Weil Ahmet Yildiz schwul war, musste er sterben - nun wird seinem Vater der Prozess gemacht, und die Türkei diskutiert über Toleranz
Istanbul - Ibo vermisst Ahmet. Das Lächeln, die Gesten, den Geruch. Den Studenten, der Bücher verschlang, gern Basketball spielte und Eis liebte. Den jungen Mann, der immer Fragen stellte, der allem auf den Grund gehen wollte, immer weiter, immer tiefer, so dass sie ihm auf dem Gymnasium den Spitznamen "Warumahmet" verpassten. Den Geliebten, der in seinen Armen verblutete, in einer Juninacht, fünf Kugeln im Körper. Warum Ahmet? Es ist nun an Ibo, die Fragen zu stellen, sie weiter zu tragen in diese Welt, in der Ahmet nur 26 Jahre vergönnt waren. Ibo Can vermisst Ahmet Yildiz so sehr, dass es Momente gibt, in denen er glaubt, durchdrehen zu müssen. Aber, sagt er, zum Verrücktwerden sei jetzt keine Zeit. "Zum Arzt kann ich später noch. Ich muss jetzt stabil sein. Für die Jagd auf Gerechtigkeit. Für Ahmet."
Gerechtigkeit. Die Mörder sind das Eine. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass er der Täter war: Yahya Yildiz, geboren in Urfa in Südostanatolien, wohnhaft in der Mittelmeerstadt Mersin, Besitzer eines Krämerladens. Der eigene Vater. Man hat im Nachhinein das Handy des Vaters zur Tatzeit am Tatort geortet. Er hatte sich an dem Abend bei einem Bekannten einen Wagen geliehen, der Bekannte sagte aus, der Vater habe ihn hernach telefonisch noch gebeten, das Auto nach Patronenhülsen abzusuchen: "Wir haben aus Spaß auf Verkehrsschilder geschossen", sagte er zur Erklärung. Der Sohn war an Ort und Stelle verblutet. Es war der 15. Juni 2009, fast Mitternacht, Ahmet hatte für eine Physikprüfung gelernt und wollte noch schnell losfahren, für sich und für Ibo ein Eis kaufen. Zeugen sahen mehrere Männer in einem Auto heranfahren. Sie erschossen Ahmet hinterm Steuer. Warum? "Weil er schwul war", sagt Ibo Can. "Weil er sich seinen Eltern offenbart hatte."
Strafe für die Mörder also. Aber Ibo Can will mehr. Auch diese Stadt und dieses Land sollen sich dem stellen, was sie Ahmet angetan haben, was sie all denen antun, die ähnlich empfinden wie er. Ahmet Yildiz ist manchen hier im Tod zum Symbol geworden. "Ein Symbol des Widerstandes gegen Grausamkeit, gegen Intoleranz und Diskriminierung", sagt Ibo Can. Es ist ganz einfach: "Wir möchten nicht gelyncht werden." Ahmet Yildiz hatte sich geoutet. Er schrieb für ein Schwulenportal: "Werfe deine Maske weg und sei stolz". Die Eltern hatten ihn angefleht, er solle zum Arzt gehen, sich "kurieren" lassen. Als er ablehnte, kamen Morddrohungen, per SMS. Er ging zur Polizei, zum Staatsanwalt, die schickten ihn nach Hause. Yildiz ist nicht der erste Homosexuelle, der in der Türkei seiner sexuellen Orientierung wegen ermordet wurde. Auch nicht der erste, den die eigene Familie umbrachte. Aber er ist der erste, der im Tod eine Debatte angestoßen hat über "Ehrenmorde" an Schwulen. Nein, korrigiert Ibo Can, nicht Ehrenmord: "Hassmord".
Der Fall offenbart zweierlei: das oft verzweifelte Leben, zu dem Homosexuelle in diesem Land sich verurteilt fühlen - aber auch die Risse, die Licht und frische Luft lassen in die einst dichten Glocke von Konservativismus und Frömmigkeit, die über die Türkei gestülpt ist. Mit einem Mal ist es ein Thema, dass Männer Männer und Frauen Frauen lieben.
Ibo Can aus Köln und Ahmet Yildiz aus Istanbul. Die beiden stammten aus Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier der Deutschtürke, Reiseverkehrskaufmann, groß geworden im liberalen Klima eines Landes, das all die Debatten hinter sich hat, die in der Türkei gerade erst beginnen. Dort der junge Kurde, dem die Stadt eben jenes Stück Freiheit schenkte, das seinem Vater, seinem Clan eine Sünde war. Als die SZ im vergangenen Jahr über den Mord berichtete, erzählte der Lebensgefährte von Trauer und Zorn, aber auch von Frust: Monatelang schien es Ibo Can, als hätten die Behörden kein Interesse, den Mord zu sühnen.
