Freitag, 25. Mai 2007

Rufus Wainwright: "Sex ist mächtiger als Intellekt"

Der kanadische Singer-Songwriter im Gespräch über Musik, Drogen und Todessehnsucht:

"Wagner war so selbstsicher. Ich habe genug von Schwäche. Sie langweilt mich", sagt Rufus Wainwright, in einen Sommeranzug von Etro gekleidet und mit vier Windhunden an der Leine, während der Aufnahmen für VANITY FAIR auf Schloss Steinhöfel in Brandenburg. Seit fast einer Dekade steht er auf großen und kleinen Bühnen und hat sich, obwohl seine Musik und seine Person schwer einzuordnen sind, klug seinen Platz erobert. "Rufus ist der beste Songwriter unserer Zeit", sagt Elton John.

Aufgewachsen ist der 33-jährige Kanadier in einer Musikerfamilie: Vater Loudon Wainwright III und Mutter Kate McGarrigle sind bekannte Folkmusiker. Inzwischen lebt er in New York, er ist jedoch auch regelmäßig in Berlin anzutreffen: Vergangenen Sommer nahm er in Köpenick unter der Aufsicht von Pet Shop Boy Neil Tennant das Album "Release The Stars" auf. Auch seinen Freund lernte er in Berlin kennen. Mindestens ebenso eindrucksvoll wie seine Musik ist Wainrights stets tadellose Erscheinung: Marc Jacobs und Viktor & Rolf haben ihm schon Kreationen gewidmet. Nach dem Shoot sitzt er in engen Jeans, schwarzem T-Shirt und Weste auf der Schlossterrasse und trinkt Mineralwasser.

