Freitag, 28. Mai 2010

Mephistopheles Köhler

Was machen deutsche Soldaten in Afghanistan? Warum hat Deutschland sich am Kosovo-Krieg beteiligt? Warum beteiligt sich die deutsche Marine an Anti-Piraterie-Maßnahmen vor dem Horn von Afrika? Natürlich, es geht bei allen diesen Militäreinsätzen primär um die direkten und indirekten Interessen der deutschen Wirtschaft und ganz profan um Macht. Krieg – dieses ungehörige Wort, das heute niemand mehr auszusprechen wagt – ist nun einmal nach Clausewitz eine Fortführung der Politik mit anderen Mitteln. Clausewitz ist immer noch aktuell, es liegt an der Politik, für welchen Zweck militärische Mittel eingesetzt werden. Über diese Dinge kann man offen und frei diskutieren – sie als Diskussionsgrundlage zu verwenden, ist zweckdienlich und ehrlich und ein deutlicher Fortschritt zur verlogen Diskussion über die vorwärtsgewandte Vaterlandverteidigung am Hindukusch. Dafür sollte man Horst Köhler Respekt zollen, auch wenn man sicherlich nicht mit seiner Position übereinstimmen muss. Der Präsident spricht Tacheles und das ist gut so.
“Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen – negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.”
Horst Köhler

What are we fighting for?

Kriege werden nie aus altruistischen Gründen geführt, es geht nicht um Brunnen, Schulen oder gar Frauenrechte. Bestenfalls spielen utilitaristische Motive eine Rolle und die Brunnen, Schulen und Frauenrechte fallen als positive Kollateralschäden bei der eigenen Nutzenmaximierung ab. Die Kriege des Westens werden nicht wegen der Freiheit der Menschen, sondern wegen der Freiheit der Märkte geführt. Die Big Player der freien Märkte sitzen in den Zentren des Westens und immer, wenn sich rückständische Marktwirtschaften dem freien Wettbewerb aussetzen, sind es die Big Player, die sich die neuen Märkte einverleiben.
Freie Märkte, von denen der Westen maßgeblich profitiert, können jedoch nur in einem politischen System entstehen, das pluralistisch und repräsentativ demokratisch ist. Hinter den Truppen des britischen Empires kamen die Händler. Auf dem Höhepunkt des Imperialismus kontrollierten mächtige Kolonialhandelsgesellschaften wie die Britische Ostindien-Kompanie sogar „eigene“ Armeen, die unter der Flagge der Kompanie und der des Königs Interessenpolitik mit militärischen Mitteln durchsetzen. Der westliche Imperialismus des 21. Jahrhunderts ist da eher „sophisticated“ – auch heute kommen die „Kompanien“ im rußgeschwärzten Windschatten der Armeen, sie treten allerdings nicht mehr direkt als Kriegsparteien auf, sondern betreiben politische Landschaftspflege.

Chapeau mon president

Horst Köhler hat Recht – die Kriege des Westens werden primär deshalb geführt, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Dies hilft dem Handel, dem Einkommen und in gewisser Art und Weise sogar den Arbeitsplätzen. Der moderne Imperialismus richtet zum Wohl des Zentrums Schaden in der Peripherie an. Es gibt gewichtige Gründe, diesen Imperialismus abzulehnen, zumal er fundamental so ziemlich allen völkerrechtlichen Grundlagen widerspricht. Wer, wie Köhler, diesen Imperialismus nicht ablehnt, sollte ihn allerdings auch selbstbewusst und offensiv verteidigen und sich nicht hinter dem Bau von Schulen und Brunnen, den Frauenrechten oder der Sicherheit im Heimatland verstecken. Über Köhlers ehrliche Positionen kann man diskutieren, über das bigotte Lügengebäude der Tagespolitik nicht.
Kein Wunder, dass sowohl Union als auch SPD und Grüne vor Wut im Karree springen, da Köhler ihnen in die Parade gefahren ist. Nur die FDP, die hinter Köhler steht, und die Linke, die froh ist, endlich jemanden gefunden zu haben, der offen die Kriegsgründe anspricht, können mit der ungewöhnlich offenen Art des Präsidenten gut leben. Die wahren Kriegstreiber in diesem Lande sind die moralinsauren Lügner, die Kriege, die nichts mit Humanität zu haben, mit einem humanitären Mäntelchen versehen, da sie dem Volk Sand in die Augen streuen.
Ja, wir führen Krieg am Hindukusch, um die zentral- und südasiatischen Märkte und die Handelswege für Brennstoffe unter demokratischer, also marktliberaler, Kontrolle zu halten. Ja, damit verdient unsere Wirtschaft im Erfolgsfall viel Geld und der Steuerzahler trägt das Risiko, da er den Militäreinsatz finanziert. Ja, unsere Söhne, Töchter, Brüder und Schwestern sterben für die finanziellen Interessen unserer Eliten – war es denn je anders?

Mephistopheles Köhler

Köhler hat dies ausgesprochen, was im Land, in dem man noch nicht einmal das Wort Krieg in den Mund nehmen darf, ein Dammbruch ist. Bleibt zu hoffen, dass die präsidiale Offenheit nun auch die Diskussionskultur revolutioniert. Wer gegen den Krieg ist, muss schließlich auch wissen, wogegen er ist. Köhler hat mit seiner Aussage wahrscheinlich mehr für die Anti-Kriegs-Bewegung getan, als es tausende Leitartikel in linksalternativen Medien je tun könnten. Kein Wunder, dass die bellizistischen Kommentatoren der Qualitätsmedien nun vor Wut schäumen. Ein wunderbares Beispiel für den „Mephisto-Effekt“ – unser ehemalige Sparkassendirektor ist in diesem Fall ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft.

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