Dienstag, 11. Mai 2010

Die Bundeswehr wird zur multireligiösen Armee

Von Andrea Djifroudi 
 
In der Bundeswehr spiegelt sich der Gesellschaftswandel wider: Sie wird multireligiös. Etwa 1000 Bundeswehrsoldaten sind Muslime, rund 200 Juden. Ein muslimischer Soldat sagt, er habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ein religiöser Ansprechpartner ist für ihn allerdings nicht vorgesehen.
 
Als der Soldat Arif Ünal öffentlich gelobte, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, waren 45 seiner Angehörigen dabei. Seine Kameraden hätten zum Gelöbnis allenfalls die Eltern und die Freundin eingeladen, berichtet der 31-jährige Deutsche türkischer Herkunft.

Bei ihm wollte sich jedoch die ganze Familie davon überzeugen, dass er bei der Zeremonie genau wie jeder andere behandelt werde: „Muslime haben größere Vorurteile gegenüber der Bundeswehr, als die Bundeswehr gegenüber Muslimen“, so die Erkenntnis des heutigen Berufssoldaten. Wer zur Bundeswehr geht, muss seine Religionszugehörigkeit nicht preisgeben. Nur auf Wunsch wird in Deutschland auf die Erkennungsmarke der Soldaten das entsprechende Kürzel gestanzt: E für evangelisch, K für katholisch, ISL für muslimisch und JD für jüdisch. Das Recht, ihre Religion auszuüben, gewährleistet der Staat den Soldatinnen und Soldaten auch in ihrem Dienst. Doch muslimische oder jüdische Soldaten haben in der Bundeswehr weder religiöse Ansprechpartner, noch stehen ihnen Gebetsräume zur Verfügung. Dazu erarbeitete der katholische Militärgeistliche Thomas R. Elßner am Koblenzer „Zentrum Innere Führung“, der zentralen Bildungseinrichtung der Bundeswehr, 2007 ein Arbeitspapier. Darin heißt es: „Die Vorgesetzten sind nicht verpflichtet, den muslimischen Soldaten einen eigenen Gebetsraum zur Verfügung zu stellen, wenngleich es in der Praxis (zumindest in festen Unterkünften) geringere Schwierigkeiten bereiten dürfte, diesem Wunsch nachzukommen.“

Vorgesetzte seien jedoch gehalten, auf Wunsch zu prüfen, ob man auf zivile seelsorgerische Unterstützung etwa durch lokale Moscheevereine zurückgreifen könne.

Der deutsche Muslim Arif Ünal, dessen Eltern 1969 aus der Türkei nach Deutschland kamen, passt sich an. Seine Gebetszeiten richtet der Kölner so ein, dass sie vor und nach dem Dienst liegen. Nur in Ausnahmefällen spricht er sein Gebet innerhalb einer Kaserne. In den Kantinen der Bundeswehr wird in der Regel mindestens ein schweinefleischloses Gericht angeboten, auf den Speisekarten mit einem durchgestrichenen Schwein deutlich gemacht. Im Notfall greift er zu Gemüse. Wenn Ünal bei einer Übung im Feld ist, bekommt er ein Verpflegungspaket speziell für Muslime. Im Fastenmonat Ramadan erlaubt der Islam Ausnahmen. Wenn die Soldaten etwa wie in der Grundausbildung körperlich stark beansprucht sind, dürfen sie das Fasten nachholen. An rund hundert Bundeswehr-Standorten in Deutschland gibt es derzeit evangelische Militärpfarrämter, noch einmal so viele sind katholisch. Die Militärpfarrer halten Gottesdienste und Andachten, bieten religiöse Wochenendveranstaltungen, Wallfahrten und Familienferien an, erteilen lebenskundlichen Unterricht, sie taufen, trauen und beerdigen und begleiten die Soldaten bei ihren Einsätzen in Afghanistan und im Kosovo.

Gedenken an die gefallenen Soldaten

„Theologisch spricht gar nichts dagegen, dass auch Muslime in der Bundeswehr einen Ansprechpartner haben“, sagt Werner Weinholt, persönlicher Referent des evangelischen Militärbischofs Martin Dutzmann. Doch sei festgelegt, dass es mindestens 1500 Gläubige sein müssten, um eine Militärpfarrstelle zu errichten – so viele muslimische Soldaten gibt es derzeit noch nicht. Der zweite und wichtigere Grund: eine Religionsgemeinschaft muss als Institution erkennbar sein. Bei den muslimischen Soldaten fehle dem Staat ein Ansprechpartner für Verträge und Regelungen. Das Ausland schlägt andere Wege ein. Österreich hat zwei Stellen für Imame als Armeeseelsorger für die mehr als 800 Muslime des Bundesheeres genehmigt. Frankreich plant Medienberichten zufolge, bis zum kommenden Jahr die Zahl der Geistlichen, die muslimische Soldaten betreuen, auf 40 aufzustocken. „Ich habe noch nie schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt der Berufssoldat und vierfache Familienvater Ünal, der als Programmierer in der Personalverwaltung arbeitet. Er erlebt ein spürbares Bemühen um die Integration von Muslimen, stärker als in der Zivilgesellschaft.

Seit knapp einem Jahr baut das Zentrum Innere Führung in Koblenz eine „Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz“ auf. Soldaten sollen auf den Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund vorbereitet werden. Ein erstes Pilotseminar startet am 17. Mai, ein weiteres ist für November geplant.

Ünal hat durchaus erlebt, dass manche Soldaten ihn als fremd empfinden: „Die Mutigen haben mich nach meinem Glauben gefragt“, sagt er. Er antwortete dann, dass sein Gott an den Menschen appelliere, selbst zu denken.

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