Donnerstag, 29. April 2010

Der Tod des Achidi John

Brechmitteleinsatz in Hamburg

Im Dezember 2001 hatte Hamburg den ersten Toten nach einem Brechmitteleinsatz. Der Todesfall blieb ohne strafrechtliche Konsequenzen.

VON KAI VON APPEN

Im rot-grünen Hamburger Senat hatte es jahrelang ein kategorisches Nein gegeben. Trotz des regen Drogenhandels am Hamburger Hauptbahnhof komme ein Brechmitteleinsatz, um Dealer mit verschluckten Heroinkügelchen in Silberpapier zu überführen, nicht in Frage - schon wegen rechtlicher Zweifel und der medizinischen Bedenken der Ärzteschaft. Doch angesichts der Wahlprognosen, die 2001 dem Rechtspopulisten Ronald Schill prophezeit wurden, machte der damalige Interims-Innensenator Olaf Scholz (SPD) im Herbst 2001 einen Salto mortale. Und auch der Leiter der Rechtsmedizin des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klaus Püschel, gab plötzlich seine zuvor hartnäckig geäußerten Bedenken gegen das Brechmittel "Ipecauanha" auf.

Es dauerte nicht lange, da hatte Hamburg seinen ersten Todesfall zu beklagen. Der 19-Jährige Nigerianer Achidi John war am Morgen des 8. Dezember 2001 von Zivilfahndern im Stadtteil St. Georg wegen des Verdachts des Drogenhandels aufgegriffen worden und sogleich in die Rechtsmedizin gefahren worden. Als eine herbeigeeilte Rechtsmedizinerin ihm eine Magensonde einführen wollte, um ihm gewaltsam den "mexikanischen Sirup" einzuflößen, leistete John erheblichen Widerstand, so dass er von mehreren Polizisten "fixiert" werden musste. Eine Anäthesistin für den Notfall wurde nicht zu Hilfe gerufen.

Nach dem Einflößen des Ipecacuanha-Sirups fiel er zu Boden. "Eigentlich keine ungewöhnliche Reaktion", sagte Püschel später, der gegen das Votum der Ärztekammer die Unbedenklichkeitserklärung erteilt hatte und im Prozess gegen den Bremer Polizeiarzt 2004 als Gutachter auftrat. Aber dann seien "Abläufe eingetreten, mit denen wir nicht gerechnet haben". Die Gesichtsfarbe habe sich verändert, Atmung und Puls hätten ausgesetzt. Zwei Notärzteteams versuchten den Mann zu reanimieren, erst nach 30 Minuten konnte er in die Intensivstation gebracht werden. Zu spät.

Der Tod von Achidi John führte damals dazu, dass in Berlin und Bremen sofort der Brechmitteleinsatz ausgesetzt wurde. Und auch das Bundesverfassungsgericht meldete sich unaufgefordert zu Wort und stellte klar, dass es Brechmitteleinsätze, niemals gebilligt habe. 1999 hatte das Gericht zwar in einem Fall festgestellt, dass Brechmittel "in Hinblick auf die Menschenwürde und die Selbstbelastungsfreiheit keinen grundsätzlichen verfassungsgerichtlichen Bedenken unterliegt". Doch zunächst müssten medizinische Fragen geklärt werden. Und: Das sage nichts darüber aus, "inwieweit eine zwangsweise Verabreichung zulässig ist".

Strafrechtlich wurde die Hamburger Rechtsmedizinerin nie zur Rechenschaft gezogen. Die Obduktion hatte ergeben, dass John an einem Hirntod aufgrund von Sauerstoffmangels gestorben ist, der durch einen Herzstillstand verursacht wurde. Die Rechtsmediziner attestierten dem Toten einen Herzfehler.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Und auch ein Klageerzwingungsverfahren, das die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke für die Angehörigen angestrengt hatte, bleib erfolglos, trotz der Ächtung des Brechmitteleinsatzes durch den EGMR.

BGH hebt Freispruch auf

Anfang 2005 starb in Bremen ein Afrikaner nach einem Brechmitteleinsatz. Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch für den beteiligten Polizeiarzt aufgehoben.

VON CHRISTIAN RATH

"Ipecacuanha", auch bekannt als Brechmittel.

Der tödliche Brechmitteleinsatz von Bremen wird voraussichtlich doch strafrechtliche Konsequenzen haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob am Donnerstag den Freispruch für den Bremer Arzt Igor V. auf. Er hatte 2004 den Tod eines Mannes aus Sierra Leone verursacht. Der Prozess gegen den Arzt muss nun neu aufgerollt werden.

Am 27. Dezember 2004 nahmen Polizeifahnder den 35-jährigen Afrikaner Laya C. im Bremer Steintorviertel fest. Verdacht: Drogenhandel. C. habe die Beweismittel, kleine Drogenkügelchen, verschluckt. Auf der Polizeiwache forderten die Fahnder Unterstützung von Arzt Igor V. an. V. arbeitete für ein privates Unternehmen, das im Auftrag der Polizei Blutuntersuchungen und ähnliches durchführt. Mit Brechmitteleinsätzen hatte er aber noch keine Erfahrung, obwohl sie in Bremen damals keine Seltenheit waren. V. verabreichte dem gefesselten Afrikaner den Brechmittelsirup Ipecacuanha über eine Magensonde. Dann flößte er ihm große Mengen Wasser ein, um den Brechreiz weiter zu fördern. C. fiel ihn Ohnmacht, V. rief den Notarzt. Dieser stabilisierte den gefesselten Afrikaner, V. flößte dem Gefangenen noch weiter Wasser ein, auch nachdem dieser bereits Kokainkügelchen ausgespuckt hatte. Dabei lief C.s Lunge voll Wasser. Er fiel erneut ins Koma und starb einige Tage später im Krankenhaus. "Tod durch Ertrinken", diagnostizierten die Ärzte.

Igor V. wurde am Landgericht Bremen wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. V. wurde aber im Dezember 2008 freigesprochen. Der Arzt habe zwar objektiv gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, dies aber wegen "Überforderung" subjektiv nicht erkennen können.

Jetzt hob der BGH in Leipzig das Bremer Urteil auf und verlangte eine neue Verhandlung. Auch die BGH-Richter gingen von einer Überforderung V.s aus, sie warfen ihm aber vor, dass er die Maßnahme erst gar nicht hätte beginnen dürfen. Es liege ein "Übernahmeverschulden" vor. Dass auch der Notarzt den Einsatz nicht stoppte, könne V. nicht entlasten. Als approbierter Arzt müsse er selbst wissen, was zu tun ist, so der BGH.

Als Fehler kreideten die Richter V. auch an, dass er den Festgenommenen, der an einem Herzfehler litt, nicht über die Risiken der Behandlung aufklärte. Außerdem zeigten die Richter kein Verständnis dafür, dass V. dem Afrikaner "unter menschenunwürdigen Umständen" weiter Wasser einflößte, als bereits erste Kokainkügelchen vorlagen. Beim neuen Prozess kommt neben der "fahrlässigen Tötung" mit einer Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Haft auch "Körperverletzung mit Todesfolge" in Betracht. Hier beginnt die Mindeststrafe erst bei drei Jahren; Geld- und Bewährungsstrafen sind ausgeschlossen.

Der BGH bezeichnete auch den Notarzt sowie die Polizisten der Beweismittelsicherung ausdrücklich als "Nebentäter". Bisher blieben diese unbehelligt. Ihnen könnte nun auch ein Ermittlungsverfahren drohen.

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