Mysteriöser Kriminalfall
Von Julia Jüttner
Hamburg - Fast auf den Tag genau vor vier Jahren betrat Benedikt T. das Münchner Polizeipräsidium, geladen zur Vernehmung als Zeuge im Mordfall Charlotte B. Als die Sonne untergeht, gilt Benedikt T. als Tatverdächtiger. Die Ermittler sind sich einig: Der damals 31-Jährige tötete seine vermögende Tante, Besitzerin eines Parkhauses im Glockenbachviertel, aus Habgier. Seither sitzt Benedikt T. in Haft - und beteuert seine Unschuld.
Frauke kann sich noch an jedes Detail jenes 18. Mai 2006 erinnern. Sie ist mit Benedikt T. verlobt. Die beiden kennen sich seit der Schulzeit in Germering. Bence, wie Benedikt T. von ihr und seinen Freunden genannt wird, hatte versprochen, sie anzurufen, sobald die Befragung der Mordermittler beendet sei. Doch Bence meldet sich nicht.
Das Gefühl, diese aufkeimende Angst, die sie damals beschlich, übermannt Frauke noch heute. Sie sagt, ein Beamter habe schon nach der ersten Vernehmung durchblicken lassen, dass man Bence als Verdächtigen im Visier habe. Doch Bence bleibt entspannt, er schickt gar seinen Rechtsanwalt nach Hause, weil er glaubt, ihn nicht zu brauchen. Strafverteidiger Peter Witting fragt sich bis heute: Hätte er sich dem Wunsch seines Mandanten widersetzen sollen? Vielleicht wäre dann alles anders gekommen?
Bence kommt in Untersuchungshaft und wird des Mordes angeklagt. Alles wird sich aufklären, denkt Frauke. Denkt Bences Bruder Mate. Denkt der komplette Freundeskreis. Das Verfahren mutiert zu einem der spektakulärsten Indizienprozesse der Münchner Kriminalgeschichte. Aus 13 Verhandlungstagen werden 93. Rund 15 Monate lang schleppen sich die Prozessbeteiligten in den fensterlosen Schwurgerichtssaal am Münchner Landgericht. An jedem Gerichtstag sitzt mindestens einer von Bences Freunden als Beobachter auf der Zuschauertribüne. Wenn ihr Kumpel den Saal betritt, stehen sie auf, um ihm ihren Beistand zu demonstrieren.
Die Münchner Autorin und Regisseurin Daniela Agostini hat Bences Verlobte und seine Freunde in dieser Zeit mit der Kamera begleitet. Entstanden ist "Anklage Mord: Ein Freund vor Gericht", ein einfühlsamer Film, der dokumentiert, welch weite Kreise ein Verbrechen ziehen kann. "Es gibt mehr als Opfer und Täter: Da hängen noch viele Leute mit drin", sagt die Filmemacherin. Der Zusammenhalt von Bences Umfeld hat sie fasziniert. "Unglaublich, wie ein so großer Kreis so fest an die Unschuld eines Menschen glauben kann."
Bence wird wohl bis 2028 im Gefängnis bleiben
Für Bences Freunde, aber wohl auch für ihn selbst, ist der Film ein quälender Zeitraffer: In 90 Minuten durchleben sie mehr als drei Jahre des Hoffens und Kämpfens für Gerechtigkeit, jede Sekunde dokumentiert ihre wachsenden Zweifel am deutschen Rechtssystem. Viele Indizien kann man so deuten, dass Bence seine Tante tötete, wenige entlasten ihn. Am Ende stehen seine Familie und Freunde ohnmächtig vor einem Urteilsspruch, den sie nicht erwartet haben: Bence muss lebenslang hinter Gitter.
Die Gesamtschau aller Indizien hat die Kammer von Bences Täterschaft überzeugt. So sehr, dass sie zusätzlich die besondere Schwere der Schuld erkannte. Die lebenslange Freiheitsstrafe kann daher nach 15 Jahren nicht automatisch zur Bewährung ausgesetzt werden. In Bayern werden verurteilte Mörder frühestens nach 22 Jahren vorzeitig entlassen.
Bences Verteidiger legt Revision ein, die der Bundesgerichtshof im Frühjahr 2009 ablehnt. Eine Verfassungsbeschwerde wird im November 2009 verworfen. Bence muss bis zum Jahr 2028 in Haft bleiben.
Für seine Freunde jedoch bleibt der Mord an der reichen Parkhausbesitzerin Charlotte B. bis heute ungeklärt. Sie sind noch immer davon überzeugt, dass nicht Bence es war, der die 59-Jährige am 16. Mai 2006 in ihrer Penthouse-Wohnung über der Parkgarage in der Baaderstraße tötete. Den Ermittlungsakten zufolge muss der Täter in Rage gewesen sein: Mit einem Gegenstand, der bis heute nicht gefunden werden konnte, wurde der Millionärin mit 25 Schlägen der Kopf zertrümmert.
