Von Benjamin Bidder, Moskau
40 Tage lang haben russische und polnische Ermittler jedes Wrackteil der Unglücksmaschine des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski unter die Lupe genommen. Jeden Zentimeter des Wäldchens vor der Landebahn des Flugplatzes "Nord" von Smolensk, in den am 10. April die Tupolew-Maschine des Staatschefs stürzte, haben sie abgesucht. Die großflächig verstreuten Bruchstücke haben sie gesammelt und in einen nahen Flugzeughangar gebracht.
Sie suchen die Ursache der Katastrophe, bei der 96 Menschen ums Leben kamen, darunter das polnische Staatsoberhaupt, seine Ehefrau, ein Großteil der konservativen Elite und nahezu die gesamte Spitze des Militärs.
Experten haben in dem Smolensker Hangar versucht, die Trümmer wieder zusammenzusetzen: die Triebwerke am Heck, die zerschmetterten Tragflächen und das, was vom Cockpit übrig geblieben ist. Die Suche nach der Unglücksursache gleicht einem komplizierten Puzzle.
Jetzt haben die Spezialisten aus Russland und Polen erste Ergebnisse vorgelegt. Sie können, nach Entschlüsselung von Teilen der Flugschreiber, rekonstruieren, was an Bord geschah, auch die letzten dramatischen Sekunden im Cockpit, vor dem Aufprall.
Sie können jetzt mit Sicherheit sagen, was nicht Auslöser der Tragödie war: kein Brand an Bord, kein Terroranschlag, keine Motorprobleme, keine Aussetzer bei der Bordnavigation.
Wer aber ist verantwortlich für den Absturz? Darüber streiten Warschau und Moskau:
Klar ist jetzt, dass die polnischen Piloten der Tu-154 frühzeitig vor den widrigen Wetterverhältnissen gewarnt wurden - und zwar auf Polnisch.
Kurz vor der Präsidentenmaschine hatte bereits ein zweiter Flieger aus Warschau kommend die Landung in Smolensk gewagt, eine deutlich kleinere Jak-40 mit Journalisten an Bord. 27 Minuten vor dem Unglück funkte die Besatzung an Kaczynskis Piloten, die Sicht voraus betrage nur 400 Meter.
Wenige Minuten später ein zweiter Funkspruch: Sichtverschlechterung, 200 Meter. Ein Liner wie die Tupolew, sagen russische Experten, braucht aber mindestens 1000 Meter Sicht für eine sichere Landung.
Keine elf Minuten später erfährt die Besatzung von Kaczynskis Flieger zudem, dass eine russische Iljuschin-Transportmaschine nach zwei Versuchen die Landung in Smolensk abgebrochen hat und zu einem anderen Flughafen ausgewichen ist.
Auch die russischen Fluglotsen schicken mindestens zwei Warnungen in den Himmel - und bieten alternativ Minsk oder Moskau für eine Landung an. Das allerdings würde bedeuten, dass sich die Würdenträger bei der Trauerzeremonie verspäten, mit der am Vormittag in Katyn nahe Smolensk 20.000 von den Sowjets erschossener Polen gedacht werden soll.
Die Tu-154 will dennoch landen, aber sie kommt vom Kurs ab, und sie verliert zu schnell zu stark an Höhe. Nach Meinung der russischen Experten ein Fehler der polnischen Piloten. Im Blindflug durch den Nebel ist die Crew auf die Angaben der Bordinstrumente angewiesen. Nach Erkenntnissen russischer Experten hatte der Flugkapitän noch kurz vor der Landung den Autopiloten aktiviert und auf einen Sinkflug von vier Metern pro Sekunde programmiert.
Stimme einer fremden Person im Cockpit "eindeutig identifiziert"
Plötzlich melden die Instrumente, der Flieger sei viel zu hoch. Ein tödlicher Irrtum. Der Navigationsoffizier, so belegen es nach Angaben der russischen Ermittler Mitschnitte aus dem Cockpit, gerät in Panik. Immer wieder meldet er dem Piloten, man werde so die Landebahn verpassen. Der vertraut seinem Untergebenen - und geht in einen steilen Sinkflug über. Acht Meter pro Sekunde nähert sich die Tupolew den Wipfeln der Bäume, die den Flugplatz umgeben.
Die Cockpitbesatzung will so schnell wie möglich den dichten Nebel durchbrechen, die Männer schauen angestrengt aus dem Fenster und versuchen, den Erdboden zu entdecken. Niemand reagiert auf Warnungen der Fluglotsen, niemand auf den automatisierten Alarm der Systeme: "Pull up, pull up - zieh hoch, zieh hoch."
Die Bordsysteme hatten den Navigationsoffizier getäuscht und eine falsche Höhe gemeldet - weil die Maschine eine 40 Meter tiefe Senke vor der Landebahn überflog. Kurze Zeit später kollidierte das Flugzeug mit einer zehn Meter hohen Birke und zerschellte auf dem Boden.
