Freitag, 28. Mai 2010

Reykjavik erwartet den Staats-Streich

Aus Reykjavik berichtet Henryk M. Broder

Satire an die Macht: Bei den Kommunalwahlen in Island hat eine Spaßpartei beste Chancen, das Rathaus in Reykjavik zu erobern. Der Komiker Jon Gunnar Kristinsson peilt sogar das Amt des Bürgermeisters an. Island rätselt: Meint er es eigentlich ernst?

Wer mit Jon Gunnar Kristinsson, alias Jon Gnarr, durch Reykjavik geht, den beschleicht das Gefühl, einen Pop-Star zu begleiten. Autofahrer hupen, Menschen bleiben stehen, um ihm die Hand zu drücken und "alles Gute!" zu wünschen, einige wollen ein Autogramm haben. Aber der 43-jährige Isländer, der ein wenig wie Boris Becker aussieht, ist kein Popstar - er kann kein Instrument spielen und Musik nicht leiden -, sondern ist Gründer und Vorsitzender einer politischen Partei namens "Besti flokkurinn", der "besten Partei". Und er möchte der nächste Bürgermeister von Reykjavik werden.

Glaubt man den Umfragen, könnte der Wunsch in Erfüllung gehen. Jeder zweite Reykjaviker will bei den Kommunalwahlen am Samstag Jons Partei wählen. Mit sechs bis acht Sitzen im 15-köpfigen Rat der Stadt würde die "Besti flokkurinn" dann den Bürgermeister stellen. Es wäre das erste Mal in der Geschichte Islands, dass eine Partei, deren Programm es ist, kein Programm zu haben und andere Parteien zu parodieren, ein Spitzenamt besetzt, ein Triumph der Satire über die Realität, "also genau das, was unsere Politiker uns eingebrockt haben", sagt Jon Gnarr und schaut dabei so unschuldig drein, als ginge es ihm um eine Senkung der Kita-Gebühren für alleinerziehende Mütter.

Aber der Mann meint es ernst. 1967 in Reykjavik als Sohn eines kommunistischen Polizeibeamten geboren, schmiss er die Schule mit 14 hin und kam für zwei Jahre in ein Internat für schwer erziehbare Jugendliche auf dem Lande. Zurück in der Stadt machte er "mal dies und mal das", wohnte "mal hier und mal dort", bis er einen Job als Pfleger in einem Heim für geistig und körperlich Behinderte annahm. Mit 19 schrieb er seinen ersten Roman ("Die Stadt der Mitternachtssonne"), mit 20 wurde er zum ersten Mal Vater. Das nächste Buch, Jahre später, war eine "fiktive Autobiografie" mit dem Titel "Der Indianer".

Seine Karriere als Komiker und Unterhalter begann er Anfang der neunziger Jahre beim staatlichen Rundfunk RUV mit einer wöchentlichen Radio-Sit-Com von jeweils sieben bis zehn Minuten Dauer: "Hotel Volkswagen". Es war die Geschichte eines isländischen Automechanikers, der aus Liebe zu VW nach Deutschland zieht und dort ein Hotel eröffnet.

In einem kleinen Land wie Island setzen sich Talente schnell durch

Jon wurde von einem privaten Sender abgeworben, wo er jeden Morgen "kontroverse Persönlichkeiten" interviewte, an denen in Island kein Mangel herrscht. Er trat als Komiker im Radio, Fernsehen und in Spielfilmen auf und eines Tages zum Katholizismus über und forderte die protestantischen Isländer auf, seinem Beispiel zu folgen, was ihm viele übel nahmen. Dabei wollte er doch nur, sagt Jon, darauf aufmerksam machen, "wie wichtig Demut für die Menschen" sei, wichtiger als Geld, Macht und Wohlstand. Er ließ keine Gelegenheit aus anzuecken, wobei er seine Freunde und Feinde immer im Ungewissen ließ, ob er es so meinte, wie er es sagte oder sie nur zu unbedachten Reaktionen verleiten wollte. "Ich mache einige Jahre Ferien auf diesem Planeten und will in dieser Zeit alles ausprobieren, so dass ich mir eine Meinung bilden kann, ohne mich auf andere zu verlassen."

Will er uns auf den Arm nehmen?
Als im Oktober 2008 das isländische Bankensystem kollabierte und ganz Island in eine schwere Finanz- und Psycho-Krise stürzte, geriet auch Jon aus der Bahn. "Bis dahin habe ich mich nicht für Politik interessiert. Die Politiker machten ihr Ding und ich machte meines."

Ende des Jahres 2009 wurde es ihm klar, dass die Politik eine zu ernste Sache ist, als dass man sie den Politikern überlassen könnte. Er gründete die "Besti flokkurinn", "um Einfluss zu nehmen und die Menschen zu ermutigen, ihre Interessen zu artikulieren".

Und so wie er während seiner katholischen Phase wie ein katholischer Missionar geredet hat, so spricht er heute wie ein Politiker, der sich vorgenommen hat, die Schäden zu reparieren, die andere verursacht haben. Wieder fragen sich die Isländer: Meint er es wirklich so oder will er uns auf den Arm nehmen?

Denn: Die beste aller Parteien hat keine Agenda, kein Programm, nur eine Losung: "Alles ist machbar!" Klassische Politik, erklärt Jon, sei nur "absurdes Theater", "fade Routine" und "ein Paket ohne Inhalt".

Er habe, sagt der Kandidat, vor Jahren versucht, Deutsch zu lernen und sich eine Linguaphone-CD gekauft. Der einzige Satz, der ihm im Gedächtnis blieb, war: "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!" So sei es auch in der Politik. Die Leute würden darauf trainiert, das Gehörte zu wiederholen. Und während korrupte Politiker scheinheilig ein "Ende der Korruption" fordern, will Jon die Korruption nur "transparent machen", das sei ehrlicher und realistischer.

"Reykjavik soll schöner", der Laekjartorg im Zentrum der Stadt, ein Platz von "extremer Hässlichkeit", umgebaut werden. "Wir brauchen mehr Plätze für ältere Menschen, wo sie Schach und Boule spielen können. Und Parkanlagen, in denen Hunde frei herumlaufen dürfen." Das chaotische Nahverkehrssystem müsse vollkommen umstrukturiert werden. Und was ist mit der Müllabfuhr, dem Sorgenkind aller Kommunen? "Die ist okay, da klappt alles."

Jon Gnarr ist überzeugt, dass die "beste Partei" am Samstag den Sprung ins Rathaus schaffen wird. Er hat einen smarten Wahlkampf geführt, der ihn fast gar nichts gekostet hat. Statt teure Anzeigen zu schalten, hat er die Medien für sich eingespannt; sein Freiwilligen-Team wird von einer 27-jährigen gut aussehenden Fachfrau geführt, Heida Kristin Helgadottir, die mit einer Arbeit über "Pluralismus und Elitismus in der isländischen Politik" ihren Bachelor gemacht hat. Gefragt, wie die Wahlen ausgehen werden, antwortet sie ganz souverän: "Samstagabend kurz nach zehn Uhr werden wir es wissen."

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