Mittwoch, 5. Mai 2010

Ein Einkäufer Nordkoreas packt aus

Während die Menschen in Nordkorea Hunger litten, kaufte er im Ausland für die Machthaber Überwachungsanlagen oder Luxuslimousinen. Der ehemalige Einkäufer Kim Jong Ryul schildert das korrupte System Pjöngjangs.

Mit einem Diplomatenpass und Taschen voller Bargeld reiste Kim Jong Ryul 1974 erstmals in die österreichische Hauptstadt Wien. Kim sollte für den koreanischen Machthaber Kim Il Sung und seinen Familienclan Waren besorgen. "Ich habe alles mögliche gekauft", sagt der heute 75-Jährige. "Metalldetektoren, Giftgasdetektoren, Fingerabdruckgeräte. Die Diktatoren wollten auch Villen gebaut haben, mit vergoldeten Schallschutzfenstern und mit kugelsicheren Fenstern. Das habe ich alles produzieren lassen und in Container hineingeladen und nach Nordkorea geschickt." In dem Buch "Im Dienst des Diktators", das der Nordkoreaner mit Hilfe zweier österreichischer Journalisten geschrieben hat, erzählt Kim nun erstmals aus seinem Leben.

Luxuslimousinen für den Fuhrpark des Diktators
In den fünfziger Jahren hatte Kim im sozialistischen Teil Deutschlands, in der damaligen DDR, studiert. Dort lernte er Deutsch. Wegen seiner Sprachkenntnisse wurde er in den folgenden Jahren immer wieder zum Einkaufen nach Österreich geschickt. "Das kleine Volk hungert, sie sterben vor Hunger, aber diese Diktatoren fahren Luxuslimousinen. Wie oft war ich in Stuttgart Sindelfingen, da habe ich diese Mercedes Pullmann 600 gekauft. Nicht nur einen, sondern mehr als zehn, alle gepanzert."

Dreh- und Angelpunkt der Geschäfte war die nordkoreanische Botschaft in Wien, die Einkäufe selbst erledigten kleine Firmen, die sich ihre Dienste für Nordkorea fürstlich entlohnen ließen. Denn sie bestellten auch viele Waren, die aufgrund des Embargos eigentlich nicht nach Nordkorea hätten verkauft werden dürfen. Dann packten sie die heiße Waren neu um und besorgten falsche Frachtpapiere. Für dieses Rundum-Sorglos-Paket zahlte Pjöngjang saftige Preise. Überhaupt trug Kim Jong Ryul oft gewaltige Mengen Bargeld bei sich, weil ein Großteil der abgewickelten Geschäfte von Nordkorea in bar bezahlt werden musste.

Als 1994 Staatsgründer Kim Il Sung starb, setzte sich Kim Jong Ryul in den Westen ab. "Ich hatte geglaubt, wenn der Große Diktator tot ist, dann wird es nicht lange dauern und es wird eine Revolution stattfinden und dann wird Demokratie kommen", sagt Kim rückblickend. Doch er sollte sich täuschen. "Heute gibt es Nordkorea immer noch", schimpft er aufgebracht.

Sein Abtauchen inszenierte Kim 1994 als Unfall - er wollte verhindern, dass der nordkoreanische Geheimdienst ihn in Europa sucht. Zudem wollte er seine in Nordkorea zurückgelassene Familie schützen. Denn Kim fürchtete, dass man sie für seine Flucht bestrafen und in ein Arbeitslager deportieren würde.

Kims letzter Schrei vor seinem Tod

Seit seinem Verschwinden vor mehr als 15 Jahren lebte Kim anonym und zurückgezogen in Österreich. Aus Angst, mit den Behörden in Kontakt zu kommen, verließ er nur selten das Haus. Einladungen von Nachbarn schlug er aus. Um nicht zum Arzt zu müssen, achtete er stets auf seine Gesundheit.
Mit 75 Jahren hat Kim nun aber seine Anonymität aufgeben, mit dem Buch ist er an die Öffentlichkeit gegangen. Er will die Welt über das Unrecht in Nordkorea aufklären: "Vor dem Sterben möchte ich einen letzten Schrei machen. Dieser letzte Schrei, das ist das Buch, in dem ich ausgepackt habe. Das ist die Schlussfolgerung meines Lebens. Diese Diktatoren haben mich in die Flucht verjagt."

Autorin: Silke Ballweg

Redaktion: Thomas Latschan


Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi: "Im Dienst des Diktators. Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten". Ueberreuter Verlag 2010. 207 Seiten, 19,95 Euro

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