Mittwoch, 12. Mai 2010

Was Facebook hätte anders machen müssen

Martin Weigert

Facebooks Sympathieverlust ist hausgemacht und die aktuelle Kritikwelle die Folge einer Reihe von Fehlentscheidungen.

In den vergangenen Monaten hat sich Facebook viel Loyalität in der Tech- und Blogger-Community verspielt. Immer häufiger überwiegen die kritischen Stimmen zu der kontroversen Vorgehensweise des größten Social Networks der Welt.
 
Da liegt es nahe, den jüngsten Stimmungswechsel auf den Mainstream-Erfolg von Facebook zurückzuführen: Nun, da das soziale Netzwerk praktisch von jedermann genutzt wird, suchen sich Early Adopters eine neue Spielwiese.

Ich denke, dass dies der falsche Schluss wäre. Denn im Prinzip erfüllt Facebook trotz des großen Durchbruchs in den Internet-Mainstream noch immer die Ansprüche der Tech-Gemeinde: Es ist international, technisch ganz vorne dabei und wird nicht müde, selbst anspruchsvolle Nutzer regelmäßig mit neuen Features bei Laune zu halten.

Zudem ist es selbst für wechselfreudige User ein ziemlicher Luxus, erstmals nahezu den kompletten Freundes- und Bekanntenkreis auf einer einzigen Plattform zu vereinen. So etwas gibt man nicht ohne Weiteres auf, nur um bei einem anderen Service wieder mit einer Handvoll Kontakten zu beginnen.

Nein, der jüngste Sympathieverlust hat meines Erachtens nach wenig mit dem natürlichen Produktlebenszyklus zu tun und ist daher auch nicht vergleichbar mit früheren Popularitätseinbrüchen von zum Beispiel Friendster oder MySpace. Er ist einzig und allein auf das aggressive, arrogante und ignorante Verhalten des Social Networks zurückzuführen. Und er hätte vermieden werden können.

Facebook hat eine Reihe schwerer Fehler begangen, die am Vertrauen der treuesten und einst loyalsten Mitglieder gesägt haben. Ich habe darüber nachgedacht, was Facebook hätte tun oder unterlassen sollen, damit ich heute nicht ersthaft Szenarios durchspielen müsste, wie es wäre, nicht mehr bei Facebook-Mitglied zu sein.

Meiner Ansicht nach lassen sich Facebooks Fehltritte in drei Kategorien einteilten: Funktionelle, strategische und kommunikative Fehler. Die folgenden Punkte hätte Facebook anders handhaben müssen, um zumindest von mir auch heute noch ein weitgehend positives Zeugnis ausgestellt zu bekommen:

Funktionelle FehlerWas Features betrifft, hat Facebook viel richtig gemacht. Im Großen und Ganzen hat Facebook meine funktionellen Ansprüche an eine leistungsfähige Kommunikationsplattform erfüllt. Ein anderes soziales Netzwerk, das mit den Features des US-Angebots mithalten kann, ist mir nicht bekannt.

Mein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich daher auf die komplizierten Datenschutzeinstellungen. Um das Teilen von Inhalten und Profilangaben an die eigenen Wünsche anzupassen, benötigen selbst versierte Anwender enorm viel Zeit und Geduld.

Facebook hat zwar mehrmals versucht, die Optionen einfacher zu gestalten, aber durch durch den Spagat zwischen Kommunikations- und Publikationsnetzwerk trotzdem permanent die Komplexität erhöht. Es ist frustrierend, sich einzubilden, die volle Kontrolle zu haben, und plötzlich doch ein Fotoalbum zu entdecken, das aus irgendwelchen Gründen auf “öffentlich” gestellt ist. Test: Kanntet ihr diese Einstellung?

Hier hätte Facebook durch einfachere Datenschutzoptionen für deutlich weniger Verwirrung sorgen müssen. Oder ganz auf die Transformation zu einem öffentlichen Netzwerk verzichten sollen. Mehr dazu im nächsten Punkt.

