Donnerstag, 6. Mai 2010

Griechenland: Militanz bis in die Mitte

Statt nach dem Tod dreier Bankangestellter in Griechenland über linke Gewaltakte zu diskutieren, schieben im Netz viele den Opfern selbst die Schuld für ihren Tod zu.

VON F. LEE & M. TSOMOU


Wegen ihres militanten Auftretens sind griechische Anarchisten in weiten Kreisen der linksradikalen Szene gern gesehene Gäste bei Protesten.

Um 14.51 Uhr gibt es auf der linken Internetseite Indymedia noch einen wütenden Eintrag: Angesichts des größten Sparpakets, das ein EU-Land je erlebt hat, sei es für einen linken Aktivisten ein Muss, sich mit den griechischen Demonstranten zu solidarisieren. Es wird zu Protesten und Kundgebungen vor der griechischen Botschaften und Konsulaten in Deutschland aufgerufen. Um 15.09 Uhr antwortet einer: "Scheinbar drei Tote in Athen in einer Bank."

Für eine kurze Weile wird es auf dem sonst so diskussionsfreudigen Portal still. Dann die ersten Reaktionen: Ein Indymedia-Nutzer zitiert einen angeblichen Beobachter vor Ort, demzufolge es sich bei dem Brand um einen gezielten Anschlag im Schutze der Demonstration gehandelt habe, da in dem Gebäude Akten über einen Steuerhinterziehungfall gelagert seien. Und ein weiterer Nutzer schreibt: "Rafft ihr's immer noch nicht? Entweder war es eine griechische Tränengasgranate oder noch viel schlimmer: Der Boss der Bank hat den Angestellten verboten, sich am Streik zu beteiligen". Der Filialleiter habe die Angestellten eingeschlossen. Zudem erfülle das Haus nicht die Brandschutzbestimmungen. Und eine schöne Versicherung werde nun wohl auch noch fällig.

Protest und Gewalt
OPFER Drei Tote und 54 Verletzte gab es bei der Massendemonstration in Athen. Am Mittwoch hatten über 100.000 Griechen gegen radikale Sparmaßnahmen wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Kürzungen für Beschäftigte und Pensionäre protestiert, wobei es zu blutigen Ausschreitungen kam.
TRAUER Bei den Toten handelt es sich um drei Bankangestellte, die in einer brennenden Filiale erstickten. Demonstranten hatten das Gebäude angezündet. Aus Protest gegen den Tod ihrer Kollegen traten am Donnerstag die Bankangestellten in Griechenland in den Streik.
Wäre ein Demonstrant umgekommen - nicht nur bei griechischen Demonstranten wäre die Empörung groß. Binnen weniger Stunden wären auch deutsche Linksradikale auf der Straße. Doch nun sind es drei verbrannte Bankangestellte. Trotz ausgerufenem Generalstreik haben sie sich nicht an den Protesten beteiligt. Und bei den Tätern, die das Gebäude angezündet haben, handelt es sich laut aktueller griechischer Medienberichterstattung um Demonstranten. Sollte sich dies bestätigen - es wäre das erste Mal seit Jahren, dass Unbeteiligte in Westeuropa wegen linken Demonstranten ums Leben kommen. Doch statt über Sinn und Risko linker Gewaltakte zu diskutieren oder Empathie für die Opfer zu zeigen, lancieren viele Diskussionteilnehmer auf Indymedia Verschwörungstheorien. Oder schieben den Opfern die Schuld für ihren Tod zu.

Noch ist nicht klar aus welchem Spektrum die Brandstiftern genau stammen - obwohl die meisten Medien in Griechenland bereits ganz selbstverständlich von Tätern aus dem anarchistischen und autonomen Spektrum schreiben. Das ist bisher unbewiesen, aber nicht unwahrscheinlich. Schon beim G8-Gipfel 2001 in Genua machten griechische Autonome auf sich aufmerksam, als sie Gebäude mit Molotowcocktails anzündeten. Und auch in Genua befanden sich noch überraschte Bewohner in den oberen Stockwerken, als es im Erdgeschoss lichterloh brannte. Wegen ihres militanten Auftretens sind griechische Anarchisten seitdem in weiten Kreisen der hiesigen linksradikalen Szene gern Gäste bei Protesten - und werden von den gemäßigten Protestinitiativen entsprechend verschmäht.

