Samstag, 10. April 2010

US-Operationen in Afghanistan: Schlag gegen Al Kaida oder Kriegsverbrechen?


Vor einem Jahr haben US-Spezialtruppen nahe Kundus fünf Menschen getötet. Zeugen bestreiten die Darstellung, die Opfer hätten Al-Kaida-Verbindungen gehabt und Soldaten beschossen. Sind solche US-Operationen eine legitime Terroristenjagd oder Kriegsverbrechen?

Von Christoph Heinzle, NDR

US-Soldat in Afghanistan (Foto: picture-alliance/ dpa)
Neben den regulären US-Truppen operieren auch Spezialeinheiten in Afghanistan und sorgen mit ihren Aktionen für Aufsehen.


"Sehen Sie diesen Toten: Einen harmloseren Menschen als ihn kann man sich nicht vorstellen". lautet der Kommentar. "Er wurde liebevoll Hassan Dschan genannt." Hassan Dschan war geistig zurückgeblieben, ebenso wie ein weiteres Opfer, sagt Amir Barekzai. Er war vor einem Jahr für den Deutschen Entwicklungsdienst in Imam Sahib Berater des Bürgermeisters.

Zweifel an Al-Kaida-Verbindungen der Opfer

Barekzai war nur 500 Meter entfernt, als sich nachts US-Spezialkräfte aus Hubschraubern abseilten und das Gästehaus des Bürgermeisters angriffen - angeblich auf der Jagd nach Al-Kaida-Kämpfern. Barekzai kannte vier der fünf Toten persönlich. Dass sie mit Al Kaida zu tun haben könnten, hält er für unvorstellbar, ebensowenig der Bürgermeister. "Niemals, niemals. Das ist vollkommen auszuschließen", sagt Barekzai. "Der Bürgermeister ist ein sehr guter Freund der deutschen Soldaten. Die sind immer gekommen." Der Bürgermeister habe sie bewirtet und auffällig gute Beziehungen zu den Deutschen gehabt.

Die Kommando-Aktion von Imam Sahib erregte weltweit Aufsehen und weckte Zweifel. Doch US-Armeesprecher Greg Julian rechtfertigte das blutige Vorgehen gegen die Männer im Gästehaus. "Wir halten an unserem Bericht fest, wonach dies legitime Ziele waren", betont er. "Spezifische Aufklärungsergebnisse aus mehreren Quellen bestätigten, dass zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort Individuen mit Al-Kaida-Verbindungen waren." Die Aufständischen hätten auf die US-Einheit geschossen, die das Feuer erwidert habe, so Julian.

Offenbar keine Schüsse auf US-Einheit


Bundewehrsoldaten in Afghanistan (Foto: picture alliance / dpa)Die fragwürdige US-Operation ereignete sich mitten im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr.


Diese Widersprüche lassen an der Rechtmäßigkeit der Operation zweifeln. Auch für Spezialkräfte gibt es Regeln, stellt der renommierte Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat fest. "Die unmittelbare Teilnahme an Kampfhandlungen, die entscheidet darüber, ob man nun Gewalt anwenden kann gegenüber einer Person", stellt er gegenüber NDRInfo klar. Mit Blick auf den Vorfall in Imam Sahib ergänzt er: "Meines Erachtens sind solche Aktionen, die gegen Personen ausgeführt werden, die sich nicht in einer Kampfaktion befinden, einfach rechtswidrig, sind sogar Kriegsverbrechen."

Und das mitten im Verantwortungsbereich des deutschen ISAF-Regionalkommandeurs. Die Spezialkräfte hätten die Operation mit den Deutschen abgestimmt, erklärt eine amerikanische ISAF-Sprecherin auf Anfrage.

Laut Bundesregierung keine frühzeitige Absprache

Dagegen schrieb der deutsche Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey dem Verteidigungsausschuss des Bundestages, weder der Regionalkommandeur noch das Wiederaufbauteam, das PRT Kundus, seien im Vorfeld informiert worden: "Das PRT wurde am 21. März 2009 erst unmittelbar vor der Landung gegen 23:09 Uhr Ortszeit darüber informiert, dass in Kürze amerikanische Kräfte mit Luftfahrzeugen landen würden, um im Verantwortungsbereich des PRT Kunduz eine Spezialkräfte-Operation durchzuführen. Operative Details wurden nicht bekannt gegeben."

US-General Stanley McChrystal (Foto: dpa)
ISAF-Kommandeur McChrystal setzt Spezialkräfte gegen Führungsmitglieder der Taliban ein.

Regelmäßig bleiben Vorfälle im Zusammenhang mit Operationen amerikanischer Spezialkräfte in Afghanistan ungeklärt. Regelmäßig mangelt es an Koordinierung mit regulären Truppen. Dabei spielen Spezialkräfte am Hindukusch eine immer wichtigere Rolle. ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal setzt sie vor allem gegen Führungsmitglieder von Taliban und Al Kaida ein. "Es gibt einen gewissen Prozentsatz bei jedem Aufstand oder von Drogenhändlern, die zum Ziel werden, um sie festzunehmen - oder zu töten, wenn sie sich nicht festnehmen lassen wollen", erklärt McChrystal.

Afghanen fordern Aufklärung

Welche Folgen Kommando-Operationen haben können, ist in Imam Sahib zu sehen. Nach dem Vorfall gab es Proteste. Und rasch verschlechterte sich die Sicherheitssituation. Auch ein Jahr später noch fordern die Menschen in der Region wie auch Völkerrechtler Tomuschat Aufklärung. Auch darüber, was mit den vier Festgenommenen geschehen ist, über die das US-Militär jede Auskunft verweigert.

"Gerade die Bundesrepublik Deutschland, die sich zu Recht rühmt, ein Rechtstaat zu sein, darf solche Aktivitäten eigentlich bei ihrem Verbündeten nicht ohne Weiteres hinnehmen", sagt Tomuschat. "Sie müsste nach besten Kräften darauf hinwirken, dass solche Dinge wirklich geklärt werden." Der Völkerrechtler sieht das als große Herausforderung für die Bundesregierung.
Doch Zeugen in Imam Sahib berichten, dass außer Schüssen aus Schalldämpfern nichts zu hören gewesen sei. "Daran ist überhaupt kein Zweifel, dass die Leute überhaupt nicht gekämpft haben", sagt Entwicklungshelfer Barekzai. "Die Leute waren nicht zum Kämpfen da. Das sind nur Angestellte, die können vielleicht auch kein Gewehr bedienen." Er habe auch von Nachbarn gehört, dass überhaupt kein Schuss gefallen sei.
Das Gästehaus des Bürgermeisters von Imam Sahib nahe Kundus vor einem Jahr, am Morgen des 22. März. Vier Terrorverdächtige waren hier wenige Stunden zuvor von einer US-Spezialeinheit festgenommen worden. Ein Mitarbeiter des Deutschen Entwicklungsdienstes filmt und kommentiert, was von der Operation übrig blieb: eine aufgesprengte Tür, zersplitterte Fensterscheiben und fünf Leichen mit Schussverletzungen, vor allem in Kopf und Brust.

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