Strategische FehlerSchon als vor einem Jahr deutlich wurde, dass Facebook die Pfade eines Dienstes zur privaten Kommunikation mit Freunden verlassen und sich mehr in Richtung Twitter orientieren würde, hielt ich diese für keine gute Idee. Zurückblickend fühle ich mich in meiner damaligen Skepsis bestätigt.

Angetrieben von besseren Monetarisierungs-Aussichten ließ sich CEO Mark Zuckerberg dazu verleiten, das angestrebte Anwendungszenario radikal zu verändern. Plötzlich ging es nicht mehr darum, mit Kontakten auf sichere und kontrollierte Weise auf einer modernen Plattform zu kommunizieren, sondern darum, möglichst viele Inhalte und Interessen öffentlich darzustellen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und ist auch nicht der Grund, warum ein Großteil der User überhaupt Facebook-Mitglieder wurden.

Facebook hätten den Schritt zu einer öffentlichen Publikationsplattform niemals gehen dürfen! Für diesen Zweck gibt es Twitter, das von Beginn an mit diesem Produktversprechen angetreten ist.

Facebook hätte seinen Schwerpunkt auf privater Kommunikation beibehalten müssen und statt dem Ausverkauf seiner User an Partner und Werbekunden (Stichwort Beacon oder Instant Personalization) früher und stärker auf Facebook Credits setzen und diese zu einer webweiten Währung ausbauen sollen. Ob dabei das gleiche Monetarisierungspotenzial existiert, ist zwar offen, aber selbst langsameres wirtschaftliches Wachstum wäre am Ende in jedem Fall besser als die sich andeutende Gefahr eines Imageschadens und Nutzerverlusts auf breiter Front.

Kommunikative FehlerDer Strategiewandel stellte eine große kommunikative Herausforderung für Facebook dar. Immerhin musste man allen Nutzern erklären, warum man plötzlich ein anderes Produkt anbieten möchte als ursprünglich versprochen. Mit einer sensiblen, glaubwürdigen und offenen Kommunikation hätte der Dienst eventuell den Vertrauensbruch verhindern können.

Doch stattdessen wurde jede offensichtlich nur auf die Interessen von Facebook und Partnern ausgerichtete Kommunikation als großer Vorteil für die User verkauft. Das Einführen des “Everyone-Buttons”, der öffentliche Status-Updates ermöglichte und in der Voreinstellung aktiviert war, pries Facebook als Schritt an, um Anwendern noch mehr und bessere Kontrolle zu geben. Na klar.

Wo es nur ging, setzte Facebook auf Opt-Out statt Opt-In. In Palo Alto ist man sich bewusst, dass es erfolgversprechender ist, Nutzer in eine neue, für sie womöglich unbequeme Funktion zu zwingen, statt sie selbst auf transparenter Ebene entscheiden zu lassen.

Facebooks Kommunikation wirkt häufig einseitig und unehrlich. Da verwundert es auch nicht, das Social Network auf Usability-Tricks setzen zu sehen wie z.B., den Abmelde-Link zu verstecken, um Nutzer auf externen Facebook Connect-Sites als Mitglieder des Netzwerks auftreten zu lassen.

FazitBei einstigen Marktführern im Social-Networking-Bereich (Friendster, MySpace) führten ein geringer Lock-In-Effekt, deutliche funktionelle Schwächen und das Vorhandensein besserer Konkurrenten zu einem Verlust der Marktführerschaft.

Facebook hingegen wird von keinem dieser Aspekte tangiert: Der Lock-In-Effekt könnte stärker nicht sein – viele Nutzer haben einen Großteil ihres Social Graphs aus dem realen Leben als Kontakte bei Facebook, was den Wechsel erschwert – attraktive Features gibt es viele und von einem echten Wettbewerber ist (derzeit) noch nichts zu sehen.

Facebooks Probleme sind hausgemacht und wahrscheinlich die Folge zu schnellen Wachstums, das zu rapide steigende Kosten und dadurch zu erhöhtem Monetarisierungsdruck geführt hat. Es ist kein Geheimnis, dass unter Druck gemachte Entscheidungen nicht immer die durchdachtesten und besten Beschlüsse sind. Im Falle Facebook sieht man, wohin das führen kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen