Ende des Protestpartei-Hypes
Von Ole Reißmann
Hamburg - Es war einmal die Piratenpartei. Eine Truppe junger, überwiegend männlicher Nerds, die ahnungslose Politiker nicht länger am Internet herumpfuschen lassen wollten. Sie sahen ihr Internet bedroht von Zensureingriffen des Staates und bedrängt von den Interessen mächtiger Medienkonzerne, deshalb gingen sie 2006 in die Politik. Wie die Grünen wollten sie den etablierten Parteien mit einem Nischenthema Konkurrenz machen - und so zur politischen Macht werden.
Lange Zeit sah es so aus, als könnte das gelingen: Damals schwärmten Politiker von der Vorratsdatenspeicherung, und die damalige CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen propagierte Internetsperren gegen Kinderpornografie. Eine Steilvorlage für die Piraten: Bei der Europawahl 2009 erreichten sie 0,9 Prozent - ein beachtlicher Erfolg. In Berlin feierten sie im Sommer eine Loveparade für Bürgerrechte, 20.000 Demonstranten forderten "Freiheit statt Angst".
Alles schien nun möglich. Die Piraten strotzten vor Selbstbewusstsein, forderten gar ein eigenes Internet-Ministerium. Die Presse feierte die jungen Polit-Aktivisten, enttäuschte Politiker liefen zu den Piraten über, Prominente schlugen sich auf ihre Seite. Bei ihrer ersten Bundestagswahl erreichte die Partei sogar 2,0 Prozent. Die Mitgliederzahl verzehnfachte sich; mehr als 11.000 Piraten kämpften von Flensburg bis Freiburg für ein freies Internet.
Überall nur noch Internet-Parteien
Heute ist von der Aufbruchstimmung kaum noch etwas übrig. Der Reiz des Neuen und Modernen ist mittlerweile verflogen, der große Hype Geschichte. Die Piraten haben eine Partei gegründet - jetzt wäre es an der Zeit, sie mit Inhalt zu füllen. Sie müssen politisch werden - und wollen doch mit Politik nichts zu tun haben. Die Piraten scheuen bisher jede Festlegung, die über freie Gedanken und private Daten hinausgeht.
Das Problem: Mit diesem Kernanliegen unterscheiden sie sich nicht länger von den anderen Parteien. Längst hat der große Zuspruch junger Wähler die übrigen Parteien aufgeschreckt. Man müsse von den Piraten lernen, gab Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nach der Bundestagswahl als Parole aus. In den Parteien rumorte es. Eine Enquete-Kommission befasst sich jetzt im Bundestag mit der digitalen Gesellschaft.
Trotzig sprachen die Piraten von einer überflüssigen "Alibi-Veranstaltung", kündigten eine Gegen-Enquete an - mehr als eine Ankündigung gibt es aber nicht. Die paar Netzexperten, die es in Deutschland gibt, arbeiten bei der richtigen Enquete mit.
Dann geriet auch noch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zur bitteren Enttäuschung: Nur 1,5 Prozent der Wähler setzten ihr Kreuz bei der Piratenpartei, dabei wollte die doch endlich Abgeordnete stellen. Dazu hätten sie mehr als dreimal so viele Stimmen bekommen müssen. Der Grund für das ernüchternde Ergebnis: Die anderen Parteien haben nicht nur Netzpolitik gelernt - sie kümmern sich auch um handfeste Themen, um Bildungspolitik und Kommunalfinanzen. Das trauen die Wähler den Piraten offenbar nicht zu.
Politiker aller Parteien tummeln sich plötzlich auf Veranstaltungen der Internetszene. So auf dem Politcamp in Berlin, wo auch Kristina Schröder (CDU) vorbeikam, die twitternde Familienministerin. Sie bezeichnet die Sperrgesetz-Pläne ihrer Vorgängerin und Parteikollegin Ursula von der Leyen offen als Fehler.
Die Kernthemen der Piraten wurden einfach gekapert. SPD, Grüne, Linke, CDU, FDP - es gibt keine Partei mehr, die sich nicht für Internet und Datenschutz zuständig fühlt.