Für die Schwurgerichtskammer und den Oberstaatsanwalt ist der Fall dagegen eindeutig: Die kinderlose Charlotte B., mit dem geerbten Vermögen ihres verstorbenen Mannes überfordert, hatte ihren "Lieblingsneffen" Bence als ihren Nachfolger auserwählt. Jedoch nicht ohne Gegenleistung: Der junge Mann sollte Jura studieren. Dann erst sollte er ihr Imperium übernehmen dürfen, im Falle ihres Todes ihre Millionen erben.
"Bence ist ein Mensch, der mit Gewalt nichts anfangen kann"
Charlotte B. war, so stellt sie die TV-Doku dar, wohl eine anspruchsvolle, dominante und vereinnahmende Frau, deren Skepsis sich zu einem tiefen Misstrauen allen anderen Menschen gegenüber entwickelte. Bence soll laut Ermittlern seine Tante getötet haben, weil er fürchtete, sie käme ihm auf die Schliche. Denn Bence studierte längst kein Jura mehr, sondern gaukelte das nur seiner Familie und seinen Freunden vor. Wenn seine Tante, so sehen es Ankläger und Kammer, davon erfahren hätte, hätte sie ihm sofort jegliche Unterstützung verweigert und ihn enterbt.
Autorin Agostini lässt in ihrem Film Bences Freunde, die ihn seit Schultagen kennen, sprechen - über den Menschen Bence, seinen Humor, sein Faible für Ironie und seine Passion, das Theaterspielen. "Er ist einer, der mit Gewalt nichts anfangen kann. Und so einer soll einen anderen Menschen, zu dem er eine enge, emotionale Bindung hat, ermordet haben?", fragt zum Beispiel Jochen.
Agostinis Dokumentation zeigt anhand von privaten Videoausschnitten die Metamorphose eines fröhlichen, unbeschwerten 100-Kilo-Mannes zu einem eingefallenen, ernsten Angeklagten, der sich 40 Tage lang in einen Hungerstreik stürzt in der Hoffnung, seiner Verzweiflung Ausdruck geben zu können. Doch auf Drängen seines Freundeskreises, der um sein Leben fürchtet, bricht er seinen passiven Widerstand ab.
Der Film wirft beim Zuschauer Fragen auf: Wie würde ich mich als Freund, Verlobte oder Bruder verhalten?
Auf wen kann ich zählen, sollte ich in eine ähnliche Situation gelangen?
Wie viel Hoffnung trägt ein Mensch in sich?
Wie viel Enttäuschung verkraftet man?
Bences Verlobte lebt "seit Jahren in einer Zeitschleife"
Frauke, die ungern im Mittelpunkt oder in der Öffentlichkeit steht, lässt sich geduldig mit der Kamera begleiten, wenn sie zu ihrem Verlobten ins Gefängnis Stadelheim fährt; lässt sich filmen, wenn sie zitternd vor den Gefängnismauern steht, die nackte Angst im Gesicht. "Für uns waren die Dreharbeiten ein Ventil, mit jemandem über unsere Gefühle sprechen zu können", sagt Frauke. Im Film konstatiert sie: "Ich lebe seit Jahren in einer Zeitschleife."
Bence sitzt heute im Hochsicherheitstrakt der JVA Straubing. Vor wenigen Tagen wurde in seiner sieben Quadratmeter großen Einzelzelle der Fernseher installiert, den seine Eltern und Frauke beantragt haben.
Seine Freunde sind davon überzeugt, dass er sich die TV-Doku am Samstag anschauen wird. "Ich glaube, er kann sich bis heute nicht vorstellen, wie intensiv wir alle unser Herz in den Fall gelegt haben", sagt Frauke. Ihre Angst um Bence dominiert ihre Stimme. "Er hat das Urteil noch immer nicht akzeptiert, vertritt noch immer vehement seine Position, dass er unschuldig ist. Ich weiß nicht, wie lange er noch die Kraft hat, sich abzustrampeln - und was er tut, wenn ihm klar wird, wie seine Zukunft aussieht. Schon jetzt ist unsere Realität nicht mehr seine."
Tagsüber fliehe er in die stupide Arbeit der Gefängnisdruckerei, abends sorge er mit philosophischen Klassikern und anderer Kultur für den geistigen Ausgleich, sagt Frauke. Mitbringen darf sie ihm nichts, nur seine Schmutzwäsche mitnehmen. Insgesamt fünf Stunden pro Monat kann Bence Besuch empfangen, maximal drei Personen auf einmal.