Das hat sich geändert: Es läuft ein Prozess in Istanbul. Angeklagt des Mordes am eigenen Sohn ist der Vater. Ibo Can ist hin- und hergerissen. Er staunt über das, was der Mord, was sein Kampf ausgelöst hat: "Es ist einmalig für die Türkei", sagt er: "Dass dieser Mord verhandelt wird - und dass er eine solche Öffentlichkeit bekommt hier, wo sich vor kurzem noch keiner traute, das Wort "schwul" in den Mund zu nehmen." Die Presse berichtet voller Sympathie, Zeitungen und Sender bitten Ibo Can zum Interview. Einerseits. Andererseits ist der Angeklagte flüchtig, die Polizei ortete sein Handy zuletzt im Nordirak. "Wie konnte er überhaupt abhauen?" Und sowohl Ibo Can als auch Firat Söyle, der Anwalt der Nebenklage, verdächtigen die Justiz noch immer der Homophobie. "Der Richter sagt uns, er verhandle lediglich einen Mord wie viele andere. Das Schwulsein des Opfers tue nichts zur Sache", sagt der Anwalt: "Was kann man da erwarten?" Und dann: "Es ist noch immer gefährlich, schwul zu leben in der Türkei."
Schatten und Licht, sie liegen hier noch dicht beieinander. Immerhin, dass überhaupt ein Streifen Lichts zu sehen ist, das ist neu. Als im vergangenen Jahr Lambda verboten wurde, der Verein der Schwulen, Lesben und Transsexuellen, da hob kurz darauf das Oberste Gericht das Verbot wieder auf. Als der Kolumnist Ali Bulac im Sender CNN-Türk erklärte, die Massaker in Afghanistan und Irak würden vor allem von schwulen Soldaten begangen, da durfte ihn die Sängerin Bülent Ersoy - Transsexuelle und Publikumsliebling - live vor Millionenpublikum 20 Minuten lang auseinander nehmen. Als die Familienministerin Selma Aliye Kavaf im vergangenen Monat verkündete, Homosexualität sei eine "biologische Abartigkeit, eine Krankheit", erklärte nicht nur CNN-Türk sie zur "Absteigerin der Woche" - es widersprach ihr öffentlich Gesundheitsminister Recep Akdag. "Die Gesellschaft sollte toleranter sein", forderte Akdag, Mitglied derselben konservativ-islamischen Regierungspartei AKP wie Kavaf. "Manchmal denke ich, es gibt hier Riesenfortschritte", sagt Ibo Can. "Und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet."
Ibo Can und Ahmet Yildiz wollten heiraten. Nicht in der Türkei. Jetzt bleibt ihm vom Freund das Grab, der erste Gang bei jedem Besuch in Istanbul. Er betet, er weint. Ibo Can hat seine Trauer, er hat seinen Trotz. Beim Prozess vergangene Woche stellte er sich vors Gerichtsgebäude und sagte: "Gelobt sei Allah. Ich bin Muslim. Ich bin schwul. Und es ist gut so."
Gerechtigkeit. Die Mörder sind das Eine. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass er der Täter war: Yahya Yildiz, geboren in Urfa in Südostanatolien, wohnhaft in der Mittelmeerstadt Mersin, Besitzer eines Krämerladens. Der eigene Vater. Man hat im Nachhinein das Handy des Vaters zur Tatzeit am Tatort geortet. Er hatte sich an dem Abend bei einem Bekannten einen Wagen geliehen, der Bekannte sagte aus, der Vater habe ihn hernach telefonisch noch gebeten, das Auto nach Patronenhülsen abzusuchen: "Wir haben aus Spaß auf Verkehrsschilder geschossen", sagte er zur Erklärung. Der Sohn war an Ort und Stelle verblutet. Es war der 15. Juni 2009, fast Mitternacht, Ahmet hatte für eine Physikprüfung gelernt und wollte noch schnell losfahren, für sich und für Ibo ein Eis kaufen. Zeugen sahen mehrere Männer in einem Auto heranfahren. Sie erschossen Ahmet hinterm Steuer. Warum? "Weil er schwul war", sagt Ibo Can. "Weil er sich seinen Eltern offenbart hatte."