Komplettausfall der Männerrunde
Vorläufiger Tiefpunkt: Der Parteitag der Piraten vergangenes Wochenende in Bingen. Tausend Parteimitglieder trafen sich, um eine neue Führung zu wählen und endlich das Profil zu schärfen. Schnell sollten Formalitäten abgehandelt werden, um endlich über die Ausrichtung der Partei zu streiten.
Doch daraus wurde nichts: Ausgerechnet die inhaltliche Arbeit fand nicht statt. Die Piraten ergingen sich lieber in unzähligen Geschäftsordnungsanträgen. Dabei hätten sie im vierten Jahr nach ihrer Gründung wissen können, dass ein erfolgreicher Parteitag vorbereitet werden muss. Dass es womöglich sogar eine identitätsstiftende Grundsatzrede braucht, mit der die Mitglieder eingestimmt und an die gemeinsame Sache erinnert werden.
Innerhalb der Partei, das zeigen Forum, Wiki und Mailinglisten der Piraten, gäbe es genug kontroverse Themen für drei Parteitage: Junge Aktivisten treffen auf Ex-Mitglieder anderer Parteien, Altlinke auf liberale Staatsverächter und Verschwörungstheoretiker auf nüchterne Programmierer. Seitenlang debattieren sie im Netz über Grundeinkommen, Bundeswehr, Hartz IV, Atomenergie und Extremismus. Das ist verwirrend und unübersichtlich und doch die einzige Möglichkeit, etwas über die Standpunkte der Piraten zu erfahren.
Inhaltsleere auf dem Parteitag
Dagegen zog sich der Parteitag in Bingen quälend, inhaltsleer und altbacken hin. Allein zehn Stunden brauchten die Piraten, um einen neuen Vorstand zu küren. Der besonnene, doch letztlich farblose Parteichef Jens Seipenbusch setzte sich mit 52,6 Prozent der Stimmen gegen sieben weitere Kandidaten durch, er darf die Piraten ein weiteres Jahr verwalten. Auch die übrigen Posten gingen an Männer. Gegen die Piraten sieht selbst der CSU-Vorstand aus wie eine Frauenclique.
Als einzige Frau für den Vorstand kandidierte die Berliner Politikstudentin Lena Simon. Im Gegensatz zu vielen anderen Bewerbern trug sie konkrete politische Anliegen vor: Bildungspolitik, Atomausstieg und Abgrenzung gegen Neonazis.
Gewählt wurde sie nicht - die versammelten Piraten nahmen ihr offenbar übel, dass sie es vor Monaten gewagt hatte, eigenmächtig eine Mailingliste nur für Piratinnen einzurichten. Nach dem Selbstverständnis vieler Mitglieder gibt es aber keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen. "Warum sind wir so wenige Frauen und wie können wir das ändern?", hatte Simon gefragt. Auf eine Antwort verzichtet die Partei: "Ich befürchte, dass dieses Thema zu viel Raum bekommt, wenn wir dich im Vorstand haben", erklärte ein Pirat.
Der Parteichef verspricht eine "behutsame" Öffnung
Doch wofür steht nun die Partei? "Zur politischen Verortung haben wir noch nichts gehört", beklagt denn auch ein Redner am vergangenen Samstag. "Wir sind nicht gegründet worden, um uns selbst zu verwalten." Das Programm nur leicht oder stark erweitern - an dieser Frage scheiden sich die Geister.
Klar ist: Die Kernthemen der Partei reichen für die kommenden Landtagswahlkämpfe nicht mehr aus. Hier geht es um Kita-Plätze und Politik für den Arbeitsmarkt - nicht nur um Privatsphäre im Internet. Parteichef Seipenbusch setzt sich deshalb für eine "behutsame" Öffnung ein - was auch immer das heißen mag. In das Links-Rechts-Schema der Parteienlandschaft lassen sich die Piraten jedenfalls nicht einordnen, die Wähler bleiben ratlos zurück.
