Mittwoch, 7. April 2010

Sexueller Missbrauch: Odenwald-Rektorin berichtet von grausamen Demütigungen

Es gibt Vorwürfe gegen bisher unbelastete Lehrer und erstmals gegen Schüler: Der Missbrauch an der Odenwald-Schule hatte wohl noch grausigere Dimensionen als bekannt, laut "Frankfurter Rundschau" dauerte er bis in die neunziger Jahre. Nun tauchen Hinweise auf Selbstmorde von Ex-Schülern auf.


Rektorin Margarita Kaufmann zeigte sich im Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau" ("FR") schockiert. Bisher gab es Hinweise auf den Missbrauch von 33 Schülern. Der "FR" sagte die Rektorin nun, sie gehe nach jetzigem Stand davon aus, dass "mehr als acht Lehrer" von Ex-Schülern belastet worden seien. Die Zahl der Missbrauchsopfer liege nach einer vorläufigen Zählung bei etwa 40, denn zu Ostern hätten sich weitere Missbrauchsopfer im südhessischen Ober-Hambach gemeldet. "Das sprengt unsere Vorstellungskraft". sagte Kaufmann. Sie bestätigte mit den Zahlen Informationen des SPIEGEL.


Allesamt hätten von "furchtbaren Misshandlungen von Schülern an Schülern" berichtet. Dazu habe das Versengen und Verbrühen von Genitalien gehört, Minderjährige seien von Schulkameraden als "Sandsack missbraucht" und vor anderen erniedrigt worden. Mehrere Schüler sollen inzwischen einen Vorfall beschrieben haben, bei dem ein gefesselter Schüler von Mitschülern mit einer Banane vergewaltigt worden sei, während der verantwortliche Lehrer untätig danebengestanden haben soll.


Laut "FR" handelt es sich bei jenem Pädagogen um Jürgen K., der bis 1999 im Odenwald tätig war und der zu den Lehrern zählt, die eine ihrer Ex-Schülerinnen geheiratet haben. Nach Informationen der "FR" verfasste K. im Januar 2000 einen Brief an einen aufklärungswilligen Ex-Kollegen. Darin schreibt er über seine spätere Frau, er habe sie "unter den vielen wunderschönen und gescheiten Jungfrauen in Oberhambach als die geeignetste" ausgesucht und "quasi von der Schulbank weg" geheiratet. K. ist einer von acht beschuldigten Lehrern, gegen welche die Staatsanwaltschaft Darmstadt aktuell ermittelt.


Nach "FR"-Informationen hat Rektorin Kaufmann zudem Hinweise, dass sich mehrere missbrauchte Ex-Schüler nach ihrer Zeit an der Odenwaldschule umgebracht hätten. Der jüngste dieser Fälle datiert auf das Jahr 1999. Sie kenne inzwischen namentlich vier Altschüler, die nach ihrer Zeit im Odenwald Suizid verübt hätten, berichtet die "FR". Ex-Schulkameraden gaben an, dass alle vier ebenfalls missbraucht worden seien.
"Ich frage mich, wie das passiert sein kann, ohne dass Lehrer die schrecklichen Schmerzensschreie gehört haben", sagte Kaufmann und zeigte sich erschüttert.


Was wusste Antje Vollmer?
Die Vorsitzende des Runden Tisches Heimerziehung, Antje Vollmer, ist angeblich bereits im November 2002 von einem Lehrer der Odenwaldschule über die Missbrauchsvorwürfe gegen deren vormaligen Schulleiter Gerold Becker informiert worden. Ein Lehrer habe der Grünen-Politikerin in einem Brief den Missbrauch angezeigt, berichtete am Wochenende die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" ("FAS").


Die damalige Bundestagsvizepräsidentin habe den Brief von einer Mitarbeiterin beantworten lassen. Laut "FAS" hieß es in der Replik, in dem Brief des Lehrers "werden Vorwürfe gegen eine Person, die Frau Vollmer nicht kennt, und in einer Angelegenheit, die sie in keiner Weise beurteilen kann, erhoben".


Zu diesem Zeitpunkt sei Becker, der sich nach der Veröffentlichung der Vorwürfe gegen ihn im Jahr 1999 zunächst aus verschiedenen pädagogischen Gremien und von seinen Beraterfunktionen zurückgezogen hatte, wieder vermehrt öffentlich tätig geworden. Gemeinsam mit Vollmer habe er als Studiogast am 13. April 2002 auch an einer Sendung des Deutschlandfunks zum Thema Vertrauen teilgenommen. Becker wurde der "FAS" zufolge als Pädagoge, Psychologe und ehemaliger Leiter der Odenwaldschule angekündigt.


Der Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule war Anfang März an die Öffentlichkeit gelangt. Die Zeitspanne, in der die Missbrauchsfälle sich ereignet haben sollen, erstreckte sich nach bisherigen Erkenntnissen von 1966 bis 1991. Beschuldigt werden acht ehemalige Lehrkräfte. Besonders unter Druck geraten ist Becker, der die Odenwaldschule von 1972 bis 1985 leitete.

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