Kirk Lester wurde Mitte April in seinem Haus erstochen. Noch am frischen Grab verspotten ihn die Totengräber: "Das war doch ein Schwuler, eine Schwuchtel." "Wir haben kein Problem damit, Mörder und Diebe zu beerdigen", sagt der Totengräber Dave Mc Pharlin. "Aber Homos haben in Jamaika kein Mitleid verdient. Für sie gibt es nur eins: Den Tod."
Amen Campell, Pastor einer protestantischen Gemeinde im Westen Jamaikas, betet für den Ermordeten. Auch wenn die Kirche Homosexualität als schwere Sünde geißelt, wollte er Kirk Lester die letzte Ehre nicht verweigern. Doch ein Mob stürmte das Gotteshaus. "Draußen peitschten Schüsse – überall. Sie warfen Steine durch die Fenster in die Kirche. Und schließlich wurde es die schnellste Fahrt mit einem Leichenwagen, die ein Toter jemals mitmachen mußte. Ich hatte Angst, rannte, um der Menge zu entkommen. Und die Männer vom Bestattungsdienst fuhren wie um ihr Leben."
Kingston – die Hauptstadt Jamaikas. Noch am frühen Morgen ist Party. Jeden Tag. Aber Alltag ist auch die Gewalt. Durchschnittlich vier Menschen werden täglich auf der Insel umgebracht. Das hat mit Armut und starker sozialer Ungleichheit zu tun. Die allseits spürbare Aggressivität sucht sich Opfer, richtet sich häufig gegen Homosexuelle. Der DJ schreit ins Publikum: "Wenn ihr jemand seht, der sich mit einer Schwuchtel einlässt, bringt beide um". Plötzlich wird nicht mehr nur getanzt – es wird demonstrativ öffentlich kopuliert. Der Macho zelebriert seine Potenz,. Die Frauen machen bereitwillig mit. Tanz als Gewaltersatz: Doch dabei bleibt es häufig nicht.
Tony will ihr Gesicht nicht zeigen. Sie ist Lesbe: ihre Stirn voller Narben. "Wenn jemand nur vermutet, dass du lesbisch bist, beschimpft er dich: 'Hey - Sodomist – du verdienst den Tod.' Einmal schlug mich jemand von hinten. Ich spürte, wie das Blut an mir herunter lief. Dann haute er mir mit einem Gegenstand ins Gesicht, mein Kiefer brach, an meiner Stirn blieben tiefe Wunden."
Garreth ist Leiter einer Schwulen- und Lesbenorganisation. Auch er will anonym bleiben. "Es gibt viele Gründe für die Homophobie: Jamaika ist ein religiöses Land. Die Menschen glauben, dass Homosexualität unchristlich sei. Viele Pastoren schüren den Haß gegen uns. Und die politischen Parteien verstärken noch die Vorurteile. Bisweilen spielen sie sogar offizielle Wahlkampflieder mit extrem schwulenfeindlichen Texten." Fast alle bekannten Musikstars Jamaikas haben Anti-Schwulenlieder in ihrem Repertoir: "Siehst Du Homos in einem Homo- Auto – brennt sie nieder!" singt die Gruppe T.O.K. "Siehst Du Homos in einer Homo-Bar – fackelt sie ab!" Und Zuhörer bilden in Gangster-Manier mir ihren Fingern eine Pistole nach, so als würden sie gleich schießen.
Seit einigen Jahren dürfen viele dieser sogenannten Haßsongs nicht mehr in Europa aufgeführt werden. Für den Musikpromoter Dennis Howard weniger ein moralisches, denn ein Marktproblem. "Wenn die Künstler am eigenen Geldbeutel spüren, dass diese Musik nicht erwünscht ist, lassen sie es. Das ist in Europa so – aber hier in Jamaika ist es anders. Hier verlangt das Publikum diese Lieder – und so werden sie gesungen. Wer auf einer Bühne kann denn schon 10 000 Menschen widerstehen, von denen du weißt, dass sie dir auf deine bösen Texte mit Brüllen und Zustimmung antworten werden. Also rufst du in die Menge: 'Killt diese schwulen Schweine’ - ‚Setzt sie in Brand'." Aber die Texte seien nicht wörtlich zu nehmen. Die Gründe, warum Homosexuelle umgebracht würden, lägen in Wahrheit ganz woanders: "Aus meiner Erfahrung weiß ich: Die meisten Homosexuellen in Jamaika werden brutal niedergemetzelt von - eben Homosexuellen."