Damit steckt die Partei auf halbem Weg in die Parlamente fest. Wie die einstigen Hoffnungsträger der Generationen Google, C64 und Praktikum doch noch den großen Sprung schaffen wollen - sie wissen es wohl selbst nicht.
Lange Zeit sah es so aus, als könnte das gelingen: Damals schwärmten Politiker von der Vorratsdatenspeicherung, und die damalige CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen propagierte Internetsperren gegen Kinderpornografie. Eine Steilvorlage für die Piraten: Bei der Europawahl 2009 erreichten sie 0,9 Prozent - ein beachtlicher Erfolg. In Berlin feierten sie im Sommer eine Loveparade für Bürgerrechte, 20.000 Demonstranten forderten "Freiheit statt Angst".
Alles schien nun möglich. Die Piraten strotzten vor Selbstbewusstsein, forderten gar ein eigenes Internet-Ministerium. Die Presse feierte die jungen Polit-Aktivisten, enttäuschte Politiker liefen zu den Piraten über, Prominente schlugen sich auf ihre Seite. Bei ihrer ersten Bundestagswahl erreichte die Partei sogar 2,0 Prozent. Die Mitgliederzahl verzehnfachte sich; mehr als 11.000 Piraten kämpften von Flensburg bis Freiburg für ein freies Internet.
Überall nur noch Internet-Parteien
Heute ist von der Aufbruchstimmung kaum noch etwas übrig. Der Reiz des Neuen und Modernen ist mittlerweile verflogen, der große Hype Geschichte. Die Piraten haben eine Partei gegründet - jetzt wäre es an der Zeit, sie mit Inhalt zu füllen. Sie müssen politisch werden - und wollen doch mit Politik nichts zu tun haben. Die Piraten scheuen bisher jede Festlegung, die über freie Gedanken und private Daten hinausgeht.
Das Problem: Mit diesem Kernanliegen unterscheiden sie sich nicht länger von den anderen Parteien. Längst hat der große Zuspruch junger Wähler die übrigen Parteien aufgeschreckt. Man müsse von den Piraten lernen, gab Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nach der Bundestagswahl als Parole aus. In den Parteien rumorte es. Eine Enquete-Kommission befasst sich jetzt im Bundestag mit der digitalen Gesellschaft.
Trotzig sprachen die Piraten von einer überflüssigen "Alibi-Veranstaltung", kündigten eine Gegen-Enquete an - mehr als eine Ankündigung gibt es aber nicht. Die paar Netzexperten, die es in Deutschland gibt, arbeiten bei der richtigen Enquete mit.
Dann geriet auch noch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zur bitteren Enttäuschung: Nur 1,5 Prozent der Wähler setzten ihr Kreuz bei der Piratenpartei, dabei wollte die doch endlich Abgeordnete stellen. Dazu hätten sie mehr als dreimal so viele Stimmen bekommen müssen. Der Grund für das ernüchternde Ergebnis: Die anderen Parteien haben nicht nur Netzpolitik gelernt - sie kümmern sich auch um handfeste Themen, um Bildungspolitik und Kommunalfinanzen. Das trauen die Wähler den Piraten offenbar nicht zu.
Politiker aller Parteien tummeln sich plötzlich auf Veranstaltungen der Internetszene. So auf dem Politcamp in Berlin, wo auch Kristina Schröder (CDU) vorbeikam, die twitternde Familienministerin. Sie bezeichnet die Sperrgesetz-Pläne ihrer Vorgängerin und Parteikollegin Ursula von der Leyen offen als Fehler.
Die Kernthemen der Piraten wurden einfach gekapert. SPD, Grüne, Linke, CDU, FDP - es gibt keine Partei mehr, die sich nicht für Internet und Datenschutz zuständig fühlt.
Komplettausfall der Männerrunde
Vorläufiger Tiefpunkt: Der Parteitag der Piraten vergangenes Wochenende in Bingen. Tausend Parteimitglieder trafen sich, um eine neue Führung zu wählen und endlich das Profil zu schärfen. Schnell sollten Formalitäten abgehandelt werden, um endlich über die Ausrichtung der Partei zu streiten.