Die Liste derjenigen, die ihn gern persönlichen sehen würden, ist lang. Sie wird es bleiben.
"Anklage Mord: Ein Freund vor Gericht", Samstag, 22. Mai, 22.10 Uhr, BR
Frauke kann sich noch an jedes Detail jenes 18. Mai 2006 erinnern. Sie ist mit Benedikt T. verlobt. Die beiden kennen sich seit der Schulzeit in Germering. Bence, wie Benedikt T. von ihr und seinen Freunden genannt wird, hatte versprochen, sie anzurufen, sobald die Befragung der Mordermittler beendet sei. Doch Bence meldet sich nicht.
Das Gefühl, diese aufkeimende Angst, die sie damals beschlich, übermannt Frauke noch heute. Sie sagt, ein Beamter habe schon nach der ersten Vernehmung durchblicken lassen, dass man Bence als Verdächtigen im Visier habe. Doch Bence bleibt entspannt, er schickt gar seinen Rechtsanwalt nach Hause, weil er glaubt, ihn nicht zu brauchen. Strafverteidiger Peter Witting fragt sich bis heute: Hätte er sich dem Wunsch seines Mandanten widersetzen sollen? Vielleicht wäre dann alles anders gekommen?
Bence kommt in Untersuchungshaft und wird des Mordes angeklagt. Alles wird sich aufklären, denkt Frauke. Denkt Bences Bruder Mate. Denkt der komplette Freundeskreis. Das Verfahren mutiert zu einem der spektakulärsten Indizienprozesse der Münchner Kriminalgeschichte. Aus 13 Verhandlungstagen werden 93. Rund 15 Monate lang schleppen sich die Prozessbeteiligten in den fensterlosen Schwurgerichtssaal am Münchner Landgericht. An jedem Gerichtstag sitzt mindestens einer von Bences Freunden als Beobachter auf der Zuschauertribüne. Wenn ihr Kumpel den Saal betritt, stehen sie auf, um ihm ihren Beistand zu demonstrieren.
Die Münchner Autorin und Regisseurin Daniela Agostini hat Bences Verlobte und seine Freunde in dieser Zeit mit der Kamera begleitet. Entstanden ist "Anklage Mord: Ein Freund vor Gericht", ein einfühlsamer Film, der dokumentiert, welch weite Kreise ein Verbrechen ziehen kann. "Es gibt mehr als Opfer und Täter: Da hängen noch viele Leute mit drin", sagt die Filmemacherin. Der Zusammenhalt von Bences Umfeld hat sie fasziniert. "Unglaublich, wie ein so großer Kreis so fest an die Unschuld eines Menschen glauben kann."
Bence wird wohl bis 2028 im Gefängnis bleiben
Für Bences Freunde, aber wohl auch für ihn selbst, ist der Film ein quälender Zeitraffer: In 90 Minuten durchleben sie mehr als drei Jahre des Hoffens und Kämpfens für Gerechtigkeit, jede Sekunde dokumentiert ihre wachsenden Zweifel am deutschen Rechtssystem. Viele Indizien kann man so deuten, dass Bence seine Tante tötete, wenige entlasten ihn. Am Ende stehen seine Familie und Freunde ohnmächtig vor einem Urteilsspruch, den sie nicht erwartet haben: Bence muss lebenslang hinter Gitter.
Die Gesamtschau aller Indizien hat die Kammer von Bences Täterschaft überzeugt. So sehr, dass sie zusätzlich die besondere Schwere der Schuld erkannte. Die lebenslange Freiheitsstrafe kann daher nach 15 Jahren nicht automatisch zur Bewährung ausgesetzt werden. In Bayern werden verurteilte Mörder frühestens nach 22 Jahren vorzeitig entlassen.
Bences Verteidiger legt Revision ein, die der Bundesgerichtshof im Frühjahr 2009 ablehnt. Eine Verfassungsbeschwerde wird im November 2009 verworfen. Bence muss bis zum Jahr 2028 in Haft bleiben.
Für seine Freunde jedoch bleibt der Mord an der reichen Parkhausbesitzerin Charlotte B. bis heute ungeklärt. Sie sind noch immer davon überzeugt, dass nicht Bence es war, der die 59-Jährige am 16. Mai 2006 in ihrer Penthouse-Wohnung über der Parkgarage in der Baaderstraße tötete. Den Ermittlungsakten zufolge muss der Täter in Rage gewesen sein: Mit einem Gegenstand, der bis heute nicht gefunden werden konnte, wurde der Millionärin mit 25 Schlägen der Kopf zertrümmert.
