Dienstag, 22. Mai 2007

BGH hebt Freispruch für Dorfbäcker auf

Von Julia Jüttner

Der Prozess um den brutalen Bankraub im baden-württembergischen Siegelsbach wird neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob den umstrittenen Freispruch gegen den einzigen Verdächtigen, den Dorfbäcker, auf.

Karlsruhe - Dorfbäcker Alfred B. muss erneut wegen des brutalen Raubmordes in der Sparkasse seiner Heimatgemeinde Siegelsbach im Landkreis Heilbronn vor Gericht. Die Beweiswürdigung des Landgerichts Heilbronn sei fehlerhaft, hieß es zur Begründung. Der 1. Strafsenat des BGH hob damit den Freispruch auf und folgte der Forderung der Bundesanwaltschaft und der vier Nebenkläger. Das Landgericht Stuttgart soll noch einmal über den Banküberfall vom 7. Oktober 2004 verhandeln, bei dem eine Frau erschossen und zwei Männer lebensgefährlich verletzt worden waren.

Das Urteil der Heilbronner Richter sei "rechtsfehlerhaft", hatte Bundesanwalt Wolfram Schädler in der Revisionsverhandlung angeführt. Wesentliche Umstände seien im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht im ausreichenden Maße erörtert worden. Daher plädierte Schädler dafür, den Prozess an ein anderes Gericht als das Landgericht Heilbronn zurück zu verweisen.

Das hatte auch Tobias Göbel, Vertreter der Nebenkläger, beim Einreichen des Revisionsbegründung beantragt. Denn: "Es würde mich ausgesprochen überraschen, wenn ein Landgericht im zweiten Verfahren einen Freispruch fällen würde", sagte der Rechtsanwalt vor Bekanntgabe der BGH-Entscheidung SPIEGEL ONLINE. Wesentliche Umstände und Indizien, die gegen den Angeklagten sprächen, seien vom Landgericht nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Das Landgericht Heilbronn hatte den heute 49- jährigen Alfred B. im April 2006 vom Vorwurf des Mordes und des zweifachen Mordversuches freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte dem ehemaligen Dorfbäcker vorgeworfen, im Oktober 2004 die Sparkassenfiliale in seinem Heimatort Siegelsbach überfallen zu haben. Dabei soll er die 65 Jahre alte Gisela C. erschossen haben. Ihren damals 66-jährigen Ehemann zwang der Täter auf die Knie und schoss ihm ins Genick. Der Rentner überlebte. Ebenso der 29 Jahre alte Kassierer der Bank, Torsten M., dem der Schädel mit dem Pistolenknauf zertrümmert wurde. Außerdem entkam der Bankräuber mit 33.514 Euro Beute.

"Es wurde getarnt und getäuscht"

Die beiden überlebenden Opfer identifizierten Alfred B. als Täter. Ein anderer Zeuge sagte vor Gericht aus, den Dorfbäcker zur Tatzeit am Ortsausgang gesehen zu haben. Es gab eine Fülle von Indizien, die im Gesamtkomplex gegen den Bäcker sprach; jedes einzelne Indiz jedoch hinterließ bei der Schwurgerichtskammer Zweifel - und sie sprach Alfred B. frei.

Aus diesen Gründen ist dieser Fall beispiellos in der deutschen Justizgeschichte: Die Karlsruher Richter mussten entscheiden, ob der Freispruch bestehen bleibt oder ob der Fall neu aufgerollt werden muss. Entscheidend war, ob das 175-seitige Urteil der Heilbronner Kammer aus Sicht des BGH handwerkliche Fehler enthält.

Der Vorsitzende des 1. Strafsenats, Armin Nack, begründete die Aufhebung des Urteils mit Mängeln in der Beweiswürdigung. Das Landgericht habe beispielsweise die entlastende Aussage des Hauptbelastungszeugen, der den Angeklagten zur Tatzeit gesehen haben will, wie er Richtung Ortsausgang fuhr, in der Würdigung der Beweise als zutreffend vorausgesetzt, anstatt sie mit anderen - belastenden - Indizien abzugleichen.

Die Verteidigung des Dorfbäckers hatte schon im Vorfeld der heutigen BGH-Entscheidung damit gerechnet, "dass wir wieder ganz am Anfang stehen", sagte Anke Stiefel-Bechdolf. Doch die 52-Jährige will sich für den neuen Prozess Verstärkung holen. "Ich will nicht zum Geisterfahrer werden und Fehler machen, die ich anderen vorwerfe, nur weil ich in meiner Meinung festgelegt bin und keine andere zulasse."

Denn als Verteidigerin hatte Stiefel-Bechdolf der Polizei und der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, "nicht objektiv" gewesen zu sein. "Es wurde getarnt und getäuscht. Man kann Akten so schreiben, dass sie zumindest ein derart schlüssiges Bild ergeben und kein anderes mehr zulassen, weil man sich darauf fixiert."

Die damalige Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Wolfgang Bender, die danach aufgelöst wurde, sei "mutig gewesen, weil sie sich nicht hat bedrohen lassen", so Stiefel-Bechdolf. In der Urteilsbegründung stehe ein prägnanter Satz des Vorsitzenden Richters, sagte die Juristin. "Für Gefälligkeitsurteile steht diese Kammer nicht zur Verfügung. Die Kammer kann es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, diesen Menschen zu verurteilen."

Nun wird das Landgericht Stuttgart noch einmal über die Schuld des Alfred B. entscheiden müssen.

Mit Material von ddp und dpa

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