Samstag, 8. Mai 2010

Eishockey-WM: Deutsche Kufen-Cracks bejubeln ihr Frühlingsmärchen

Der erste WM-Sieg gegen die USA nach 17 Jahren war perfekt, die Schalke-Arena stand Kopf

Aus Gelsenkirchen berichtet Daniel Theweleit

Den haushohen Favoriten bezwungen, das Rekordpublikum verzaubert: Das deutsche Eishockey-Team hat einen Traumstart in die Heim-WM hingelegt. Sogar die geschlagenen Amerikaner waren froh, dabei gewesen zu sein. Nun hoffen die harten Jungs vor allem eines: Dass endlich jemand ihr Turnier bemerkt.

Märchen beginnen fast immer gleich: "Es war einmal..." Doch das Eishockey-Märchen 2010 klingt ein wenig anders: "So was Geiles habe ich im Eishockey noch nie erlebt", sagte der deutsche Torhüter Dennis Endras nach dem 2:1-Sieg nach Verlängerung gegen die USA. Ähnliche Aussagen formulierten fast alle deutschen Spieler irgendwann auf dem Weg aus der Schalker Arena.

Dass die Kulisse von 77.803 Zuschauern einen neuen Eishockeyweltrekord bedeutete und im Guinness-Buch der Rekorde vermerkt wird, sorgte im Vorlauf dieser WM für Schlagzeilen. Nach diesem Eröffnungsspiel interessiert das kaum noch jemanden. Zumal klar ist, dass der Rekord noch in diesem Jahr wieder verlorengeht, in Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan ist am 11. Dezember ein Eishockey-Event mit 105.000 Zuschauern geplant.

Von diesem Abend bleibt etwas anderes hängen: das Kribbeln, wenn ein Sportpublikum zu einer mächtigen Masse verschmilzt, die Magie des überspringenden Funken. "Dieses Spiel ist die Lokomotive für die Mannschaft, es ist die Lokomotive für das ganze Turnier", sagte Bundestrainer Uwe Krupp.

Dabei war die Furcht vor einem Reinfall bei der Heim-WM riesig gewesen. Eishockey ist in Deutschland zur bedeutungslosen Randsportart verkommen, zu schwach präsentierte sich die Nationalmannschaft in der jüngeren Vergangenheit. Zu hoch lag nach dem Sommermärchen 2006 (Fußball) und dem Wintermärchen 2007 (Handball) die Messlatte aus anderen Sportarten. "Es wird schon gutgehen", rief Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung der WM am Freitag mit dünner Stimme ins Mikrofon. Zuversicht klingt anders. Der Triumph gegen die USA hat die Stimmung dramatisch gewandelt.

An diesem Abend passte wirklich alles zusammen, und man muss sich fragen, woher deutsche Sportmannschaften die Fähigkeit nehmen, bei Heim-Weltmeisterschaften immer genau im richtigen Moment eines Turniers das perfekt passende Drama zu inszenieren.

Harter Kampf des Underdogs
Mit Hingabe kämpften die Deutschen als krasser Außenseiter gegen den Mitfavoriten USA, zwei Drittel lang hielten sie den Olympiazweiten mit einer starken Mannschaftsleistung fern vom eigenen Tor. Nach 25:20 Minuten ging das Team durch den Treffer von Michael Wolf sogar in Führung. "Es war unglaublich laut, ich konnte meine Mitspieler nicht verstehen, ich war extrem nervös", sagte der Amerikaner Tim Kenndey nach der Partie. Erst als die Kräfte schwanden, glichen die technisch überlegenen Gäste aus (Ryan Carter, 48:28). Rückblickend war sogar dieser Rückschlag ein passendes Stück im Märchenpuzzle.

Denn das Spiel ging in die Verlängerung, 21 Sekunden waren gespielt, als Felix Schütz die Scheibe ins amerikanische Tor bugsierte, und eine Explosion der Freude auslöste. "Es war ein großes Erlebnis, Teil davon sein zu dürfen", sagte Scott Gordon, Trainer des US-Teams. Spektakulärer hätte dieses Eröffnungsspiel nicht enden können. "Man muss nicht immer nur zum Fußball rennen, man kann auch mal zum Eishockey gehen", formulierte Stürmer Constantin Braun etwas salopp die Hoffnungen der Organisationen. In den kommenden drei Wochen finden in Köln und Mannheim 54 weitere WM-Partien statt. Die Sorge ist weiterhin groß, dass viele von ihnen vor leeren Rängen gespielt werden könnten.

Siege steigern den Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung
Vor einigen Tagen wussten noch nicht einmal 15 Prozent der Bevölkerung, dass dieses Turnier überhaupt stattfindet. Das zu ändern ist vor allem Aufgabe des deutschen Teams, das am Montag gegen Finnland antritt und am Mittwoch das wohl entscheidende Vorrundenspiel gegen Dänemark bestreitet. "Man muss nicht nur irgendein Spiel gewinnen, man muss das richtige Spiel gewinnen", sagte Krupp.

Der Sieg gegen die USA ist zwar wertvoll, aber er garantiert nicht die Teilnahme an der Zwischenrunde. Deshalb erklärte der Bundestrainer irgendwann im Tumult der Euphorie: "Ich glaube, ich muss jetzt mal etwas auf die Bremse treten, wir wären gerne da, wo der Handball ist und wo der Fußball ist, aber das sind wir leider nicht." Der Anfang ist gemacht.

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