Der deutsche Papst Benedikt XVI. konzentriert sich auf Europa, Lateinamerika schenkt er kaum Beachtung. Weil der Missbrauchsskandal nun auch Länder wie Mexiko und Brasilien erfasst, wächst der Unmut bei den Gläubigen - die Evangelikalen-Bewegung profitiert.
In der Kathedrale von Mexico City begann die Karwoche mit einem Eklat: Die Oppositionspolitikerin Julia Klug legte vor dem Gotteshaus ein Tuch aus, auf dem Parolen gegen Kardinal Norberto Rivera und den Papst prangten: "Benedikt und Norberto Rivera schützen Vergewaltiger! Was sind das nur für Gottesvertreter?", war auf dem Banner zu lesen.
Während der Kardinal in der Kathedrale die Messe las, schrie Klug draußen: "Päderast, Mittäter!" Nach dem Gottesdienst keilte eine Gläubige zurück: "Was du hier machst, ist Gewalt!" Klug teilte eine Ohrfeige aus, eine Papst-Anhängerin trat ihr in den Rücken. Schließlich schritt die Polizei ein, um Schlimmeres zu verhüten.
In keinem anderen lateinamerikanischen Land schlägt der Missbrauchsskandal so hohe Wellen wie im erzkatholischen Mexiko. Die Kirche steht ohnehin in der Kritik, weil viele Priester im Norden des Landes die Osterpredigten aus Angst vor Anschlägen der Drogenmafia abgesagt haben. Jetzt kommen noch die unappetitlichen Geschichten um pädophile Pater hinzu.
Mexiko fühlt sich besonders betroffen: Marcial Maciel Degollado, der vor zwei Jahren verstorbene mexikanische Gründervater des einflussreichen Ordens Legionäre Christi, aus dem sich eine große Zahl des Priesternachwuchses rekrutiert und der im Vatikan längst glänzend vernetzt ist, verging sich jahrzehntelang an Jungen und Mädchen, mehr als 70 angebliche Missbrauchsopfer haben sich gemeldet.
Legionäre Christi sagten sich von Gründer los
Als Kardinal und Chef der Glaubenskonkregation leitete Joseph Ratzinger im Jahr 1997 eine Untersuchungskommission im Vatikan, die alle Vorwürfe gegen Maciel aufklären sollte. Maciel, der eine "Einladung" der Kongregation nach Rom erhalten hatte, erschien nicht - aufgrund seiner schlechten Gesundheit wurde das Verfahren eingestellt. Er wurde jedoch in ein Kloster verbannt. Die Legionäre Christi hielten es inzwischen für geboten, sich offiziell und "zutiefst erschüttert" von ihrem Gründer Maciel - der übrigens mindestens drei Kinder zeugte - loszusagen.
Schon vor dem Skandal um die Kirchen-Päderasten war Benedikt XVI. in Lateinamerika nicht besonders populär. Nach dem Tod des außerordentlich beliebten Johannes Paul II. hatte man auf einen Pontifex aus den eigenen Reihen gehofft. Ratzinger gilt als Vertreter der alten, konservativen europäischen Kirchentradition. In Lateinamerika hatte er sich vor allem einen Namen als gnadenloser Gegner der linken Befreiungstheologen gemacht.
Benedikt XVI: Konzentration auf Europa
Nicht nur predigt Benedikt XVI. eine strenge Glaubensdoktrin, ihm fehlt die menschliche Wärme des verehrten Johannes Paul II. Dem blieben die Befreiungstheologen zwar ebenfalls sein Lebtag zutiefst suspekt, er versuchte nach Kräften, die Bewegung mundtot zu machen, dennoch hatte Wojtyla ein Herz für die Latinos.
Johannes Paul II. war oft in Lateinamerika, selbst Kubas Revolutionsführer Fidel Castro empfing ihn und sprach ihm seine Bewunderung aus. Bei Benedikt ist das unvorstellbar. Der deutsche Papst hat den Kontinent, der die meisten katholischen Gläubigen beherbergt, bislang nur einmal besucht. Seine kirchenpolitische Strategie konzentriert sich auf Europa.
Johannes Paul II. hatte erkannt, dass die größte Gefahr für die katholische Kirche in Lateinamerika von den evangelischen Sekten und Freikirchen ausgeht, die überall auf dem Kontinent wie Pilze aus dem Boden schießen. In Scharen laufen die Gläubigen zu den Evangelikalen über, weil die Katholiken vor allem in der täglichen Seelsorge versagen: Die Evangelikalen vermitteln mehr Gemeinschaftsgefühl, sie binden die Gläubigen emotional ein, die katholische Kirche hat dem kaum etwas entgegenzusetzen.
Überdies sind die Evangelikalen wirtschaftlich erfolgreicher: Ihre Prediger haben wahre Finanzimperien errichtet. Täglich halten sie in Hunderten protziger Tempel bis zu sechs Gottesdienste ab, bei denen der Klingelbeutel kreist. Viele Gläubige führen mehr als den Zehnten ab.
Nur die Spitze des Eisbergs
Johannes Paul II. schickte sogenannte Charismatiker ins Feld, die den Evangelikalen mit deren eigenen Methoden Konkurrenz machen: Bei Massengottesdiensten in riesigen Hallen wird getanzt, gesungen und gebetet, die Liturgie wird mit Showelementen aufgepeppt. So hatte die katholische Kirche in den vergangenen Jahren einen Teil der Abtrünnigen zurückgewonnen.
Dennoch: In Brasilien, dem weltweit größten katholischen Land, gehören nach offiziellen Angaben schon mehr als 14 Prozent der Bevölkerung evangelischen Kirchen an, tatsächlich dürften es noch weitaus mehr sein. In Guatemala, wo der Siegeszug der Evangelikalen am weitesten fortgeschritten ist, wird mehr als die Hälfte der Bevölkerung dieser Konfession zugerechnet.
In Brasilien sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Sexskandale um Priester und Bischöfe aufgeflogen. Priesterseminare gelten seit Jahrzehnten als Zufluchtsort für junge Homosexuelle: Als angehende Priester sind sie von dem Druck befreit, sich als Machos präsentieren zu müssen, die Soutane schützt sie überdies vor Anfeindungen und Vorurteilen. Doch in den Seminaren geraten sie häufig in den Einflussbereich älterer Priester, die sich, wie es ein Ex-Seminarist ausdrückte, "mit den Jungs vergnügen" wollen.
Dass ausgerechnet der deutsche Oberlehrer Benedikt im Missbrauchsskandal immer stärker in Bedrängnis gerät, dürfte die Abwanderung vieler Gläubigen zu den Evangelikalen erneut verstärken. Zumal Kirchenkenner in Lateinamerika fürchten, dass die bekannt gewordenen Fälle nur die Spitze eines Eisbergs darstellen.
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