Hafen am Horn von Afrika
Bossasso in der teilautonomen Region Puntland. Wenn man aus Somalias zerschossener Hauptstadt Mogadischu kommt, geht es hier vergleichsweise friedlich zu. Bossasso lebt vom Hafen. Waren werden von angekommenen Dhaus heruntergeschleppt, Viehherden zusammengetrieben, zur Verschiffung in die Schlachthäuser Arabiens. Doch nicht nur mit tierischer Fracht machen Bossassos Bootsbesitzer Geschäfte. Menschen werden hier auf ähnliche Weise umgeschlagen – von Schleppern, die zu den schlimmsten der Welt gehören, wie man mir gesagt hat. Für 50 Dollar, heißt es, sei sie hier zu haben – die Passage hinüber in den Jemen. Ich will mitfahren, will wissen, was unterwegs passiert.
Überall am staubigen Stadtrand hausen Flüchtlinge. Vor Islamisten sind sie weggelaufen oder vor Warlords, vor Soldaten oder Strauchdieben oder einfach nur vor dem elenden Alltag. Sie kommen vornehmlich aus Somalia und Äthiopien, warten hundert- und tausendfach hinter Planen oder Plastiktüten. Wochen, Monate.
Gelegentlich braust das schlechte Weltgewissen heran. Allradgetriebene Fachleute für Flüchtlingsfragen wollen wissen, was um alles in der Welt die Menschen aufs Meer und ins Ungewisse treibt. Sie bieten zwölf Euro auf die Hand für alle, die sich zurück nach Hause bringen lassen.
„Kennen Sie eigentlich Äthiopien?“ erwidert ein Mann in der zusammenstehenden Gruppe. „Haben Sie da schon mal gelebt? Was glauben Sie eigentlich, wie weit man da mit 12 Euro kommt?“
Und sein Nachbar pflichtet ihm bei. „Wir alle lieben unsere Heimat und unsere Familien, aber wir sehen keinen Ausweg. Wir wissen auch, dass viele vor uns ertrunken sind. Aber wir wollen trotzdem rüber.“
Mörderische Fluchthelfer
Der Mann vom Flüchtlingshilfswerk ist ratlos, er kennt die mörderische Statistik.
„Die Boote sind immer völlig überladen, und unterwegs werfen die Schleuser schon mal 10, 20 oder 30 Passagiere ins Meer. Wenn wir die Berichte von Überlebenden auswerten, dann hat es hier binnen eines Jahres 1.700 Tote gegeben.“
Immerhin: einige geben auf. In alten russischen Chartermaschinen werden sie später in ihre Herkunftsregionen zurückgeflogen.
Ich gehe den anderen Weg – wie die meisten. Nach vielen vergeblichen Kontaktversuchen bin ich an den Ort der Einschiffung gebracht worden, in versteckte Strandhöhlen 50 Kilometer östlich von Bossasso. Noch warten hier nur ein paar Händler, die den Flüchtlingen etwas Wasser und Wegzehrung verkaufen wollen. 400 Dollar habe ich den Schleusern gegeben, nochmal 400 sollen sie kriegen, wenn ich lebendig im Jemen ankomme. Noch bevor die Schar der Flüchtlinge im Schutz der Dunkelheit eintrifft, rauben sie mir auch dieses Geld. Sie bedrohen mich. Ich darf nicht filmen, wie wir in See stechen.
Martyrium auf hoher See
Die Küste bleibt zurück. Wir sind 128 Menschen an Bord. Das Boot ist keine zehn Meter lang. Die Enge ist unbeschreiblich. Mit uns ist ein zweites Boot unterwegs, auf dem sollen auch Kinder sein, höre ich. Sogar unter die Decksplanken, in den Kielraum, haben sie Menschen gepfercht. Ich weiß nicht, wie sie dort unten Luft bekommen. Die meisten sind das erste Mal auf dem Meer, müssen sich ständig übergeben – und eine Tüte ist selten zur Hand...
Ich darf die Besatzung nicht filmen. Acht Mann sind es, die die Passagiere ständig drangsalieren. Ihr Schreckensregiment soll wohl Meutereien im Keim ersticken. Einmal traut sich einer, kurz mit mir zu reden.
„Es ist schrecklich eng hier, man kriegt keine Luft“, flüstert er. Warum er sich die Schläge gefallen lasse, will ich wissen. „Das sage ich dir, wenn wir angekommen sind. Wenn die mich reden hören, werden sie mich töten.“
Der erste Tag vergeht, die Nacht, ich höre Schreie und ahne Fürchterliches – aber ich darf auch später nicht filmen, was hier wirklich vor sich geht. Die Schleuser riskieren 15 Jahre Gefängnis, wenn sie in jemenitischen Gewässern geschnappt werden, und ich bin ein potentieller Zeuge.
Die Situation an Bord wird immer unerträglicher. Ein Kerl im blauen Hemd ist eine Art Kapo. Die Besatzung hat ihn beauftragt, seine Mitreisenden mit Schlägen an jeder Bewegung zu hindern. Wenn die Kamera aus ist, langt er völlig ungeniert zu. Auch ich darf mich keinen Zentimeter mehr bewegen. Am dritten Tag spiele ich mit dem Gedanken, über Bord zu springen, um dem Martyrium zu entgehen…
Ins Meer geworfen wie menschlicher Müll
In der letzten Nacht werfen sie uns brutal aus dem Boot, kurz vor der Küste. Wie durch ein Wunder schaffen es alle bis an den rettenden Strand.
„Es war so elend an Bord, dass mir die Worte fehlen“, sagt ein völlig erschöpfter Mann. „Die Schleuser waren der reinste Abschaum. Sie konnten aus einer Laune heraus töten. Wenn du dich nur bewegt hast, hagelte es Hiebe. Auf den Kopf, ins Gesicht, überall hin. Wenn du den Mund nur aufgemacht hast, haben sie zugeschlagen – und wenn sie gemerkt haben, dass du Äthiopier bist, doppelt so fest.“
In Gruppen drängen sich verstörte Menschen aneinander. Würden sie das noch mal auf sich nehmen? „Wenn du kein Zuhause hast, keine Arbeit und nichts zum Leben: warum soll man dann bleiben wo man ist? Wenn es keine Hoffnung gibt weil dein Land in Korruption versinkt, dann musst du doch weggehen.“
Die gestrandeten Somalis dürfen im Jemen bleiben, als politische Flüchtlinge. Die Äthiopier müssen weiter. Wenn sie aufgegriffen werden, schickt man sie sofort zurück. In Gruppen schlagen sie sich nach Saudi-Arabien durch, und vielleicht später nach Europa. Nach dem mörderischen Meer liegt jetzt die endlose Wüste vor ihnen.
Bericht: Daniel Grandclément
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