Unklar ist noch, welche Rolle ein oder mehrere Passagiere spielten, die sich offenbar in unmittelbarer Nähe der Piloten aufhielten.
Kurz vor dem Crash wurde die Tür zum Cockpit geöffnet. Die Stimme einer Person sei "eindeutig identifiziert", teilte die Leiterin der Zwischenstaatlichen Flugkommission, Tatjana Anodina mit, nannte jedoch nicht deren Namen. Nach Informationen russischer Medien soll es sich bei dem Mann um Andrzej Blasik handeln, den Chef der polnischen Luftwaffe. Eine weitere Person "unterliege der Identifizierung durch die polnische Seite".
"Kein Vorbereitungsprogramm für Besatzungen des Flugzeugs Tu-154"
Damit erhalten Spekulationen neue Nahrung, die Piloten könnten von hohen Würdenträgern wie Blasik oder gar Präsident Kaczynski selbst zur Landung unter widrigen Bedingungen gedrängt worden sein.
Polens Vertreter in der Ermittlungskommission betonte allerdings, die Stimmen der Passagiere seien auf den Bändern sehr leise: "Die Stimmen waren nur im Hintergrund", sagte Edmund Klich. Das spreche dafür, dass sie nicht "direkt in der Pilotenkabine anwesend waren, sondern in der Nähe."
Offenbar waren die Piloten zudem nur unzureichend für einen Flug mit der Tupolew geschult. "Die Crew für die Maschine des Präsidenten wurde erst wenige Tage vor dem Flug zusammengestellt", kritisierte der russische Ermittler Alexander Morosow.
Tatsächlich hatte die Mannschaft kaum Erfahrung vor dem Flug nach Smolensk. "Im Unterschied zur zivilen Luftfahrt hat es im 36. Regiment kein Vorbereitungsprogramm an Simulatoren für Besatzungen des Flugzeugs Tu-154 gegeben", bestätigte der polnische Vertreter Klich. Der Navigationsoffizier verfügte gar nur über die Erfahrung von 30 Flugstunden mit Maschinen dieses Typs.
Für Russland scheint damit bereits festzustehen, dass die Schuld für die Katastrophe wohl bei der Besatzung liegt. Die polnische Seite verweist hingegen darauf, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind - und erst zehn Prozent der Aufnahmen des Stimmenrecorders ausgewertet sind.
Sie suchen die Ursache der Katastrophe, bei der 96 Menschen ums Leben kamen, darunter das polnische Staatsoberhaupt, seine Ehefrau, ein Großteil der konservativen Elite und nahezu die gesamte Spitze des Militärs.
Experten haben in dem Smolensker Hangar versucht, die Trümmer wieder zusammenzusetzen: die Triebwerke am Heck, die zerschmetterten Tragflächen und das, was vom Cockpit übrig geblieben ist. Die Suche nach der Unglücksursache gleicht einem komplizierten Puzzle.
Jetzt haben die Spezialisten aus Russland und Polen erste Ergebnisse vorgelegt. Sie können, nach Entschlüsselung von Teilen der Flugschreiber, rekonstruieren, was an Bord geschah, auch die letzten dramatischen Sekunden im Cockpit, vor dem Aufprall.
Sie können jetzt mit Sicherheit sagen, was nicht Auslöser der Tragödie war: kein Brand an Bord, kein Terroranschlag, keine Motorprobleme, keine Aussetzer bei der Bordnavigation.
Wer aber ist verantwortlich für den Absturz? Darüber streiten Warschau und Moskau:
- Ausschließlich die Piloten, die trotz Nebel und wiederholter Warnungen insgesamt vier Mal versuchten, in Smolensk zu landen?
- Die Russen, deren Flughafen schlecht ausgerüstet war und von Linienfliegern gar nicht angesteuert wird?
- Das Wetter, das die Sicht erschwerte?
- Oder doch die mysteriösen Passagiere, deren Stimmen der Bordrecorder kurz vor dem Aufprall erfasste, im Cockpit, wo sie nichts zu suchen hatten?
Klar ist jetzt, dass die polnischen Piloten der Tu-154 frühzeitig vor den widrigen Wetterverhältnissen gewarnt wurden - und zwar auf Polnisch.
Kurz vor der Präsidentenmaschine hatte bereits ein zweiter Flieger aus Warschau kommend die Landung in Smolensk gewagt, eine deutlich kleinere Jak-40 mit Journalisten an Bord. 27 Minuten vor dem Unglück funkte die Besatzung an Kaczynskis Piloten, die Sicht voraus betrage nur 400 Meter.
Wenige Minuten später ein zweiter Funkspruch: Sichtverschlechterung, 200 Meter. Ein Liner wie die Tupolew, sagen russische Experten, braucht aber mindestens 1000 Meter Sicht für eine sichere Landung.