Jamaika ist nicht das Land von Love and Peace. Für sexuelle Minderheiten ist die Insel die Hölle. Bis zu 15 Jahren Haft drohen für einfaches Händchenhalten. Homosexualität ist illegal. Politik und Kirchen behaupten, es gehe darum, urchristliche Werte zu verteidigen. Vor allem die Anhänger der Rastafari-Religion sehen Homosexualität als Hinterlassenschaft des weißen Mannes. Mit ihm sei das Böse auf die Insel gekommen und dies gelte es auszumerzen. Und doch bleibt es schwer fassbar, wie es immer wieder zu solchen Mobszenen kommt, wie Anfang April in Kingston. Eine Menge will in einem Supermarkt zwei Männer offensichtlich lynchen. Garreth war zufällig am Ort und mobilisierte zusammen mit Menschenrechtsgruppen die Polizei. Widerwillig führte diese Garreth, der sein Gesicht verdeckte und die beiden anderen, zum Fluchtauto. "Dieser Offiziere schlug mich dann im Revier zusammen", erzählt Garreth von der Menschenrechtsorganisation J-Flag. "Ich hatte Angst, mir könnte das gleiche passieren, wie Victor, vor 2 Jahren, in Montego Bay. Er wurde von der Polizei verhaftet, weil er schwul war. Ein Mob verlangte seine Herausgabe. Ich war nur 80 Meter entfernt, konnte aber nicht eingreifen. Schließlich händigte die Polizei Victor aus. Dieser wurde durch die Straßen gejagt, verprügelt und wenig später erstochen."
Mit einer Vertretrein von Amnesty International geht Garreth zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Hoffnung, dass etwas geschieht, hat er kaum. Auch wir hatten Interviews für die ARD beantragt – mit den Sicherheitsbehörden, mit Ministern und Parteiführern. Alle lehnten ab. "Eine so gewaltbereite Gesellschaft wie Jamaika braucht Opfer. Jemand an dem man gefahrlos die eigene Gewalt ausleben kann", erklärt Maria Carla Gullotta von Amnesty International. "Und Homosexuelle sind leichte Opfer. Sie werden in die Illegalität gezwungen, sind rechtlos und ihnen wird jede Würde abgesprochen." Und Garreth ergänzt: "Wir brauchen dringend einen Wechsel zur mehr Menschlichkeit. Doch das einzige, was helfen kann, ist massiver Druck von außen. Uns hören sie hier einfach nicht zu.In Jamaika leben wir wie hinter Gittern."
Autor: Stefan Rocker
Menschenrechtsorganisation J-Flag
Amen Campell, Pastor einer protestantischen Gemeinde im Westen Jamaikas, betet für den Ermordeten. Auch wenn die Kirche Homosexualität als schwere Sünde geißelt, wollte er Kirk Lester die letzte Ehre nicht verweigern. Doch ein Mob stürmte das Gotteshaus. "Draußen peitschten Schüsse – überall. Sie warfen Steine durch die Fenster in die Kirche. Und schließlich wurde es die schnellste Fahrt mit einem Leichenwagen, die ein Toter jemals mitmachen mußte. Ich hatte Angst, rannte, um der Menge zu entkommen. Und die Männer vom Bestattungsdienst fuhren wie um ihr Leben."
Kingston – die Hauptstadt Jamaikas. Noch am frühen Morgen ist Party. Jeden Tag. Aber Alltag ist auch die Gewalt. Durchschnittlich vier Menschen werden täglich auf der Insel umgebracht. Das hat mit Armut und starker sozialer Ungleichheit zu tun. Die allseits spürbare Aggressivität sucht sich Opfer, richtet sich häufig gegen Homosexuelle. Der DJ schreit ins Publikum: "Wenn ihr jemand seht, der sich mit einer Schwuchtel einlässt, bringt beide um". Plötzlich wird nicht mehr nur getanzt – es wird demonstrativ öffentlich kopuliert. Der Macho zelebriert seine Potenz,. Die Frauen machen bereitwillig mit. Tanz als Gewaltersatz: Doch dabei bleibt es häufig nicht.
Tony will ihr Gesicht nicht zeigen. Sie ist Lesbe: ihre Stirn voller Narben. "Wenn jemand nur vermutet, dass du lesbisch bist, beschimpft er dich: 'Hey - Sodomist – du verdienst den Tod.' Einmal schlug mich jemand von hinten. Ich spürte, wie das Blut an mir herunter lief. Dann haute er mir mit einem Gegenstand ins Gesicht, mein Kiefer brach, an meiner Stirn blieben tiefe Wunden."
