Von Robert Seetzen
Wer rechtzeitig auf offene Dateiformate setzt, hat beim Wechsel von Windows zu Linux leichtes Spiel. Schwieriger wird es mit Dateien in proprietären Formaten, doch auch da gibt es Mittel und Wege. Mit ein wenig Planung finden letztlich fast alle Dokumente, Mails und Multimediadaten den Weg ins neue System.Selten treten die Vorteile offener Standards und freier Software deutlicher zutage als während eines Systemumstiegs. Wo wichtige Daten etwa im Open Document Format gespeichert sind, stehen sie unter Linux ebenso problemlos zur Verfügung wie unter Windows, während bei komplexen OOXML-Dokumenten von Microsoft Office oft nicht einmal die Darstellung unter Linux gelingt. Die Probleme, die bei der Übernahme von Daten auftreten, reichen von winzig bis unlösbar. Dieser Artikel zeigt zunächst, wie Sie die Datenmigration planen sollten, und liefert dann Praxiswissen für den Datentransfer von Office-, Mail- und Multimedia-Dateien.
Planungshilfe
Der Idealfall ist die unmittelbare Weiterverwendung der mit Windows erzeugten Dateien unter Linux, lesend wie schreibend und möglichst ohne Abstriche an Inhalt und Aussehen. Das gelingt dann, wenn Sie schon unter Windows Programme verwendet haben, die es auch für Linux gibt, etwa OpenOffice, den Video-Editor Avidemux oder Gimp oder wenn die Daten in einem offenen Format vorliegen wie SVG-Vektorgrafiken. Auch Bilder in den Bitmap-Formaten BMP, JPG, PNG und TIFF, Textdateien und Dokumente im Rich-Text-Format können Sie problemlos weiter unter Linux verwenden.
Ist das Originalformat einer Datei unter Linux nicht gebräuchlich, sichten Sie zunächst unter Linux das Import-Menü der passenden Programme und suchen dort nach den unterstützten Formaten. Selbst wenn ein Programm das Dateiformat der Windows-Anwendung nicht lesen kann, bietet diese eventuell den Export in ein Format an, das das Linux-Programm kennt. Ein Beispiel dafür sind Adressverwaltungen, die in der Regel den Export der Kontakte als vCard beherrschen. Als Faustregel gilt, dass ältere Formatversionen eher Unterstützung finden als die jeweils neueste. Wenn ein Programm die Speicherung im Format einer älteren Version zulässt und damit keine allzu schmerzhaften Detailverluste einhergehen, sollten Sie diese Option bei Import-Problemen zumindest testen.
Wo Dateien nicht mehr bearbeitet, sondern nur angezeigt werden sollen, kommt auch die Konvertierung in ein portables, von möglichst vielen Programmen unterstütztes Nur-Lese-Format wie PDF in Frage. Falls die jeweilige Software keine PDF-Ausgabefunktionen mitbringt, übernimmt ein als Druckertreiber angemeldeter Dienst wie etwa das Open-Source-Programm PDFCreator unter Windows die Konvertierung.
Auch das Web 2.0 eröffnet Möglichkeiten zu Datenmitnahme oder Daten-Sharing: Wer Office-Aufgaben in " Google Text & Tabellen" erledigt, kann von jedem System mit einem Browser auf die dort erstellten Dokumente zugreifen. Ein weiteres Beispiel sind Bookmark-Synchronisationsdienste und Social-Bookmark-Seiten, mit denen Ihnen Ihre Lesezeichen überall zur Verfügung stehen.
Kann eine Datei weder im Originalformat genutzt, noch mit vertretbarem Aufwand in ein für die Verwendung unter Linux geeignetes Format übertragen werden, bieten der Windows-Emulator Wine oder sein kommerzielles Pendant CrossOver vielleicht einen Ausweg. Informationen darüber, welches Windows-Programm wie gut unter Wine oder CrossOver läuft, finden Sie auf der Homepage der beiden Projekte . Wenn selbst das nicht gelingt - viele Multimedia-Anwendungen laufen nur instabil mit Wine -, bleibt immer noch die Möglichkeit, Windows und das Originalprogramm in einer Virtualisierungs-Software wie VirtualBox zu betreiben.
Office-Dateien retten
Eine nahtlose Migration von Texten, Tabellen, Präsentationen und Datenbanken scheitert in vielen Fällen an der unter Windows eingesetzten Bürosoftware. Auf fast allen Windows-Rechnern arbeiten Programme der Office-Suite von Microsoft, deren Dateiformate von anderen Office-Programmen nur bedingt unterstützt werden. So bleiben wichtige Eigenschaften des Layouts bei Importversuchen in andere Programme oft ebenso auf der Strecke wie die vom Anwender erstellten Makros.
Einige der für diesen Artikel durchgeführten Tests mit Office-Dateien verschiedener Formatversionen dokumentieren das Dilemma der Anwender. Zwar gelang es in jedem Fall, den Inhalt der MS-Office-Dateien zu importieren, das Ausmaß der Verluste an der Seitengestaltung und anderen Eigenschaften ließ sich jedoch kaum vorhersagen. So zeigte OpenOffice zwar sämtliche Inhalte aus einer kleinen, mit Grafik und Text versehenen Beispielbroschüre vollständig an, übernahm aber das Layout nicht korrekt. Noch dramatischer sah es beim Import der OOXML-Version der Datei aus, die nicht einmal mehr entfernt an das Original erinnerte.
