Mission am Hindukusch
Deutsche Beamte sollen helfen, Afghanistan zu einem Rechtsstaat zu machen. Doch selbst Top-Polizisten glauben nach SPIEGEL-Informationen nicht mehr an den Erfolg ihrer Mission: Die Regeln westlicher Zivilisationen seien außer Kraft, die Sicherheitskräfte hätten den Ruf von Wegelagerern.
Hamburg - Deutsche Beamte, die in Afghanistan beim Aufbau des Polizeiapparats mitgewirkt haben, berichten vom desaströsen Zustand der Sicherheitskräfte. "Die Schaffung eines Rechtsstaates in Afghanistan ist eine Illusion", sagte ein Polizist dem SPIEGEL.
Diese Einschätzung teilen auch andere Beamte, die ein Jahr und mehr am Hindukusch eingesetzt waren. "Wir erkennen die afghanische Wirklichkeit nicht an, und deshalb werden wir dort scheitern", urteilt ein ranghoher Polizist. Das Land werde niemals nach den Regeln westlicher Zivilisation funktionieren.
Die Beziehungsgeflechte der Clans, Warlords und Taliban seien bisweilen viel mächtiger als die Regierung in Kabul. Die afghanische Polizei ANP sei in der Bevölkerung "als Wegelagerer" verschrien, die auf acht Wochen reduzierte Ausbildung der Polizeianwärter habe sich nicht bewährt. 90 Prozent der Rekruten seien Analphabeten, die sich kaum länger als eine halbe Stunde konzentrieren könnten. Die Hälfte der Ausbildungszeit gehe allein für die Übersetzung in Paschtu oder Dari drauf.
"FDD heißt: sterben gehen"
"Wir bilden Polizisten im Schnellgang aus, und wenn sie uns verlassen, verlieren wir die Kontrolle über sie", klagt ein Ausbilder. Aus Deutschland gelieferte Spurensicherungskoffer und Elektronenmikroskope vergammelten derweil in den Ausbildungszentren.
Besonders skeptisch beurteilen die Heimkehrer das neue Konzept, Focused District Development (FDD), nach dem deutsche Polizisten ihre afghanischen Kollegen an ihren Einsatzort begleiten und dort weiterbilden sollen. Die Methode sei ebenso untauglich wie gefährlich. "FDD heißt: sterben gehen", sagte ein Beamter dem SPIEGEL.
Die Taliban töteten bevorzugt Polizisten als Symbol der verhassten Regierung in Kabul. Im Bundespolizeipräsidium in Potsdam ist die Gefahr bekannt. "Die ANP ist nach wie vor in allen Landesteilen Hauptangriffsziel der Aufständischen", heißt es in einer internen Analyse.
Schon im Februar hatten zwei aus Afghanistan zurückgekehrte Polizisten SPIEGEL ONLINE geschildert, wie verfahren die Sicherheitslage am Hindukusch ist. Als problematisch erachteten beide Beamte die Auswahl der dortigen Rekruten. Die meisten seien weder "körperlich noch geistig" für den Polizeidienst geeignet und bewürben sich "meistens nur aus Not, nicht aus Überzeugung".
Dennoch würden auf den Druck der Amerikaner hin massiv afghanische Polizisten ausgebildet. Dabei produziere man in den nur wenige Wochen dauernden Lehrgängen eher "Kanonenfutter" denn fähige Sicherheitskräfte, berichten die beiden Deutschen unabhängig voneinander: Jeder vierte afghanische Polizist überlebe das erste Jahr im Dienst nicht, sage man am Hindukusch. Und bei den übrigen sei nicht immer klar, auf wessen Seite sie wirklich ständen.
Deutsche Minister in Afghanistan
Erst vor wenigen Tagen war Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nach Afghanistan gereist, um sich über die maßgeblich von den Deutschen organisierte Polizeiausbildung zu informieren. Nach seinen Aussagen wird der deutsche Polizeieinsatz dort noch etliche Jahre dauern.
Auch nach Abschluss der laufenden Ausbildungsprojekte, die eine Aufstockung der afghanischen Polizei auf 134.000 Kräfte bis 2014 zum Ziel haben, werde es "ein Projekt der Zusammenarbeit auf Jahre hinaus geben", sagte er am Dienstag zum Abschluss seines dreitägigen Afghanistan-Besuchs in Masar-i-Scharif. "Es macht ja keinen Sinn, etwas abzubrechen, was nachher in neue Unsicherheit umschlägt."
Am Donnerstag ist der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel zu einem überraschenden Besuch in Afghanistan eingetroffen. Der FDP-Politiker will sich ein Bild vom deutschen Engagement und der Lage vor Ort machen, wie er vor seiner Abreise in Berlin erklärte.
Niebel mahnte die afghanische Regierung zu Reformen. Von besonderer Bedeutung seien schnelle Schritte zur Eindämmung der Korruption, zur Stärkung der regionalen Verwaltung und zur Verbesserung der Menschen- und besonders der Frauenrechte. Niebel bekräftigte zwar die Zusage der Bundesregierung, ihre Mittel für den zivilen Wiederaufbau deutlich zu erhöhen. Allerdings sei dies daran gebunden, dass die afghanische Regierung die auf der Konferenz in London zugesagten Reformen auch energisch umsetze.
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