Freitag, 25. Mai 2007

Den Arsch nicht aufgerissen

Die "Lauenstein-Affäre" bei Neun Live offenbart die Abwesenheit einer wirksamen Kontrolle von Privatsendern durch die Landesmedienanstalten

"Wir werden von vorne bis hinten von der Bayerischen Landesmedienanstalt überwacht... Sonst reißen die uns den Arsch auf." Neun-Live-Moderator Thomas Schürmann 2004 zu Täuschungsvorwürfen.


Ob nun die Neun-Live-Moderatorin Alida Lauenstein mit ihrer Bemerkung während des Gewinnspiels am 13. Mai subtil Protest gegen die Geschäftspraktiken ihres Brötchengebers erregen wollte oder ihr diese nur versehentlich herausgerutscht ist, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Fakt ist jedoch, dass mit den Worten: "[…] noch ein bisschen mitzunehmen. Lasst das doch Max übernehmen. Bei solchen Peaks, schlagt doch später zu […]" die bisherige Behauptung des Senders, die Zuschauer ihres "Transaktions- und Mitmachfernsehen" würden per Hot-Button-Prinzip ausgewählt, kaum mehr haltbar ist.

Durch den im Internet zugänglich gemachten Fernsehmitschnitt wird auch für Angehörige der Zielgruppe von Neun Live ersichtlich, dass die Anrufer nicht, wie vom Sender angegeben, anhand eines Zufallsgenerators ausgesucht werden, sondern dass hinter den Kulissen ein Redakteur darüber entscheidet, wann ein Zuschauer zur Moderatorin durchgestellt wird. Eine wesentliche Komponente der Sendung basiert also auf Zuschauertäuschung.

In Erklärungsnöte gerät durch den Vorfall aber nicht nur der Sender – dessen Zweck es ist, Profit zu erwirtschaften –, sondern vor allem die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM), die die Bevölkerung in der Theorie vor den Auswüchsen solch einer reinen Renditeorientierung schützen sollte. Trotzdem erhielten Sender mit "innovativen" bzw. fragwürdigen Geschäftsmodellen vor allem in Bayern - also im Zuständigkeitsbereich der BLM - ihre Lizenzen. Sollte eine effektive Beaufsichtigung dieser Sender durch die Landesmedienanstalt wirklich stattgefunden haben, so hatte sie bisher keine Konsequenzen.

Massive und permanente Verstöße gegen Fernsehrichtlinien

Dabei gab es bereits vor dem Auftauchen des Lauenstein-Videos genügend Berichte, in denen klar auf die offensichtlichen Täuschungen bei den im Volksmund "Idiotensender" genannten Anstalten hingewiesen wurde. Trotzdem gab der BLM-Fachreferent für Fernsehen, Robert Busl, noch Ende Januar 2007 anlässlich einer Publikumsbeschwerde eine Stellungnahme ab, die einem Blankoscheck für den hochprofitablen Sender Neun Live (Jahresumsatz ca. 60 Millionen Euro) gleichkam.

Auch als sich Anfang Mai 2007 ehemalige Mitarbeiter des von Christiane von der Salm gegründeten Unternehmens im Magazin plusminus über die dubiosen Geschäftspraktiken äußerten und der Vorwurf erhoben wurde, dass das Medienunternehmen permanent und massiv gegen die Anwendungs- und Auslegungsregeln der Landesmedienanstalten für die Aufsicht über Fernseh-Gewinnspiele verstoße, sah die Aufsichtsbehörde keinen Anlass zum Entzug der Sendelizenz.

Und auch mit dem jetzigen Skandal scheint die BLM umzugehen, wie sie es von Helmut Kohl, dem großen Förderer der privaten Fernsehsender, gelernt hat. So äußerte sich der Pressesprecher der BLM, Dr. Flieger, zu den neuesten Entwicklungen bei Neun Live:

"Das ist hochinteressant, wir werden 9live damit konfrontieren. 9live wird jetzt angeschrieben, dann wird es eine Anhörung geben. Medienrechtlich hat ein Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag derzeit keine Folgen. Eine Beanstandung ist möglich, ein Bußgeld aber nicht. Ein Verstoß hätte also nur formale Folgen."

Diese Art des Umgangs mit einer Aufsichtspflicht gibt bei BLM-Insidern allerdings nur bedingt zur Verwunderung Anlass, denn der Präsident der Landesmedienzentrale, Wolf-Dieter Ring, stellt den Einsatz für bestimmte Unternehmen unverhohlen als modernen medienpolitischen Pragmatismus dar. Trotzdem sitzt er relativ fest im Sattel: Umstritten ist er weniger in der Politik, als bei den Mitarbeitern seiner Anstalt, die er wie ein Fürst regiert. Zu seinem 60. Geburtstag musste die gesamte Belegschaft am Opernball-Fan vorbeidefilieren, während sie zur großen V.I.P.-Party nicht nur nicht eingeladen war, sondern dringlichst gebeten wurde, möglichst den Dienst vor dem Eintreffen der Gäste zu beenden und das Gebäude über den Hinterausgang zu verlassen.

Bei so prunkvollen Feiern bleibt natürlich wenig Zeit für eine effektive Kontrolle der Sender. So wenig, dass nach Informationen aus der Anstalt hunderttausende Unterschriften gegen Nachmittagstalkshows seit etwa einem Jahrzehnt "bearbeitet" werden – ohne Ergebnis, versteht sich. Andere ehemalige Mitarbeiter äußern anhand der erfahrenen Arbeitsabläufe den Verdacht, dass es sich bei der BLM um eine Alibi-Behörde handeln könnte, in der gegebenenfalls absichtlich ineffektiv gearbeitet wird, um Beschwerden des Publikums wirksam zu kanalisieren und ins Leere laufen zu lassen - damit Medienunternehmen weiter senden können wie bisher.

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