Mittwoch, 21. April 2010

Wall Street gegen Washington: Wie sich Goldman in der Betrugsaffäre windet

Von Marc Pitzke, New York

Goldman Sachs schlägt zurück. Auf die Anklage der US-Börsenaufsicht wegen des Verdachts auf Milliardenbetrug reagiert die Großbank in extrem aggressivem Ton. Der Fall zeigt: Das Klima zwischen Wall Street und Politik ist vergiftet - weil Präsident Obama die Spekulation massiv einschränken will.

Es ist nicht gerade üblich, dass Wall-Street-Firmen Rechtsbeistand erbitten, wenn sie ihre Finanzen mit Marktanalysten diskutieren. Doch Goldman Sachs sah sich am Dienstag zu genau diesem Schritt gezwungen: Ehrengast der morgendlichen Schaltkonferenz zu den jüngsten Quartalszahlen war Greg Palm, Goldmans Top-Syndikus und Co-Chef der Rechtsabteilung.

Dabei hätten die Zahlen das einzige Thema sein sollen. Schließlich waren sie beachtlich: In den ersten drei Monaten machte Goldman Sachs nach Vorzugsdividenden einen Gewinn von 3,3 Milliarden Dollar. Finanzchef David Viniar präsentierte die Bilanz triumphierend.

Doch die Aktienanalysten - darunter Stars der Branche wie Meredith Whitney - interessierten sich nur für eines: die Milliarden-Betrugsklage der US-Börsenaufsicht SEC gegen Goldman.

Es war eine von betonter Kumpelei kaschierte Inquisition. Man war per du, doch hart. Einer nach dem anderen stellten sie bohrende Fragen nach Goldmans Rolle beim Verkauf jenes verhängnisvollen Kreditprodukts namens "Abacus 2007-AC1", das die Investoren - darunter die deutsche Mittelstandsbank IKB - eine Milliarde Dollar kostete und jetzt die SEC auf den Plan gerufen hat. Und Goldman ließ eine Frage nach der anderen an sich abprallen.

Was ist unethisch - und was illegal?
Es zeigt sich immer mehr, dass hinter dieser Klage eine grundsätzlichere, moralisch-ideologische Frage steckt; eine Frage, die die Zukunft der US-Finanzbranche bestimmen könnte. Die SEC, als Vollstrecker der Regierung Barack Obamas, will es wissen: Was ist erlaubt an der Wall Street, was verpönt, was unethisch - und was schlichtweg illegal?

Zwei absolut gegensätzliche Ansichten treffen aufeinander. Auf der einen Seite steht Goldman, dessen Verteidigungsstrategie Palm klarmachte: Der Markt ist ein riskantes Pflaster, wer hier mittanzt, weiß, auf was er sich einlässt - alles fair und gut. Die IKB und die anderen seien doch "kluge Investoren" gewesen. Niemand habe den "beispiellosen Marktkollaps" ahnen können.

Auf der anderen Seite steht die US-Regierung. Ihre Ansicht: Kunstprodukte wie "Abacus" dienen meist nur einem Zweck - die Insider zu bereichern und die Outsider abzuzocken. Sie erfüllen keinen größeren sozialen, "demokratischen" Zweck, wie es Goldman so gerne beansprucht. Stattdessen, sagt Obama, habe man es mit einem "düsteren, riskanten Markt" zu tun.

Es ist entweder Zufall - oder perfektes Timing, dass die Goldman-Klage ausgerechnet diese Woche die Schlagzeilen beherrscht. Denn Obama macht gerade neuen Druck mit seiner Finanzreform und poltert laut gegen die Wall Street - da passt es bestens, dass deren größter Name in schlechtem Licht dasteht. Am Donnerstag wird Obama diese Fragen groß thematisieren, bei einer Rede in Manhattan, inszeniert als Ausflug in die Höhle des Löwen.

Es ist, als greife Obama die Wall Street von zwei Flanken an - politisch und juristisch.

"Wir würden nie jemanden vorsätzlich hintergehen"
Goldman weiß, was auf dem Spiel steht. Chefjustitiar Palm verteidigte seine Firma denn auch aggressiv. "Die Vorwürfe sind haltlos", begann er, die Konzernlinie wiederholend. "Abacus" sei mitnichten getürkt gewesen, um, wie die SEC in ihrer Zivilklage behauptet, die Anleger in die Irre zu führen und dem Hedgefonds-Milliardär John Paulson, der gegen den Deal gewettet hatte, einen fetten Gewinn zu bescheren.

"Wir würden nie jemanden vorsätzlich hintergehen, ganz sicher nicht unsere Klienten oder Gegenparteien", versicherte Palm. "Wir hatten sicher keinen Anreiz, eine Transaktion zu konstruieren, die darauf abzielte, Geld zu verlieren."

Man beachte die feine Wortwahl, Merkmal des Juristen: "vorsätzlich", "Anreiz".

Auch Goldman verlor bei dem Geschäft nach Palms Angaben mehr als hundert Millionen Dollar - mehr, als der Konzern bisher eingeräumt hatte: In früheren Mitteilungen war von "mehr als 90 Millionen Dollar" die Rede gewesen. "100 Millionen sind ja mehr als 90 Millionen", gab Palm auf Nachfrage verschnupft zurück.

Doch selbst Experten scheinen den "Abacus"-Deal nicht vollends zu durchblicken. "Abacus" war ein Derivat, im Fachjargon eine "collateralized debt obligation" (CDO) - eines jener "synthetischen" Kreditprodukte, mit denen sich Banken am Kapitalmarkt absichern können, die aber auch zu einer Hauptursache der weltweiten Finanzkrise wurden. Der Kurs der Papiere hängt vom Preis anderer Güter ab. In diesem Fall - über ein paar weitere finanztechnische Ecken - von Hypotheken, mit denen die Investoren gar nichts zu tun hatten.

Die Frage ist: Auf welcher Seite stand Goldman?
Das alles ist, wie Andrew Ross Sorkin in der "New York Times" schreibt, nicht mehr als "eine simple Wette". Bei "Abacus" setzten die deutsche IKB und die niederländische ABN Amro - die ihren 841-Millionen-Dollar-Verlust später an die Royal Bank of Scotland vererbte - darauf, dass der Hypothekenmarkt steigen würde. Paulson wettete darauf, dass er stürzen würde.

Das ist normal. Jedes solche Geschäft benötigt zwei Pole, einen "Long"-Investor und einen "Short"-Investor. Die Frage ist in diesem Fall: Auf welcher Seite stand Goldman?

Palm widersprach dazu auch einem anderen, zentralen Punkt der SEC-Klage: Die Zusammensetzung von "Abacus" sei mitnichten von Paulson gestaltet worden, schon gar nicht auf ein Scheitern hin. Stattdessen habe die unabhängige Finanzfirma ACA, die den Deal absegnete, "das finale Portfolio bestimmt". Hier steht nun Aussage gegen Aussage.

Die Anleger jedenfalls fällten ihr Urteil. Trotz der phantastischen Quartalszahlen und der Bemühungen des Juristen um Erklärungen fiel der Kurs der Goldman-Aktie am Dienstag um mehr als zwei Prozent.

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