch will jetzt Namensschilder
Die Berliner Polizeikrise zeigt ihre Wirkungen neben den ohnehin schon zahlreichen internen Ermittlungen. Verschiedene Beobachterinnen und Beobachter wollen bereits erste Anzeichen für einen Strategiewechsel bei Demonstrationen gesehen haben. Als Beispiele werden hier die Mietdemo, die Solidaritätsdemo zu Griechenland und die Antirepressionsdemo genannt. Die Polizei verhält sich angeblich zurückhaltender. Ob diese Beobachtungen nur Zufall sind oder tatsächlich mit der erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit zu tun haben, ob sie vielleicht auch nur das Ergebnis befristeter Anweisungen von oben sind, kann noch nicht geklärt werden. Ein weitere Anhaltspunkt sind auch die Gerüchte, wonach der 21. und 23. Hundertschaftszug komplett aufgelöst bzw. ausgetauscht worden sind. Die Gründe sollen auch hier interne Kritik an der Einsatzführung sein. Ob diese Gerüchte wahr sind, lässt sich nicht überprüfen, Hauptquelle ist die Selbstauskunft eines Mitglieds der 23. Hundertschaft am Rande eines Einsatzes.

Viel gewichtiger ist aber die überraschende Ankündigung des Polizeipräsidenten Dieter Glietsch, mit der Umstellung auf blaue Uniformen wird es auch Namensschilder für fast alle Polizeieinheiten geben, inklusive der Hundertschaften. Eine solche Maßnahme wird schon seit langem gefordert, auch innerhalb der Berliner Regierungskoalition. An eine Umsetzung war allerdings bislang nicht zu denken. Gerade Dieter Glietsch betonte immer wieder, dass er erst davon überzeugt werden wolle, dass Namensschilder oder Dienstnummern tatsächlich Fehlverhalten der Polizei verhindern. Vielleicht sind es ja gerade die gehäuften Vorfälle und die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit, die diesen Meinungswandel bewirken. Unterstützend wirkt zudem noch eine Studie von der FU Berlin. Danach wurden unter gut 140 Ermittlungsverfahren gegen die Polizei zwölf Verfahren ausgemacht, bei denen eine individuelle Kennzeichnung die Ermittlungsarbeit erleichtert und eventuell zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätte.

Die Berliner Polizei wird sicher einen Umgang mit den Vorwürfen gegen sie und ihre Methoden finden. Auch wird die gegenwärtige Entwicklung nicht zur freiwilligen Selbstauflösung der Behörde führen. Und selbst das spezielle Problem „Berliner Polizei“ wird erhalten bleiben. Ohnehin: Eine Auseinandersetzung mit den Konzept und Praxis von Staatsgewalt und Rechtsstaat muss selbst dann noch stattfinden, wenn auf Demonstrationen Gummibärchen statt Pfefferspray verteilt werden. Dennoch kann man sehen, dass durch Dokumentation, Pressearbeit und den Kontakt zur an sich ungeliebten politischen Elite Druck auf die Polizei ausgeübt werden kann. Wenn das am Ende dazu führt, sich nicht mehr so häufig auf Demonstrationen verprügeln lassen zu müssen oder das ein oder andere Verfahren gegen die Polizei ein wenig mehr Erfolgsaussichten bekommt, dann kann man das schlussendlich positiv bewerten. Und wir sind gespannt, was in der nächsten Woche zum Vorschein kommt.

Weiterführende Links:

Boxbulle:

Direktion 4 in der Kritik:

24. Hundertschaft zu Besuch in Potsdam:

Thor Steinar bei der Polizei:

Naziaufmarsch 6.12.2008:

Namensschilder:

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