Sonntag, 11. April 2010

Schüler mussten lebendige Molche essen

Der Missbrauchsskandal in katholischen Schulen raubt den Ermittlern im wahrsten Sinne des Wortes den Schlaf: Thomas Pfister, der sich mit den Vorfällen im Kloster Ettal beschäftigt, hat so viele grausige Details gehört, dass er nicht mehr einschlafen konnte. Auch die Beauftragte des Jesuitenordens berichtet Fürchterliches.
 
Mißbrauchsskandal Kloster EttalDie Schilderungen über den massenhaften Missbrauch von Schülern im Kloster Ettal bei Garmisch-Partenkirchen haben dem Sonderermittler Thomas Pfister nach dessen Angaben den Schlaf geraubt. „Es waren Berichte über so abartige Gräueltaten, dass ich nachts nicht einschlafen konnte“, sagte Pfister dem Magazin „Focus“. Unter anderem hätten die Opfer lebendige Molche essen müssen. Außerdem berichteten sie von Prügeln mit Skistöcken und so harten Schlägen, dass ihnen die Trommelfelle platzten. Ein heute 74-Jähriger Geistlicher habe als „unbeherrschter Schläger“ gegolten. Er soll laut Pfister die Köpfe seiner Schüler immer wieder auf das Pult geschlagen haben. <


Insgesamt 15 Mönche, darunter ein früherer Abt, sollen im Kloster Ettal weit mehr als einhundert Schüler systematisch gequält und sexuell missbraucht haben. Das gehe aus dem Abschlussbericht hervor, den der Sonderermittler der katholischen Kirche in den kommenden Tagen vorstellen werde, heißt es im „Focus“.
Rechtsanwalt Pfister war Ende Februar im Auftrag des Erzbistums München und Freising in das oberbayerische Kloster gefahren, um die Einzelheiten der Missbrauchsvorwürfe aufzuklären. Er sprach mit Patres, telefonierte mit Ex-Schülern und wertete 75 schriftliche Anklagen ehemaliger Internatskinder aus. Die mutmaßlichen Opfer sind heute 30 bis 60 Jahre alt. Sie berichten von Prügeln mit Skistöcken, von durch Schläge geplatzten Trommelfellen und von lebendigen Molchen, die sie essen mussten.
Pfister hatte bereits Anfang März in einem Zwischenbericht erklärt, in Ettal seien Schüler „über Jahrzehnte hinweg massiv misshandelt“ worden. Der vom Kloster eingesetzte Münchner Sonderermittler hatte damals allerdings erklärt, die Zeiten in Ettal hätten sich grundlegend geändert. Das Kloster von heute habe mit dem Kloster von damals „nur noch wenig zu tun“.

Opferzahl steigt weiter

Auch der Jesuitenorden wird vom Missbrauchsfällen erschüttert: Rund zehn Wochen nachdem erste Missbrauchsfälle in Bildungseinrichtungen des Jesuitenordens bekannt geworden sind, steigt die Zahl der Opfer noch immer an. Bundesweit seien ihr mittlerweile rund 170 Opfer bekannt, sagte die von dem Orden beauftragte Anwältin Ursula Raue in Berlin. Darunter seien 59 ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs.
Das Canisius-Kolleg hatte Ende Januar die ersten Missbrauchsfälle öffentlich gemacht. Zwei Patres sollen in den 70er- und 80er-Jahren Schülern Gewalt angetan haben. Seitdem weitete sich der Skandal auch bundesweit immer weiter aus. Immer mehr Menschen, die in ihrer Kindheit auch in nicht katholischen Schulen und Internaten missbraucht worden sind, traten an die Öffentlichkeit. Im März hatte Raue noch von 61 Opfern nur des Canisius-Kollegs gesprochen. Die Zahl habe sie nun jedoch etwas nach unten korrigieren müssen, sagte sie.

„Für mich ist das Thema Missbrauch zwar nicht neu“, sagte Raue, die lange für die Hilfsorganisation Innocence in Danger tätig war. „Dennoch übersteigt die aktuelle Entwicklung die Vorstellungen, die man vorher davon hatte.“

Die Expertin befürwortet dennoch, dass das Thema Missbrauch derzeit so eine große Öffentlichkeit erfährt. „Das war eines der letzten gesellschaftlichen Tabu-Themen. Dass jetzt darüber geredet wird und dass wahrgenommen wird, welche Verletzungen es dadurch geben kann, finde ich gut und wichtig.“
Die Aufklärung der Fälle im Jesuitenorden wird laut Raue noch dauern. „Ich habe schon viele Akten eingesehen, aber noch lange nicht alle“, sagte sie. In den Unterlagen forscht sie beispielsweise nach Hinweisen, dass Missbräuche schon früh bekannt waren, vom Orden aber verschwiegen wurden. „Ich versuche das Material zu ordnen und zu sortieren.“ Sie hoffe, so unter anderem mehr Informationen zu den Tätern zu bekommen.

Der Sexualforscher Oswalt Kolle sagte der Zeitung „Welt am Sonntag“, die katholische Kirche müsse sich die Frage stellen, ob der Priesterberuf auch Pädophile anziehe. Einen Zusammenhang mit dem priesterlichen Keuschheitsgebot sehe er allerdings nicht: „Pädophilie ist eine schwere Absonderlichkeit.“ In der DDR habe es weniger sexuellen Missbrauch als in der Bundesrepublik gegeben, weil die Gesellschaft sexuell freier gewesen sei, sagte Kolle weiter. Zum einen sei der Umgang mit Sexualität „viel freizügiger" gewesen, zum anderen habe die Kirche auch eine eher politische Rolle gehabt und nicht wie im Westen „in die Betten der Gläubigen reinregiert“.

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