Strafe für die Mörder also. Aber Ibo Can will mehr. Auch diese Stadt und dieses Land sollen sich dem stellen, was sie Ahmet angetan haben, was sie all denen antun, die ähnlich empfinden wie er. Ahmet Yildiz ist manchen hier im Tod zum Symbol geworden. "Ein Symbol des Widerstandes gegen Grausamkeit, gegen Intoleranz und Diskriminierung", sagt Ibo Can. Es ist ganz einfach: "Wir möchten nicht gelyncht werden." Ahmet Yildiz hatte sich geoutet. Er schrieb für ein Schwulenportal: "Werfe deine Maske weg und sei stolz". Die Eltern hatten ihn angefleht, er solle zum Arzt gehen, sich "kurieren" lassen. Als er ablehnte, kamen Morddrohungen, per SMS. Er ging zur Polizei, zum Staatsanwalt, die schickten ihn nach Hause. Yildiz ist nicht der erste Homosexuelle, der in der Türkei seiner sexuellen Orientierung wegen ermordet wurde. Auch nicht der erste, den die eigene Familie umbrachte. Aber er ist der erste, der im Tod eine Debatte angestoßen hat über "Ehrenmorde" an Schwulen. Nein, korrigiert Ibo Can, nicht Ehrenmord: "Hassmord".
Der Fall offenbart zweierlei: das oft verzweifelte Leben, zu dem Homosexuelle in diesem Land sich verurteilt fühlen - aber auch die Risse, die Licht und frische Luft lassen in die einst dichten Glocke von Konservativismus und Frömmigkeit, die über die Türkei gestülpt ist. Mit einem Mal ist es ein Thema, dass Männer Männer und Frauen Frauen lieben.
Ibo Can aus Köln und Ahmet Yildiz aus Istanbul. Die beiden stammten aus Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier der Deutschtürke, Reiseverkehrskaufmann, groß geworden im liberalen Klima eines Landes, das all die Debatten hinter sich hat, die in der Türkei gerade erst beginnen. Dort der junge Kurde, dem die Stadt eben jenes Stück Freiheit schenkte, das seinem Vater, seinem Clan eine Sünde war. Als die SZ im vergangenen Jahr über den Mord berichtete, erzählte der Lebensgefährte von Trauer und Zorn, aber auch von Frust: Monatelang schien es Ibo Can, als hätten die Behörden kein Interesse, den Mord zu sühnen.
Das hat sich geändert: Es läuft ein Prozess in Istanbul. Angeklagt des Mordes am eigenen Sohn ist der Vater. Ibo Can ist hin- und hergerissen. Er staunt über das, was der Mord, was sein Kampf ausgelöst hat: "Es ist einmalig für die Türkei", sagt er: "Dass dieser Mord verhandelt wird - und dass er eine solche Öffentlichkeit bekommt hier, wo sich vor kurzem noch keiner traute, das Wort "schwul" in den Mund zu nehmen." Die Presse berichtet voller Sympathie, Zeitungen und Sender bitten Ibo Can zum Interview. Einerseits. Andererseits ist der Angeklagte flüchtig, die Polizei ortete sein Handy zuletzt im Nordirak. "Wie konnte er überhaupt abhauen?" Und sowohl Ibo Can als auch Firat Söyle, der Anwalt der Nebenklage, verdächtigen die Justiz noch immer der Homophobie. "Der Richter sagt uns, er verhandle lediglich einen Mord wie viele andere. Das Schwulsein des Opfers tue nichts zur Sache", sagt der Anwalt: "Was kann man da erwarten?" Und dann: "Es ist noch immer gefährlich, schwul zu leben in der Türkei."
Schatten und Licht, sie liegen hier noch dicht beieinander. Immerhin, dass überhaupt ein Streifen Lichts zu sehen ist, das ist neu. Als im vergangenen Jahr Lambda verboten wurde, der Verein der Schwulen, Lesben und Transsexuellen, da hob kurz darauf das Oberste Gericht das Verbot wieder auf. Als der Kolumnist Ali Bulac im Sender CNN-Türk erklärte, die Massaker in Afghanistan und Irak würden vor allem von schwulen Soldaten begangen, da durfte ihn die Sängerin Bülent Ersoy - Transsexuelle und Publikumsliebling - live vor Millionenpublikum 20 Minuten lang auseinander nehmen. Als die Familienministerin Selma Aliye Kavaf im vergangenen Monat verkündete, Homosexualität sei eine "biologische Abartigkeit, eine Krankheit", erklärte nicht nur CNN-Türk sie zur "Absteigerin der Woche" - es widersprach ihr öffentlich Gesundheitsminister Recep Akdag. "Die Gesellschaft sollte toleranter sein", forderte Akdag, Mitglied derselben konservativ-islamischen Regierungspartei AKP wie Kavaf. "Manchmal denke ich, es gibt hier Riesenfortschritte", sagt Ibo Can. "Und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet."
Ibo Can und Ahmet Yildiz wollten heiraten. Nicht in der Türkei. Jetzt bleibt ihm vom Freund das Grab, der erste Gang bei jedem Besuch in Istanbul. Er betet, er weint. Ibo Can hat seine Trauer, er hat seinen Trotz. Beim Prozess vergangene Woche stellte er sich vors Gerichtsgebäude und sagte: "Gelobt sei Allah. Ich bin Muslim. Ich bin schwul. Und es ist gut so."
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