Von Evelyn Runge
Constance McMillen, 18 Jahre alt, die Wimpern schwarz getuscht, im Nasenflügel einen glitzernden Stecker, saß in ihrer Klasse, als sie die Stimme des Direktors hörte. Er sprach zu seinen Schülern über die Lautsprecher, und er ließ sie wissen, dass der Abschlussball an der Itawamba Agricultural High School in diesem Jahr ausfallen werde. Einen Grund nannte er nicht, und das war auch nicht nötig. Jeder in der Schule wusste Bescheid. Constance war schuld. Constance und ihre Freundin. Die beiden Lesben.
Die Itawamba Agricultural High School liegt in Fulton, Mississippi. Knapp 4000 Menschen leben hier, die große Mehrzahl ist weiß, gläubig, wählt republikanisch und denkt sehr traditionell. Es ist nicht der beste Ort, wenn man zu einer Minderheit gehört. Es ist nicht der beste Ort, wenn man jung ist und Dinge ausprobieren will.
Die Probleme von Constance McMillen und ihrer Freundin begannen vor ein paar Wochen, als sie beschlossen, ihr Lesbischsein und ihre Liebe öffentlich zu machen und zu feiern, während des großen Abschlussballs. Weder Constance noch ihre Freundin würden sich einen Alibi-Jungen suchen, sie würden zusammen gehen, als Paar. Constance im Smoking, und auch ihre Freundin wollte kein Ballkleid tragen. Das war ihr Plan, und sie hofften auf Unterstützung, zumindest aber auf Billigung. Ihnen lag nichts an einem Skandal, sie wollten niemanden brüskieren, sie wollten einfach nur sie selbst sein.
Um den Auftritt einigermaßen vorzubereiten, bat Constance um ein Gespräch mit ihrem Schuldirektor und informierte ihn über ihr Vorhaben. Trae Wiygul ist der Chef einer Schule, die ihren Schülern und Schülerinnen das Betreten des Gebäudes in Jogginghosen, Trenchcoats oder kurzen Röcken verbietet. Wiygul ist der Meinung, dass Schüler produktiver sind in "adretter und konservativer Kleidung"; "schlampige und extreme Kleidung" sei der Bildung nicht zuträglich. Wiygul lehnte die Bitte von Constance ab.
Begründung der Absage: "Störungen des Schulbetriebs"
Constance fragte Wiyguls Stellvertreter. Er schloss sich seinem Chef an. Constance sprach in der Schulbehörde des Bezirks vor. Auch dort lautete die Antwort nein. Es solle ein "schöner, eleganter, unvergesslicher Abend" werden; jeder Schüler dürfe einen Gast mitbringen, aber dieser Gast müsse vom anderen Geschlecht sein.
Constance McMillen war wütend, aber sie gab nicht auf. Sie informierte die ACLU, die mächtige Bürgerrechtsorganisation in den USA, und ein paar Tage später erhielten Direktor Wiygul und die Schulbehörde einen Brief. Kristy Bennett und Christine Sun, Rechtsanwältinnen der ACLU, schrieben, dass es der amerikanischen Verfassung widerspreche, Schüler aufgrund ihrer sexuellen Neigungen vom Abschlussball auszuschließen.
Wiygul beriet sich mit zwei Mitarbeitern der Schulbehörde. Die Situation war nicht einfach. Wenn sie die Lesben von ihrem Ball weiterhin ausschlössen, würde es zu einem Prozess kommen, den die Schulbehörde sehr wahrscheinlich verlieren würde. Wenn sie den Lesben die Teilnahme am Ball gestatteten, würden sie zwar der Verfassung ihres Landes Genüge tun, aber ihre Überzeugungen verraten.
Was tun?
Der Krisenstab von Fulton, Mississippi, wählte eine radikale Lösung. Schulbehörde und Schuldirektor sagten den Ball ab, über die Lautsprecher der Schule und in einem Fax an die lokale Presse. Es waren vier Sätze, sieben Zeilen, ein konkreter Grund wurde nicht genannt. Es gehe, so die Verfasser des Fax, "um Störungen des Schulbetriebs".
"Was ist aus unserem bibelfesten Land geworden?"
Es war eine konsequente, aber keine besonders kluge Entscheidung. Die Presseabteilung der ACLU machte das Fax und die Hintergründe öffentlich. Kurze Zeit später war Constance McMillen, Tochter eines Pflegeleiters und einer Kellnerin, im Frühstücksfernsehen des Senders CBS in New York zu hören. Sie klagte ihre Schule auch an der Westküste an, in Los Angeles, in der Talkshow ihres Idols, der lesbischen Star-Moderatorin Ellen DeGeneres. Über 400 000 Menschen verfolgten die Geschichte auf Constance McMillens Facebook-Seite.
Während das Mädchen sprach, ging die Schule in Deckung. Die Website war tagelang nicht zu erreichen, Anrufe und E-Mails blieben ohne Antwort. Verteidiger der Schule hängten Plakate an die Fassade des Gebäudes: "What happened to the Bible belt?", was ist aus unserem bibelfesten Land geworden? Fulton wurde mit Gomorrha verglichen. Nur ein einziges Mal meldete sich Direktor Wiygul zu Wort und beklagte den Ton seiner Gegner: "Ich wurde als bigott und homophob bezeichnet, auch mit einigen Schimpfwörtern, es ist ziemlich hart."
Ende März entschied das für den Norden Mississippis zuständige Gericht in Aberdeen, die Itawamba Agricultural High School habe Constance McMillens Grundrechte verletzt, der Ausschluss der beiden Mädchen vom Ball sei nicht rechtens. Die Absage des Balls allerdings wurde vom Gericht nicht beanstandet.
Statt des offiziellen Balls organisieren Eltern nun eine private Feier, in einem Möbelgeschäft in Fulton.
Constance McMillen und ihre Freundin haben bis jetzt keine Einladung bekommen.
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