Garreth ist Leiter einer Schwulen- und Lesbenorganisation. Auch er will anonym bleiben. "Es gibt viele Gründe für die Homophobie: Jamaika ist ein religiöses Land. Die Menschen glauben, dass Homosexualität unchristlich sei. Viele Pastoren schüren den Haß gegen uns. Und die politischen Parteien verstärken noch die Vorurteile. Bisweilen spielen sie sogar offizielle Wahlkampflieder mit extrem schwulenfeindlichen Texten." Fast alle bekannten Musikstars Jamaikas haben Anti-Schwulenlieder in ihrem Repertoir: "Siehst Du Homos in einem Homo- Auto – brennt sie nieder!" singt die Gruppe T.O.K. "Siehst Du Homos in einer Homo-Bar – fackelt sie ab!" Und Zuhörer bilden in Gangster-Manier mir ihren Fingern eine Pistole nach, so als würden sie gleich schießen.
Seit einigen Jahren dürfen viele dieser sogenannten Haßsongs nicht mehr in Europa aufgeführt werden. Für den Musikpromoter Dennis Howard weniger ein moralisches, denn ein Marktproblem. "Wenn die Künstler am eigenen Geldbeutel spüren, dass diese Musik nicht erwünscht ist, lassen sie es. Das ist in Europa so – aber hier in Jamaika ist es anders. Hier verlangt das Publikum diese Lieder – und so werden sie gesungen. Wer auf einer Bühne kann denn schon 10 000 Menschen widerstehen, von denen du weißt, dass sie dir auf deine bösen Texte mit Brüllen und Zustimmung antworten werden. Also rufst du in die Menge: 'Killt diese schwulen Schweine’ - ‚Setzt sie in Brand'." Aber die Texte seien nicht wörtlich zu nehmen. Die Gründe, warum Homosexuelle umgebracht würden, lägen in Wahrheit ganz woanders: "Aus meiner Erfahrung weiß ich: Die meisten Homosexuellen in Jamaika werden brutal niedergemetzelt von - eben Homosexuellen."
Jamaika ist nicht das Land von Love and Peace. Für sexuelle Minderheiten ist die Insel die Hölle. Bis zu 15 Jahren Haft drohen für einfaches Händchenhalten. Homosexualität ist illegal. Politik und Kirchen behaupten, es gehe darum, urchristliche Werte zu verteidigen. Vor allem die Anhänger der Rastafari-Religion sehen Homosexualität als Hinterlassenschaft des weißen Mannes. Mit ihm sei das Böse auf die Insel gekommen und dies gelte es auszumerzen. Und doch bleibt es schwer fassbar, wie es immer wieder zu solchen Mobszenen kommt, wie Anfang April in Kingston. Eine Menge will in einem Supermarkt zwei Männer offensichtlich lynchen. Garreth war zufällig am Ort und mobilisierte zusammen mit Menschenrechtsgruppen die Polizei. Widerwillig führte diese Garreth, der sein Gesicht verdeckte und die beiden anderen, zum Fluchtauto. "Dieser Offiziere schlug mich dann im Revier zusammen", erzählt Garreth von der Menschenrechtsorganisation J-Flag. "Ich hatte Angst, mir könnte das gleiche passieren, wie Victor, vor 2 Jahren, in Montego Bay. Er wurde von der Polizei verhaftet, weil er schwul war. Ein Mob verlangte seine Herausgabe. Ich war nur 80 Meter entfernt, konnte aber nicht eingreifen. Schließlich händigte die Polizei Victor aus. Dieser wurde durch die Straßen gejagt, verprügelt und wenig später erstochen."
Mit einer Vertretrein von Amnesty International geht Garreth zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Hoffnung, dass etwas geschieht, hat er kaum. Auch wir hatten Interviews für die ARD beantragt – mit den Sicherheitsbehörden, mit Ministern und Parteiführern. Alle lehnten ab. "Eine so gewaltbereite Gesellschaft wie Jamaika braucht Opfer. Jemand an dem man gefahrlos die eigene Gewalt ausleben kann", erklärt Maria Carla Gullotta von Amnesty International. "Und Homosexuelle sind leichte Opfer. Sie werden in die Illegalität gezwungen, sind rechtlos und ihnen wird jede Würde abgesprochen." Und Garreth ergänzt: "Wir brauchen dringend einen Wechsel zur mehr Menschlichkeit. Doch das einzige, was helfen kann, ist massiver Druck von außen. Uns hören sie hier einfach nicht zu.In Jamaika leben wir wie hinter Gittern."
Autor: Stefan Rocker
Menschenrechtsorganisation J-Flag
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