Für die Schwurgerichtskammer und den Oberstaatsanwalt ist der Fall dagegen eindeutig: Die kinderlose Charlotte B., mit dem geerbten Vermögen ihres verstorbenen Mannes überfordert, hatte ihren "Lieblingsneffen" Bence als ihren Nachfolger auserwählt. Jedoch nicht ohne Gegenleistung: Der junge Mann sollte Jura studieren. Dann erst sollte er ihr Imperium übernehmen dürfen, im Falle ihres Todes ihre Millionen erben.
"Bence ist ein Mensch, der mit Gewalt nichts anfangen kann"
Charlotte B. war, so stellt sie die TV-Doku dar, wohl eine anspruchsvolle, dominante und vereinnahmende Frau, deren Skepsis sich zu einem tiefen Misstrauen allen anderen Menschen gegenüber entwickelte. Bence soll laut Ermittlern seine Tante getötet haben, weil er fürchtete, sie käme ihm auf die Schliche. Denn Bence studierte längst kein Jura mehr, sondern gaukelte das nur seiner Familie und seinen Freunden vor. Wenn seine Tante, so sehen es Ankläger und Kammer, davon erfahren hätte, hätte sie ihm sofort jegliche Unterstützung verweigert und ihn enterbt.
Autorin Agostini lässt in ihrem Film Bences Freunde, die ihn seit Schultagen kennen, sprechen - über den Menschen Bence, seinen Humor, sein Faible für Ironie und seine Passion, das Theaterspielen. "Er ist einer, der mit Gewalt nichts anfangen kann. Und so einer soll einen anderen Menschen, zu dem er eine enge, emotionale Bindung hat, ermordet haben?", fragt zum Beispiel Jochen.
Agostinis Dokumentation zeigt anhand von privaten Videoausschnitten die Metamorphose eines fröhlichen, unbeschwerten 100-Kilo-Mannes zu einem eingefallenen, ernsten Angeklagten, der sich 40 Tage lang in einen Hungerstreik stürzt in der Hoffnung, seiner Verzweiflung Ausdruck geben zu können. Doch auf Drängen seines Freundeskreises, der um sein Leben fürchtet, bricht er seinen passiven Widerstand ab.
Der Film wirft beim Zuschauer Fragen auf: Wie würde ich mich als Freund, Verlobte oder Bruder verhalten?
Auf wen kann ich zählen, sollte ich in eine ähnliche Situation gelangen?
Wie viel Hoffnung trägt ein Mensch in sich?
Wie viel Enttäuschung verkraftet man?
Bences Verlobte lebt "seit Jahren in einer Zeitschleife"
Frauke, die ungern im Mittelpunkt oder in der Öffentlichkeit steht, lässt sich geduldig mit der Kamera begleiten, wenn sie zu ihrem Verlobten ins Gefängnis Stadelheim fährt; lässt sich filmen, wenn sie zitternd vor den Gefängnismauern steht, die nackte Angst im Gesicht. "Für uns waren die Dreharbeiten ein Ventil, mit jemandem über unsere Gefühle sprechen zu können", sagt Frauke. Im Film konstatiert sie: "Ich lebe seit Jahren in einer Zeitschleife."
Bence sitzt heute im Hochsicherheitstrakt der JVA Straubing. Vor wenigen Tagen wurde in seiner sieben Quadratmeter großen Einzelzelle der Fernseher installiert, den seine Eltern und Frauke beantragt haben.
Seine Freunde sind davon überzeugt, dass er sich die TV-Doku am Samstag anschauen wird. "Ich glaube, er kann sich bis heute nicht vorstellen, wie intensiv wir alle unser Herz in den Fall gelegt haben", sagt Frauke. Ihre Angst um Bence dominiert ihre Stimme. "Er hat das Urteil noch immer nicht akzeptiert, vertritt noch immer vehement seine Position, dass er unschuldig ist. Ich weiß nicht, wie lange er noch die Kraft hat, sich abzustrampeln - und was er tut, wenn ihm klar wird, wie seine Zukunft aussieht. Schon jetzt ist unsere Realität nicht mehr seine."
Tagsüber fliehe er in die stupide Arbeit der Gefängnisdruckerei, abends sorge er mit philosophischen Klassikern und anderer Kultur für den geistigen Ausgleich, sagt Frauke. Mitbringen darf sie ihm nichts, nur seine Schmutzwäsche mitnehmen. Insgesamt fünf Stunden pro Monat kann Bence Besuch empfangen, maximal drei Personen auf einmal.
Die Liste derjenigen, die ihn gern persönlichen sehen würden, ist lang. Sie wird es bleiben.
"Anklage Mord: Ein Freund vor Gericht", Samstag, 22. Mai, 22.10 Uhr, BR
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