  • Mit welcher Melodie sind Sie heute erwacht?
Die Rolling Stones sangen "Sympathy For The Devil". Ich träumte, Keith Richards sei gestorben. Darüber lag Schostakowitschsv 5. Sinfonie, der Triumphmarsch, der eigentlich ein Todesmarsch ist. Das erinnerte mich an die Kriegssituation, in der ich mich mit meiner Karriere befinde.
  • Sie fühlen sich bedroht?
Ich übertreibe. Aber ich habe gelernt, der Musikindustrie zu misstrauen.
  • Wann haben Sie zuletzt geweint?
Während einer Opernvorstellung, "Die Meistersinger von Nürnberg". Mich rührt und fasziniert, dass Wagner dem Tod Leben einhauchen konnte. Eigentlich weine ich jedes Mal in der Oper.
  • Könnten Sie jetzt auf der Stelle weinen?
Warten Sie, ich versuche es für Sie. (schließt die Augen) Nein, es geht nicht.
  • Gay, Homo, Fag, Queen, Queer – welches Wort mögen Sie am liebsten?
Da bin ich altmodisch: Ich mag Gay, weil es fröhlich bedeutet.
  • Wer war der erste schwule Mann, den Sie kannten?
Der Gitarrist meiner Mutter. Er starb vor Kurzem, hat sich leider totgetrunken. Ich war fünf, als ich verstand, wer er ist. Meine Mutter mochte ihn sehr, zugleich war sie abgestoßen von ihm, weil er sehr feminin und depressiv war, ein Verlierer. Als ich mich outete, fürchtete meine Mutter, ich würde enden wie ihr Gitarrist
  • Haben Sie jemals auf einer Beerdigung gesungen?
Ja, auf der von Lance Loud. Er war der erste Amerikaner, der sein Coming-out im TV hatte. Das Leben der Louds wurde in den 70ern als Realityshow gefilmt. Lance führte mich in die Welt der "beautiful losers" von Los Angeles ein.
  • Welches Lied wählten Sie?
„Somewhere Over The Rainbow“.
  • Ihr neues Album "Release The Stars" haben Sie in Berlin aufgenommen: Sie sind durch Deutschland gereist. Was sahen Sie?
Zuerst kaufte ich Lederhosen, fuhr in die Alpen und schrieb Gedichte mit einer Pfauenfeder. In Weimar empfand ich die Romantik am stärksten, Neuschwanstein und Bayreuth haben mich tief berührt. Dabei weiß ich, dass hier auch das Böse zu Hause war. Leider hat der Nationalsozialismus in den Hintergrund gedrängt, dass Deutschland im 19. Jahrhundert das kulturelle Zentrum der Welt war.
  • Ihr Freund ist aus Berlin. Wie haben Sie einander kennengelernt?
Ich hatte nie einen festen Freund, nur Affären und kurze Beziehungsversuche. Mein Freund Jörn Weisbrodt arbeitete für die Berliner Staatsoper. Er kam zu meinem Konzert in der Passionskirche. Wir sind seit zwei Jahren zusammen. Inzwischen wohnen wir am Gramercy Park in New York.
  • Sehr gut gefällt mir der Song "Between My Legs". Ein Liebeslied für Ihren Freund?
Oh, vielen Dank. Zu diesem Lied inspirierte mich Tommy Hotpants, ein Barkeeper und Gelegenheitsstricher.
  • Würden Sie manchmal lieber dessen Leben führen als das des Popstars?
Popmusiker sind heute sehr konservativ. Sie sind Wertpapierhändler ihrer Seelen, die sie in Geld eintauschen. Mein Ziel ist, Komponist zu werden.
  • Was raten Sie einem jungen Künstler, der sich überlegt, wie offen er mit seiner Homosexualität umgehen soll?
Wäre ich mit dieser Frage strategischer umgegangen, hätte ich mehr CDs verkauft. Aber ich bin zu sehr in meiner Musik versunken, um komplizierte Geschichten zu erfinden. Die Homophoben, die mit unausgesprochenem Schwulsein so viel weniger Probleme haben, sollen wissen: Ich schlafe mit Männern, und ich habe sehr guten Sex.
  • Als Sie klein waren, veröffentlichte Ihr Vater das Lied "Rufus Is A Tit Man". Wann haben Sie verstanden, was es bedeutet?
Sofort. Meine Mutter erzählte es mir, wie allen, nach ein paar Drinks: Mein Vater saugt an ihrer Brust, ich an der anderen. Feministinnen hatten mit diesem Lied ein Problem, ich finde es eine wunderschöne Vorstellung.
  • Wollen Sie Kinder?
Mein Freund möchte sehr gerne. Ich eigentlich nicht.
  • Können Sie sich vorstellen zu heiraten?
Ich weiß nicht. Einerseits ist es wunderbar, dass Männer jetzt Männer heiraten können, andererseits fällt es mir leichter, monogam zu leben, je weniger Regeln es gibt. Für mich ist jeder Tag eine Ehe und jeder Tag eine Scheidung.
  • Sie sind kein Typ für feste Bindungen?
Nein. Obwohl ich zurzeit monogam bin, glaube ich, dass die spontane Begegnung – zwei Männer, die Sex haben, ohne sich zu kennen – eine gewaltige Kraft freisetzt. Sex ist mächtiger als Intellekt. Aber ich habe mich entschieden, mich auf diesen Mann, den ich liebe, einzulassen.
  • Was war Ihr bislang mutigster Aufzug?
Auf der Bühne trug ich Engelsflügel und einen String von der Reeperbahn. Während ich mein Lied "Gay Messiah" sang, ließ ich mich kreuzigen in einer hellblauen Tunika.
  • Wie lang überlegen Sie am Morgen, was Sie anziehen?
Nicht lange. Morgens bin ich gern nackt, liege auf dem Bett und betrachte meinen Po und meine hübsche Brust.
  • Marc Jacobs hat Ihren nackten Körper auf ein T-Shirt gedruckt. Sehen Sie das oft bei Konzerten?
Ja. Das ist sehr erfreulich.
  • Mit 23 zogen Sie nach Los Angeles. Wie haben Sie sich zurechtgefunden?
Kenneth Anger, der das großartige Klatschbuch "Hollywood Babylon" geschrieben hat, kam in einem gelben Anzug vorbei, wir gingen Spaghetti essen. Eine bessere Einführung als von diesem Prinzen der Dunkelheit kann man nicht bekommen. Einmal trafen wir Marianne Faithfull, und weil ich gelesen hatte, dass sie nicht mehr trinken würde, erzählte ich ihr stolz, dass auch ich jetzt abstinent sei. Da erst bemerkte ich das Glas Martini in ihrer Hand.
  • Abstinent blieben Sie nicht lange. Wie kam die Droge Crystal Meth in Ihr Leben?
Lance Loud nahm mich mit zu seinem Dealer, einem Cousin von Harrison Ford. Er sah aus wie Indiana Jones, nur in einer sehr schwulen Variation, mit seinen ganzen Pudeln.
  • Welches Gefühl assoziieren Sie mit Crystal Meth?
Ein schönes. Ich hing ständig in Whirlpools rum und hatte unglaublich viel Sex. Mein Hauptproblem mit dieser Droge ist: Sobald ich sie nehme, blendet sich mein Wissen über Safer Sex aus. Ich habe mit vielen Männern geschlafen, die HIV-positiv waren, ohne Kondome. Es ist mir ein totales Rätsel, dass ich mich nicht infiziert habe.
  • Wie nah waren Sie dem Tod?
Ich habe ihn gesehen, bei dieser schlimmen Orgie: zwei Prostituierte und ich. Dazu hörten wir meine Musik. Wenn ich high bin, höre ich mich gerne. Auf einmal sah ich die Dunkelheit des Todes in der Ecke stehen, physisch anwesend im Raum. Ich war weder ängstlich noch schockiert. Ich glaube, ich wollte Sex mit dem Tod haben. Ein großartiger Orgasmus ist ein kleiner Tod. Wie absolut großartig muss dann der große Tod sein. So habe ich damals gedacht.
  • Was hält Sie davon ab, rückfällig zu werden?
Ich weiß sicher, auch wenn ich mich nur am Wochenende wegschießen würde, dass ich mich mit HIV infizieren würde.
  • Wie alt werden Sie?
Nachdem ich die 27 überlebt habe, werde ich wahrscheinlich sehr alt. Wie ein versteinerter Baum in der Wüste, 200 Jahre. Leider habe ich in Los Angeles auch eine Neigung zum betrunkenen Autofahren entwickelt. Zugetankt über den Mulholland Drive, wie in einem verfickten David-Lynch-Film, dazu meine Musik hören. Dann über den Abgrund hinausfahren, das wäre ein wahnsinniger Orgasmus.

Henning Kober / VANITY FAIR

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