Das Erstaunliche nach dem Tod der drei Bankangestellten: Nicht nur einigen linksradikalen Indymedia-Nutzern in Deutschland fehlt es bislang an Distanz zu den Tätern. Die Distanzierung von den militanten Anarchisten und Autonomen fällt in diesem konkreten Fall auch bei den gemäßigten Protestgruppen in Griechenland weitgehend aus.

"Natürlich sind nun viele geschockt", beschreibt die griechische Journalistin Kaki Bali die Stimmung bei den Gewerkschaften. Die konkrete Straftat werde unisono verurteilt. Und Bali geht davon aus, dass "die Todesfälle die Proteste zumindest für einige Tage lähmen wird". Die beiden großen griechischen Gewerkschaften GSEE und ADEDY haben aber angekündigt, dass sie weiter gegen die rigiden Sparpläne der Regierung protestieren werden. Und die Gewerkschaft der Bankangestellten OTOE geht sogar noch weiter.

Sie hat als Reaktion auf den Tod ihrer drei Kollegen am Donnerstag zwar zu einen 24-stündigen Streik aufgerufen und die sofortige Bestrafung der Täter gefordert. Doch in der gleichen Erklärung weisen sie daraufhin, dass es neben den "konkret-physischen Brandstiftern" auch "ethische Brandstifter" gebe. "Der Tod unserer Kollegen", so der Wortlaut, sei auch "eine tragische Folge der unsozialen Maßnahmen, die die Wut und den Protest Hunderttausender nach sich ziehen. "Die ,ethischen Brandstifter' sind in der aktuellen Politik, in der miserablen Polizeitaktik und den Führungsetagen der Banken zu suchen, die die Bank-Angestellten mit erpresserischen Maßnahmen davon abgehalten haben, die Bank zu verlassen." Die Autonomen werden nicht kritisiert.

Die Bankleitung wird auch deswegen so scharf verurteilt, weil seit Donnerstag ein Brief eines Kollegen der drei Verunglückten im Umlauf ist. Diesem Brief zufolge hat es in der Filiale seit Tagen eine Diskussion um die Schließung der Filiale gegeben, da sie sich an einem zentralen Punkt der Demonstrationsroute befindet und bekannt ist, dass Banken derzeit für die militanten Autonomen die zentralen Angriffspunkte darstellen.

Am Morgen der Demonstration hätten die Angestellten mehrmals darum gebeten, das Gebäude verlassen zu dürfen. Mit der Drohung der sofortigen Entlassung seien sie jedoch von ihrem Filialleiter gezwungen worden, im Gebäude zu bleiben und die Türen zu verriegeln.

Der Angestellte prangerte zudem den miserablen Feuerschutz des Gebäudes an. Die Bank habe weder über Notfallausgänge noch Löscheinrichtungen wie etwa Deckensprüher verfügt.

So wie das "Skaramanga-Plenum", das Vernetzungstreffen der griechischen Autonomen und Anarchisten in Athen, das in dem Filialleiter den "wahren Mörder" sieht, gibt auch die Bankangestellten-Gewerkschaft ihm die Schuld.

Dabei sind die Anarchisten und Autonomen auch in Griechenland gerade in den vergangenen Jahren auch in den gemäßigten Protestkreisen massiv in Misskredit geraten. Über deren zunehmende Radikalisierung und Militanz waren die ansonsten sehr protesterprobten Gewerkschaft und die Kommunistische Partei dann doch entsetzt und fragten sich, ob man all die Jahre nicht allzu leichtfertig mit der Gewaltfrage umgegangen war.

"Unglaublich, wie hier der Mord an drei Menschen als ,unerfreuliches Ereignis' heruntergespielt wird, empört sich dann doch noch ein Nutzer auf Indymedia Deutschland. "Wer Brandsätze auf Gebäude wirft, in denen sich Menschen befinden, handelt unverantwortlich und nicht ,revolutionär'." Es stehen inzwischen ein paar solcher Einträge auf dem linksradikalen Portal. Nur wurden sie von den Moderatoren der Seite in die Rubrik "Keine inhaltliche Ergänzung" verschoben.

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