Wesentlich bessere Import-Ergebnisse erzielt beim OOXML-Format das kostenpflichtige SoftMaker Office 2010. Die wenigen hier erkennbaren Unstimmigkeiten waren durchweg mit Abweichungen der im System verfügbaren Schriftarten erklärbar. Auch weitere unter Linux mit SoftMaker Office 2010 geöffnete Word-Testdokumente wurden, von den erwähnten Font-Problemen abgesehen, fast originalgetreu dargestellt. Ein Testdurchlauf mit Excel-Tabellen lieferte weniger überzeugende Ergebnisse, hier zeigen sowohl OpenOffice als auch SoftMaker Office Stärken und Schwächen. Eine etwas aufwendiger als Rechnung formatierte Tabelle gelangte in OpenOffice nahezu unverändert zur Anzeige, der Start eingebetteter Makros endet jedoch stets mit einem Basic-Laufzeitfehler. PlanMaker aus dem SoftMaker-Office-Paket zeigt die Tabelle ebenfalls an, ignoriert VBA-Makros aber generell. Eine einfache, in PowerPoint gestaltete Präsentation öffneten OpenOffice und SoftMaker gleichermaßen ohne erkennbare Fehler, auch die OOXML-Variante der Datei verursachte beiden Programmen keine Probleme. Da von SoftMaker Office eine kostenlose Testversion zur Verfügung steht , muss man nicht die Katze im Sack kaufen, sondern kann es unverbindlich ausprobieren, wenn OpenOffice mit vorhandenen Dokumenten nicht zurechtkommt.
Einen klaren Vorsprung hat OpenOffice beim Zugriff auf Datenbanken. SoftMaker Office 2010 bietet überhaupt keine Datenbankunterstützung, OpenOffice kann Access-Datenbanken zumindest auf Umwegen öffnen. Voraussetzung ist allerdings ein zuvor durchgeführter Export in ein bekanntes Datenformat wie DBF oder die Übertragung der Datenbankinhalte an einen mit OpenOffice ansprechbaren Datenbankserver. In MS Access gestaltete Formulare, Reports oder Programmierungen müssen nach einer Linux-Migration aber in jedem Fall vollständig neu implementiert werden. Wo solche Schritte an dem damit verbundenen Aufwand scheitern, bleibt als Alternative der Einsatz des Originalprogramms unter Linux. Ein für MS Office übrigens durchaus gangbarer Weg, da sowohl das kostenlose Wine als auch das kommerzielle CrossOver alle MS-Office-Versionen bis Version 2007 unterstützen. Wer die Installation des Office-Pakets komfortabel mit einem Installationsassistenten durchführen und bei Problemen professionellen Support nutzen will, ist mit CrossOver besser beraten. Wine-Nutzer sparen die für CrossOver fälligen Lizenzgebühren, müssen für einen reibungslosen Office-Betrieb jedoch einige manuelle Detailarbeiten durchführen.
Unsere Versuche, Office-Dokumente via "Google Text & Tabellen" unter Linux verfügbar zu machen, verliefen je nach Komplexität der Datei sehr unterschiedlich. Makros blieben erwartungsgemäß außen vor, ebenso mehrspaltige Formatierungen oder eingebettete Bildobjekte. Der reine Textinhalt blieb intakt, auch Schriftformatierungen wurden weitgehend übernommen. Für Dokumente mit einer Größe von mehr als 500 KByte, OOXML-Tabellendokumente oder Datenbanken können Sie den Google-Dienst jedoch nicht nutzen.
Mail und Bookmarks
Wesentlich einfacher gestaltet sich der Import von Mail-Archiven und Bookmarks. Leicht haben es vor allem Anwender von Thunderbird und Firefox. Beide Programme übernehmen unter Windows auch von Haus aus Datenbestände von Outlook und Outlook Express sowie dem Internet Explorer, unter Linux müssen Sie entsprechende Plug-ins nachrüsten. Einfacher ist es für Nutzer der Microsoft-Mailer daher, die Daten unter Windows von Thunderbird importieren zu lassen, was das Programm beim ersten Start nach einer Rückfrage automatisch erledigt.
Danach müssen Sie die Daten nur noch in das Thunderbird-Profil-Verzeichnis unter Linux kopieren. Unter Windows landen die importierten Daten im Ordner "C:\Users\\AppData\Roaming\Mozilla-Thunderbird\Profiles\.default". Neben den Mails befinden sich dort auch alle Einstellungen Ihrer Mail-Konten, die Sie durch Kopieren des kompletten Verzeichnisinhaltes gleich mitnehmen können. Damit Thunderbird unter Linux ein Profilverzeichnis anlegt, müssen Sie das Programm einmal starten. Danach gibt es in Ihrem Home-Verzeichnis den Ordner .thunderbird, in dem Sie das Profilverzeichnis, dessen Name auf .default endet, finden. Achtung: Während Sie den Inhalt des Windows-Profilordners kopieren, darf Thunderbird nicht laufen.
