Und doch hat diese Darstellung zu hunderten Beschwerden beim Presserat und zu Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft geführt. Mit Berufung auf Ziffer 10 des Pressekodex: "Die Presse verzichtet darauf, religiöse […] Überzeugungen zu schmähen." Ich erkenne oder empfinde keine Verletzung meiner religiösen Gefühle, ich sehe lediglich einen Priester vor der lebhaften Darstellung einer Folterszene.
Genau das ist der Punkt: Basierend auf der Berichterstattung der letzten Wochen zum sexuellen Missbrauch in der Kirche und all den Einzelfällen, die jetzt bekannt wurden, kann ich dieses Bild vollenden. Was ich sehe, ist die Darstellung des Missbrauchs der Kirche durch ihre Vertreter: das heuchlerische, heischerische, um Verzeihung bittende - aber nicht Schuld eingestehende - Verhalten der Repräsentanten der Kirche in Bezug auf all den Machtmissbrauch der vielen Jahre, der endlich öffentlich diskutiert wird. Die Reaktionen der entrüsteten Anrufer bei Titanic und Aufrufer zum modernen Kreuzzug (etwa "Wider die feigen Gotteslästerer" auf der Website Katholischer Nachrichtendienst) zeigen: Selbsterkenntnis tut weh und hin- mehr als wegschauen.
Mit der arroganten Haltung, die jahrzehntelangen Übergriffe und körperliche Züchtigungen von Kindern durch ihre eigenen Mitglieder geduldet und gedeckt zu haben, hat ein Teil der Kirche die christlichen Werte verraten. Und genau das sehe ich auf dem Titanic-Cover. Meine Fantasie interpretiert einen sexuellen Übergriff auf einen Wehrlosen - da am Kreuz Hängenden - in einem dunklen Eck eines Kirchengebäudes. Niemand sieht es, niemand hört es. Und falls doch, habe ich die Befürchtung, der Priester wird nur in eine andere Gemeinde versetzt.
Der Sturm der Entrüstung sollte sich gegen diese Vorgehensweise richten. Die Kreuzritter sollten nicht für die "kranken Köpfe" von Titanic beten, sondern für eine weltoffene, ehrliche und selbstkritische Kirche. Hinschauen tut weh. Schauen Sie hin.
Julia Herrnböck
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