Mittwoch, 21. April 2010

Ex-Bundesrichter Neskovic wirft Bundesanwaltschaft mangelnde Distanz vor

Verfahren gegen Oberst Klein

Mit der Verfahrenseinstellung gegen Oberst Klein hat die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen beendet. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt Ex-Bundesrichter und Linken-Fraktionsmitglied Wolfgang Neskovic, warum er die Entscheidung für falsch hält - und das Verfahren noch nicht vorbei ist.

SPIEGEL ONLINE: Das Verfahren gegen Oberst Klein wegen des Bombardements in Kunduz ist von der Generalbundesanwaltschaft eingestellt worden. Viele Politiker, allen voran der Verteidigungsminister, haben die Entscheidung begrüßt. Teilen Sie, als ehemaliger Bundesrichter, die Begründung der Bundesanwälte?

Neskovic: Die veröffentlichte Begründung ist juristisch gesehen handwerklich so unbefriedigend und lückenhaft, dass es gar nicht möglich ist, die Entscheidung nachzuvollziehen. Die Argumentation ist nicht transparent, weil sie sich hinter der Geheimhaltung der zugrunde liegenden Dokumente verschanzt. Eins ist klar: Die Bundesanwaltschaft hat eine ihrer wichtigsten Pflichten vernachlässigt. Sie hätte die Vorgänge in Kunduz mit einer kritisch zivilen Distanz prüfen müssen. Stattdessen hat sie sich ausschließlich die militärische Sichtweise zu eigen macht.

SPIEGEL ONLINE: Aber die Begründung der Generalbundesanwältin Monika Harms wirkt doch ziemlich ausführlich.

Neskovic : Frau Harms hat häufig Entscheidungen getroffen, die weit unter dem erforderlichen juristischen Standard lagen. Deswegen hat sie beim Bundesgerichtshof auch bereits schwere juristische Niederlagen hinnehmen müssen. Die mangelhafte Begründung im Fall Klein ist also keine Ausnahme.

SPIEGEL ONLINE: Welche Fehler hat die Generalbundesanwaltschaft gemacht?

Neskovic : Für die juristische Bewertung ist entscheidend: Hat Oberst Klein alles versucht, aufzuklären, ob sich Zivilpersonen bei den Tanklastzügen befanden? Hierzu behauptet die Bundesanwaltschaft lediglich, dass er dies getan habe. Sie liefert jedoch dafür keine durch Tatsachen belegte Begründung. Warum hat Oberst Klein keine Aufklärungstruppe oder eine Aufklärungsdrohne geschickt? Warum wurde die modernste Aufklärungstechnik der Kampfflugzeuge nicht voll ausgenutzt?

SPIEGEL ONLINE: Im Nato-Untersuchungsbericht zum Vorfall wird Oberst Klein vorgeworfen, den amerikanischen Piloten unter Angabe falscher Tatsachen den Bombenabwurf befohlen zu haben. Welche Rolle spielt dieser Vorwurf bei der Prüfung der Bundesanwaltschaft?

Neskovic : Überhaupt keine. Dabei wäre eine abschließende Klärung für Kleins Glaubwürdigkeit von besonderer Bedeutung gewesen. Sollte Klein tatsächlich gelogen haben, dann muss es dafür Gründe geben. Es stellt sich somit die Frage, ob Klein gezielt bestimmte Taliban-Führer töten wollte und deshalb die Vorschriften umging. Ein solches im militärischen Jargon "targeted killing" genanntes Vorgehen wäre juristisch ein ganz anderer Vorgang.

SPIEGEL ONLINE: Der Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen in Kunduz hat seine Beweisaufnahme noch nicht ansatzweise abgeschlossen. Könnten nicht noch weitere Informationen bekannt werden, welche die Motivlage von Oberst Klein erklären?

Neskovic : Unbedingt. Auch deswegen ist die Einstellung des Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt ein schwerer handwerklicher Fehler. Die Bundesanwaltschaft ist gesetzlich verpflichtet, sämtliche Erkenntnisquellen zu nutzen, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Deswegen hätte eine Einstellung nur nach Abschluss und Vorlage des Endberichts des Untersuchungsausschusses erfolgen dürfen.

SPIEGEL ONLINE: Warum wurde ausgerechnet diese Woche das Verfahren eingestellt? Manche Beobachter sehen einen Zusammenhang mit dem Tod der vier Soldaten.

Neskovic : Ich will nicht spekulieren, ob der Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung hiermit in Verbindung steht. Jedenfalls ist der politische Nutzen der Verfahrenseinstellung für die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt unübersehbar. Bei einer Anklage wäre der Afghanistan-Einsatz politisch wohl am Ende gewesen.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Verfahren nun endgültig beendet?

Neskovic : Nein. Einerseits können die Angehörigen von Opfern ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren einleiten. Andererseits ist über die Strafbarkeit nach allgemeinem Strafrecht noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Bundesanwaltschaft ist nur für die Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zuständig. Allerdings steht sie auf dem Standpunkt, sie könne eine abschließende Entscheidung treffen. Das ist juristisch falsch und stellt eine Kompetenzanmaßung dar.

SPIEGEL ONLINE: Was wird nun geschehen?

Neskovic : Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden muss nunmehr prüfen, ob Herr Klein sich zum Beispiel einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat.

Das Interview führte John Goetz.

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