Keine elf Minuten später erfährt die Besatzung von Kaczynskis Flieger zudem, dass eine russische Iljuschin-Transportmaschine nach zwei Versuchen die Landung in Smolensk abgebrochen hat und zu einem anderen Flughafen ausgewichen ist.
Auch die russischen Fluglotsen schicken mindestens zwei Warnungen in den Himmel - und bieten alternativ Minsk oder Moskau für eine Landung an. Das allerdings würde bedeuten, dass sich die Würdenträger bei der Trauerzeremonie verspäten, mit der am Vormittag in Katyn nahe Smolensk 20.000 von den Sowjets erschossener Polen gedacht werden soll.
Die Tu-154 will dennoch landen, aber sie kommt vom Kurs ab, und sie verliert zu schnell zu stark an Höhe. Nach Meinung der russischen Experten ein Fehler der polnischen Piloten. Im Blindflug durch den Nebel ist die Crew auf die Angaben der Bordinstrumente angewiesen. Nach Erkenntnissen russischer Experten hatte der Flugkapitän noch kurz vor der Landung den Autopiloten aktiviert und auf einen Sinkflug von vier Metern pro Sekunde programmiert.
Stimme einer fremden Person im Cockpit "eindeutig identifiziert"
Plötzlich melden die Instrumente, der Flieger sei viel zu hoch. Ein tödlicher Irrtum. Der Navigationsoffizier, so belegen es nach Angaben der russischen Ermittler Mitschnitte aus dem Cockpit, gerät in Panik. Immer wieder meldet er dem Piloten, man werde so die Landebahn verpassen. Der vertraut seinem Untergebenen - und geht in einen steilen Sinkflug über. Acht Meter pro Sekunde nähert sich die Tupolew den Wipfeln der Bäume, die den Flugplatz umgeben.
Die Cockpitbesatzung will so schnell wie möglich den dichten Nebel durchbrechen, die Männer schauen angestrengt aus dem Fenster und versuchen, den Erdboden zu entdecken. Niemand reagiert auf Warnungen der Fluglotsen, niemand auf den automatisierten Alarm der Systeme: "Pull up, pull up - zieh hoch, zieh hoch."
Die Bordsysteme hatten den Navigationsoffizier getäuscht und eine falsche Höhe gemeldet - weil die Maschine eine 40 Meter tiefe Senke vor der Landebahn überflog. Kurze Zeit später kollidierte das Flugzeug mit einer zehn Meter hohen Birke und zerschellte auf dem Boden.
Unklar ist noch, welche Rolle ein oder mehrere Passagiere spielten, die sich offenbar in unmittelbarer Nähe der Piloten aufhielten.
Kurz vor dem Crash wurde die Tür zum Cockpit geöffnet. Die Stimme einer Person sei "eindeutig identifiziert", teilte die Leiterin der Zwischenstaatlichen Flugkommission, Tatjana Anodina mit, nannte jedoch nicht deren Namen. Nach Informationen russischer Medien soll es sich bei dem Mann um Andrzej Blasik handeln, den Chef der polnischen Luftwaffe. Eine weitere Person "unterliege der Identifizierung durch die polnische Seite".
"Kein Vorbereitungsprogramm für Besatzungen des Flugzeugs Tu-154"
Damit erhalten Spekulationen neue Nahrung, die Piloten könnten von hohen Würdenträgern wie Blasik oder gar Präsident Kaczynski selbst zur Landung unter widrigen Bedingungen gedrängt worden sein.
Polens Vertreter in der Ermittlungskommission betonte allerdings, die Stimmen der Passagiere seien auf den Bändern sehr leise: "Die Stimmen waren nur im Hintergrund", sagte Edmund Klich. Das spreche dafür, dass sie nicht "direkt in der Pilotenkabine anwesend waren, sondern in der Nähe."
Offenbar waren die Piloten zudem nur unzureichend für einen Flug mit der Tupolew geschult. "Die Crew für die Maschine des Präsidenten wurde erst wenige Tage vor dem Flug zusammengestellt", kritisierte der russische Ermittler Alexander Morosow.
Tatsächlich hatte die Mannschaft kaum Erfahrung vor dem Flug nach Smolensk. "Im Unterschied zur zivilen Luftfahrt hat es im 36. Regiment kein Vorbereitungsprogramm an Simulatoren für Besatzungen des Flugzeugs Tu-154 gegeben", bestätigte der polnische Vertreter Klich. Der Navigationsoffizier verfügte gar nur über die Erfahrung von 30 Flugstunden mit Maschinen dieses Typs.
Für Russland scheint damit bereits festzustehen, dass die Schuld für die Katastrophe wohl bei der Besatzung liegt. Die polnische Seite verweist hingegen darauf, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind - und erst zehn Prozent der Aufnahmen des Stimmenrecorders ausgewertet sind.
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