Ist ein Mail-Import unter Windows nicht möglich oder gewünscht, bleibt als Lösung ein Export der Outlook-Bestände in das Mbox-Format, das die meisten Linux-Mailer importieren können. Für das DBX-Format von Outlook Express übernimmt das Kommandozeilenwerkzeug DbxConv diese Aufgabe. Das auch unter Linux lauffähige readpst verarbeitet die PST-Dateien von Outlook. Die Adressen werden beim Konvertieren als vCard gespeichert und lassen sich so leicht in Evolution und Kontact übernehmen. Auch die meisten anderen Windows-Mailer, etwa Pegasus Mail und The Bat, bieten einen Export ins Mbox-Format an, im Menü firmiert er bei einigen Programmen unter dem Namen "Export nach Unix-Mailbox".
Wollen Sie dauerhaft parallel von beiden Systemen aus auf Mails zugreifen, sollten Sie einen IMAP-Zugang nutzen, bei dem E-Mails nicht wie bei dem POP3-Protokoll abgeholt, sondern auf dem Server des Providers verwaltet werden. Die meisten Anbieter haben den IMAP-Zugriff im Angebot, oft jedoch kostenpflichtig. Einen kostenlosen IMAP-Account kann man beispielsweise bei Google Mail nutzen. Auf einen IMAP-Account können Sie auch das gesamte, unter Windows per POP3 abgeholte Mail-Archiv übertragen, sodass Sie auch unter Linux Zugriff auf die alten Mails haben.
Besonders einfach ist die Übernahme der Lesezeichen, sei es aus Internet-Explorer, Opera oder Firefox. Alle drei Anwendungen bieten in der Lesezeichenverwaltung die Option, Bookmarks im HTML-Format zu exportieren. Diese HTML-Datei können Sie danach unter Linux sowohl mit Firefox als auch mit dem KDE-Browser Konqueror importieren. Will man Windows und Linux parallel nutzen, ist es mit einem Import nicht getan, da man unter beiden Systemen immer auf den gleichen Lesezeichenbestand zugreifen will. Dazu nutzt man am besten einen Synchronisationsdienst, etwa den Mozilla-eigenen Dienst Weave oder das Plug-in Xmarks. Auch Google bietet eine Online-Lesezeichenverwaltung, für die es ein passendes Firefox-Plug-in gibt. Wer seine Bookmarks zusätzlich veröffentlichen will, ist bei Delicious oder Digg richtig, die es auch erlauben, bereits angelegte Lesezeichen-Sammlungen zu importieren.
Grafik und Multimedia
Nur wenige Probleme gibt es bei der Übernahme von Audio-, Video- und Fotosammlungen. Haben Sie, wie im Artikel zur Software-Installation ab Seite 12 beschrieben, das Medibuntu-Repository eingebunden, kann Ubuntu mit fast jedem Multimediaformat umgehen. Außen vor bleiben allein DRM-geschützte Dateien.
An Grenzen stoßen Sie bei der Übernahme von Grafik- oder Multimedia-Projekten, die Sie noch nicht fertiggestellt haben, da die Windows-Programme wie etwa Corel Draw, Adobe Photoshop und Video-Editoren in der Regel ein eigenes Dateiformat nutzen. Sie können zwar mit Corel Draw erstellte Grafiken von dem Linux-Zeichenprogramm Inkscape importieren lassen, das Resultat lässt sich jedoch nicht zuverlässig voraussagen. So können etwa eingebundene Bitmaps Probleme verursachen oder gruppierte Objektgruppen kaputtgehen. Derzeit unterstützt Inkscape Corel-Draw-Dateien bis Version 14. Als Alternative zu Inkscape kommt auch das eher unbekannte Illustrationsprogramm sK1 für den Import von Corel-Draw-Grafiken in Frage, darüber hinaus beherrscht es wie Inkscape auch den Umgang mit Illustrator-Dateien.
Von Adobe Photoshop erzeugte Dateien mit der Endung .psd können Sie mit Gimp öffnen. Das gelingt auch bei Dateien, die viele Ebenen enthalten, die Weiterbearbeitung ist allerdings nur eingeschränkt möglich. So übernimmt Gimp beispielsweise Textebenen aus Photoshop als normale Ebene, sodass Sie den Text nicht mehr bearbeiten können. Bei nicht abgeschlossenen Projekten, die mit proprietären Programmen erstellt wurden, ist es immer die bessere Entscheidung, sie zunächst unter Windows fertigzustellen. Viel entspannter können Nutzer der für Windows und Linux verfügbaren Open-Source-Programme Gimp, Audacity und Avidemux an den Systemwechsel herangehen: Wer eines dieser Programme für Foto-, Sound- oder Videoprojekte unter Windows genutzt hat, kann die Arbeit unter Linux sofort wieder aufnehmen.
Gefunden in: Sonderheft vom Computermagazin c't "Ratgeber Linux"
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