Doch daraus wurde nichts: Ausgerechnet die inhaltliche Arbeit fand nicht statt. Die Piraten ergingen sich lieber in unzähligen Geschäftsordnungsanträgen. Dabei hätten sie im vierten Jahr nach ihrer Gründung wissen können, dass ein erfolgreicher Parteitag vorbereitet werden muss. Dass es womöglich sogar eine identitätsstiftende Grundsatzrede braucht, mit der die Mitglieder eingestimmt und an die gemeinsame Sache erinnert werden.
Innerhalb der Partei, das zeigen Forum, Wiki und Mailinglisten der Piraten, gäbe es genug kontroverse Themen für drei Parteitage: Junge Aktivisten treffen auf Ex-Mitglieder anderer Parteien, Altlinke auf liberale Staatsverächter und Verschwörungstheoretiker auf nüchterne Programmierer. Seitenlang debattieren sie im Netz über Grundeinkommen, Bundeswehr, Hartz IV, Atomenergie und Extremismus. Das ist verwirrend und unübersichtlich und doch die einzige Möglichkeit, etwas über die Standpunkte der Piraten zu erfahren.
Inhaltsleere auf dem Parteitag
Dagegen zog sich der Parteitag in Bingen quälend, inhaltsleer und altbacken hin. Allein zehn Stunden brauchten die Piraten, um einen neuen Vorstand zu küren. Der besonnene, doch letztlich farblose Parteichef Jens Seipenbusch setzte sich mit 52,6 Prozent der Stimmen gegen sieben weitere Kandidaten durch, er darf die Piraten ein weiteres Jahr verwalten. Auch die übrigen Posten gingen an Männer. Gegen die Piraten sieht selbst der CSU-Vorstand aus wie eine Frauenclique.
Als einzige Frau für den Vorstand kandidierte die Berliner Politikstudentin Lena Simon. Im Gegensatz zu vielen anderen Bewerbern trug sie konkrete politische Anliegen vor: Bildungspolitik, Atomausstieg und Abgrenzung gegen Neonazis.
Gewählt wurde sie nicht - die versammelten Piraten nahmen ihr offenbar übel, dass sie es vor Monaten gewagt hatte, eigenmächtig eine Mailingliste nur für Piratinnen einzurichten. Nach dem Selbstverständnis vieler Mitglieder gibt es aber keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen. "Warum sind wir so wenige Frauen und wie können wir das ändern?", hatte Simon gefragt. Auf eine Antwort verzichtet die Partei: "Ich befürchte, dass dieses Thema zu viel Raum bekommt, wenn wir dich im Vorstand haben", erklärte ein Pirat.
Der Parteichef verspricht eine "behutsame" Öffnung
Doch wofür steht nun die Partei? "Zur politischen Verortung haben wir noch nichts gehört", beklagt denn auch ein Redner am vergangenen Samstag. "Wir sind nicht gegründet worden, um uns selbst zu verwalten." Das Programm nur leicht oder stark erweitern - an dieser Frage scheiden sich die Geister.
Klar ist: Die Kernthemen der Partei reichen für die kommenden Landtagswahlkämpfe nicht mehr aus. Hier geht es um Kita-Plätze und Politik für den Arbeitsmarkt - nicht nur um Privatsphäre im Internet. Parteichef Seipenbusch setzt sich deshalb für eine "behutsame" Öffnung ein - was auch immer das heißen mag. In das Links-Rechts-Schema der Parteienlandschaft lassen sich die Piraten jedenfalls nicht einordnen, die Wähler bleiben ratlos zurück.
Damit steckt die Partei auf halbem Weg in die Parlamente fest. Wie die einstigen Hoffnungsträger der Generationen Google, C64 und Praktikum doch noch den großen Sprung schaffen wollen - sie wissen es wohl selbst nicht.
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