Montag, 3. Mai 2010

Chinas Schwulen- und Lesben-Mekka


In der Expo-Stadt Shanghai gibt es Freiräume für Homosexuelle

Die Party in einer heruntergekommenen Halle eines Arbeiterviertels von Shanghai ist in vollem Gange. Dutzende schwule Männer tanzen unter blinkenden Lichtern und Lametta langsam zu einer Ballade. Zwar werden viele von ihnen später zu ihren Ehefrauen zurückkehren - doch zumindest einige Stunden lang können sie hier im “Lailai”-Club sie selbst sein. Und das ist in einem Land, in dem Homosexuelle noch immer hohem sozialen und familiären Druck ausgesetzt sind, viel wert: “Wenn du schwul bist und die Leute in deiner Heimatstadt das herausfinden, ist alles vorbei”, sagt Leon, ein 28-jähriger Reiseleiter aus der Provinz Anhui im Osten, der seit zehn Jahren in Shanghai lebt.

In der Wirtschaftsmetropole, wo am Samstag die Weltausstellung Expo ihre Tore für das Publikum öffnet, ist das gesellschaftliche Klima etwas liberaler als in anderen Landesteilen - und so hat sich Shanghai seit einiger Zeit zum Mekka der chinesischen Homosexuellen entwickelt. Hier gibt es Bars, Clubs und sogar Schwimm- und Volleyballteams für Schwule und Lesben. Und im Juni vergangenen Jahres fand in Shanghai sogar das erste Homosexuellen-Festival Chinas statt. Zwar sagten die Behörden einige der zu dem Festival geplanten Veranstaltungen ab, doch die meisten wurden genehmigt.

Bis 2001 galt Homosexualität in China offiziell noch als Geisteskrankheit. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Lage für Schwule und Lesben ein Stück weit verbessert - vor allem in Shanghai, aber auch in einigen anderen Städten. Dazu beigetragen haben die Aufklärungsarbeit von Nichtregierungsorganisationen, der Medien und einiger Schulen sowie auch der Einfluss des Internet. “In der Vergangenheit, sogar noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wurden Schwulenbars oft von der Polizei heimgesucht”, sagt Zhang Beichuan, ein Experte für Fragen der Homosexualität an der Universität von Qingdao. “Jetzt hat sich die Situation verändert. Man kann viele Dinge offener machen.”



Doch in kleineren Städten und auf dem Land mangelt es noch immer an Toleranz. “Hauptgrund ist, dass in China die Fortführung der Ahnenreihe sehr wichtig ist”, sagt die Sexologin Li Yinhe. “Wenn man sich nicht fortpflanzt, hat die Familie keine Nachkommen. In China ist das Wort ‘juehu’ - ohne Nachkommen - ein Schimpfwort.” Unter dem Druck der Eltern kommt es nicht selten vor, dass ein homosexueller Mann und eine homosexuelle Frau einander heiraten. In Shanghai veranstaltet eine Bar sogar spezielle Treffs für Schwule und Lesben, damit sich dort Paare für die Eheschließung finden, wie ein Vertreter der Homosexuellen-Organisation LGBT berichtet.

Auch Leon heiratete auf familiären Druck eine Klassenkameradin, mit der er zwei Töchter hat. Seine Frau ist heterosexuell, und sie weiß nichts von seiner sexuellen Präferenz - geschweige denn davon, dass ihr Mann einen festen Freund hat. “Manchmal tut sie mir ein bisschen leid, aber wie kann ich das jetzt wieder gutmachen?”, fragt Leon. “Ich kann sie nur mit Geld unterstützen und ihr das Leben so angenehm wie möglich machen.”

Ma Qun, der bei dem Tanztreff in der “Lailai”-Halle ebenfalls dabei ist, hat hingegen nie geheiratet. Allerdings habe er es auch nie gewagt, mit einem Mann zusammenzuleben, erzählt der 75-Jährige, während er den Tänzern zuschaut. Dennoch ist er zufrieden, dass die Schwulen jetzt ihre Identität nicht mehr ständig kaschieren müssen. “Inzwischen ist kein Druck mehr in meinem Herzen”, sagte der alte Mann und lächelt dabei.

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