Dienstag, 25. Mai 2010

Deutsche Schüler Weltmeister bei Sex-Kenntnissen

Eine neue Studie bringt es ans Licht: Mit dem Thema Sexualität und Sexualpraktiken kennt sich im internationalen Vergleich niemand besser aus als deutsche Schüler – die Kenntnisse stammen oft aus dem Sexualkundeunterricht. Doch über ihren Körper wissen die Schüler so wenig wie nie zuvor.

Schüler und junge Erwachsene in Deutschland wissen zwar viel über Sex, aber wenig über den eigenen Körper.
Schüler und junge Erwachsene in Deutschland wissen zwar viel über Sex, aber wenig über den eigenen Körper.
 

Der weltweit führende Kondomhersteller Durex hat vergangenen Winter eine Art eigene Pisa-Studie erstellt. Aus dieser Erhebung stechen deutsche Jugendliche und junge Erwachsene unter 26 Ländern mit den weltweit besten Kenntnissen über Sex und Sexualpraktiken hervor. Die Studie ist repräsentativ. In sie sind die Ergebnisse von 26.000 Befragten weltweit eingegangen. Dabei zeigte sich, das drei Viertel der Schüler und der jungen Erwachsenen wissen, wie sie sich vor Geschlechtskrankheiten schützen können, zwei Drittel, wie man eine Schwangerschaft vermeidet. Ihre intimen Kenntnisse, so gab mehr als die Hälfte der befragten Musterschüler an, hätten sie im Sexualkundeunterricht erworben.

Ob die weltweit führende Besserwisserei von deutschen Kindern und Jugendlichen bei allem, was sich zwischen den Geschlechtern so regt oder auch schieflaufen kann, tatsächlich einen pädagogischen Gewinn darstellt, ist sehr umstritten. Die Ärztin Gisela Gille hält seit vielen Jahren Mädchensprechstunden in Schulen ab, redet mit Jugendlichen über erste Liebe, Pubertät und Geschlechtskrankheiten. Dabei beobachtet sie bei aller theoretischen Beschlagenheit erhebliche emotionale Schwächen – und eine erstaunliche Verklemmtheit.

Gille ist Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V. „Die Aufklärung hat sich schon sehr verbessert“, sagt sie, „alle wissen offenbar alles.“ Aber wie der eigene Körper funktioniere, sei dennoch unbekannt – und das in einem Umfeld, in dem viele Grundschüler schon Pornos gesehen haben und auf dem Schulhof kleine Schmuddelvideos von Handy zu Handy wandern. Jedes dritte Kind hat mit elf oder zwölf Jahren schon pornografische Bilder oder Filme vor sich, stellte sich im vergangenen Jahr in einer „Dr.-Sommer-Studie“ der „Bravo“ heraus. Unter den Älteren bis 17 Jahren sind es sogar schon 75 Prozent.

Dennoch schämen sie sich immer noch wie die Generationen vor ihnen, wenn sie über sich selbst reden sollen. „Die Mädchen wissen, wie ein Dildo funktioniert, was Blasen ist, was Analsex. Aber sie kommen ins Stottern bei der Frage, wann genau sie zum ersten Mal die Pille nehmen sollten“, sagt Gille.
 
Körperlich schon früh gereift, sei das eigene Geschlecht für die meisten Jugendlichen wie ein großer weißer Fleck, den sie schamhaft verschweigen – „weggepackt, mit einer Damenbinde umwickelt, fertig“. Deshalb sei auch der gemeinsame Sexualkundeunterricht von Jungen und Mädchen nicht günstig, sagt Gille. „Vor Jungs, die feixen und lachen, fragen Mädchen nichts – und umgekehrt“, sagt die Ärztin. „Gute Lehrer spüren das und trennen für die Sexualkundestunden die Jungen und Mädchen mal auf.“

Auch der Lehrstoff müsse neu geordnet werden, sagt die Ärztin. „15-jährige Mädchen schwärmen von Babys. Aber beim Thema Aids schauen sie gelangweilt aus dem Fenster.“ Überhaupt verlaufe das Thema Krankheiten im Sexualkundeunterricht „sehr schräg“. Es sei zu viel von Aids die Rede und zu wenig von den verbreitetsten und gefährlichsten Geschlechtskrankheiten. „Chlamydien sind die häufigsten sexuell übertragbaren Krankheitserreger, bis heute haben viele nie etwas davon gehört.“ 2005 ließen sich in Berlin mehr als 500 Frauen nach ungeschütztem Geschlechtverkehr testen. Bei jeder zehnten 17-Jährigen entdeckte man eine frische Infektion, acht Prozent der 20-Jährigen waren betroffen, vier Prozent der 15-Jährigen.

„Einen guten, biologisch versierten Unterricht kann man von einem Lehrer erwarten, mehr in der Regel nicht“, sagt Gille. Pornos, Liebeskummer, das erste Mal – bei diesen Themen kann der Biologielehrer nicht helfen, kommt aber auch meistens nicht in die Verlegenheit, das Gegenteil beweisen zu müssen. „Über alles, was tiefer geht als biologische Aufklärung, wollen Jugendliche sowieso nicht mit ihren Lehrern sprechen“, sagt der Dortmunder Sexualpädagoge Martin Gnielka. Für solche Gespräche sei es gut, wenn die Mitarbeiter von Sexualberatungsstellen in die Schulen kämen.

In Deutschland geschieht das aber offenbar noch zu selten. Denn auch das hat die Durex-Studie gezeigt: Die meisten fühlen sich schlecht gewappnet für den Sturm pubertärer Gefühlswirrungen. Was will ich, was nicht? Wie mache ich Schluss? Hatte ich guten Sex? Jeder Zweite wäre darüber gern besser aufgeklärt worden.

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