Freitag, 11. Mai 2007

Die Rote Flora und ihre Bande

Proteste in Hamburg
Eigentlich war das Hamburger Schanzenviertel mit der Frage beschäftigt, wie viel Platz Inhaber von Cafes und Gaststätten bei schönem Wetter für Tische und Stühle auf dem Bürgersteig bekommen dürfen und wie viel Platz den Passanten bleibt. Der Streit mit den Bewohnern war derart eskaliert, dass Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) eingriff und einen Kompromiss herbeiführte. Am Mittwoch wollte er mit gelber Farbe eine der Flächen markieren, die künftig den Cafes zugestanden sein sollen. Und natürlich war die Öffentlichkeit dazu eingeladen. Daraus wurde aber nichts, denn statt des Senators und ein paar Kamerateams waren inzwischen dreihundert Polizisten in „der Schanze“ - wie das Viertel in Hamburg genannt wird - aufmarschiert.

Die Polizeiaktion gegen die militanten G-8-Gegner war so geheim gehalten worden, dass selbst die beteiligten Polizisten glaubten, zu einem der typischen Hamburger Einsätze unterwegs zu sein: gegen Frauen- und Drogenhandel. Diesmal aber ging es gegen die linksextremistischen Globalisierungsgegner, neben Hamburg in fünf weiteren Bundesländern. Neunhundert Polizisten waren insgesamt im Einsatz.

„Ganz normale Reaktion auf Straftaten“

Standhaft

Vierzig Wohnungen und Szenetreffs wurden durchsucht, weil die Bundesanwaltschaft einigen militanten Gegnern Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwirft. Diverses Material wurde beschlagnahmt. Gegen Mittag waren die Durchsuchungen beendet. Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) lobte den Einsatz sofort. Er sei kein politisches Signal gewesen, sondern „eine ganz normale Reaktion auf Straftaten“. Tatsächlich hatte es in den vergangenen Monaten Dutzende Anschläge gegeben, so in Hamburg auf das Auto von Bundesfinanzstaatssekretär Thomas Mirow.

In Hamburg stand bei den Durchsuchungen wie schon so oft die „Rote Flora“ im Mittelpunkt, die in der Straße liegt, die Schulterblatt heißt. Die Rote Flora war 1888 als Theater gebaut worden. Hundert Jahre später sollte dort das Musical „Das Phantom der Oper“ aufgeführt werden. Zu diesem Zweck wurde ein Teil des Theaters abgerissen. Es sollte durch einen Neubau ersetzt werden. Weil die Bewohner befürchteten, in dem neuen Umfeld würden auch die Mieten, überhaupt die Lebenshaltungskosten steigen, gab es Protest. Der Plan wurde schließlich aufgegeben, das Gebäude stand leer. In sogenannten Winterfestmachaktionen begann die Besetzung der Roten Flora. Wo abgerissen worden war, entstand ein Park. 1991 wurde dieser Park bei einer großen Polizeiaktion geräumt, weil der als Bauplatz vorgesehen war. Die eigentliche Rote Flora blieb besetzt und ist heute ein Zentrum autonomer Gruppen - und immer wieder auch ein Kampfplatz. 1500 Personen werden zur Szene gerechnet, 470 unter ihnen gelten als gewaltbereit.

„Solidarität mit den Repressionsopfern“

Polizeibeamte nehmen einen Demonstranten im Schanzenviertel in Gewahrsam

Schon während der Razzia am Mittwoch versuchten ein paar Autonome, die Straße zu blockieren. Die Polizei griff durch, einige Demonstranten wurden vorläufig festgenommen. Dass die Gruppen, gegen die sich die Razzia gerichtet hatte, das nicht so ohne weiteres hinnehmen würden, war klar. Am Abend begann der Protest. Etwa fünftausend Personen gingen in Hamburg, Berlin, Göttingen, Kiel und anderen Städten auf die Straße. In Berlin waren es zweitausend. In Hamburg kamen etwa tausend, die eine spontane Demonstration „Solidarität mit den Repressionsopfern“ ankündigten. Die Demonstrationen verliefen alle friedlich. Gegen 22 Uhr lösten sie sich auf.

In Hamburg blieben kleine Gruppen vor der Roten Flora zusammen. Gegen 22 Uhr flogen die ersten Flaschen und Steine. Ein paar kleine Barrikaden entstanden, ein paar Feuer wurden entzündet. Die Polizei stand mit tausend Mann bereit und setzte auch Wasserwerfer ein. Eine Passantin erlitt eine Kopfwunde. Drei Polizisten wurden verletzt. Acht Demonstranten wurden festgenommen. In Berlin gab es vier Festnahmen.

Verletzter Polizist

Von der Roten Flora dürfte noch häufiger die Rede sein, je näher der Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm rückt. Pfingstmontag beginnt in Hamburg das Treffen der europäischen Außenminister mit ihren Kollegen aus Asien im Hamburger Rathaus und in der angrenzenden Handelskammer. Die Gipfelgegner sehen angeblich darin eine Art Generalprobe für ihren Heiligendamm-Protest. Nach dem Gipfel haben sie schon einen in ihren Augen nächsten Höhepunkt im Blick: Im Schanzenpark wird der ehemalige Wasserturm zu einem Hotel ausgebaut. Die Eröffnung wollen die Autonomen zum „unvergesslichen Erlebnis“ machen. Die Polizei wird auch da mit mehreren Hundertschaften anrücken müssen.

Proteste auch in Berlin

Für Donnerstagabend haben die Aktivisten der Roten Flora eine Vollversammlung angekündigt. „Wir sind auf alles vorbereitet“, sagte eine Polizeisprecherin mit Blick auf eventuelle Proteste. In Berlin protestierten nach Polizeiangaben rund dreitausend Menschen am Mittwochabend weitgehend friedlich gegen die Großrazzia im Vorfeld des G-8-Gipfels. Vier Personen wurden festgenommen. Die Berliner Polizei hatte am Donnerstag keine Erkenntnis darüber, ob weiteren Aktionen geplant waren. Auch in anderen Städten hatte es am Mittwoch Proteste gegen die Razzien gegeben, die weitgehend friedlich verliefen.

Zahlreiche Polizeibeamte sicherten zunächst die Demonstration an der "Roten Flora"

Die Razzien lösten eine politische Debatte über das Vorgehen der Behörden aus. Experten zeigten sich zugleich uneins, auf welches Gefahrenpotenzial für den G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm die Vorfälle schließen lassen.

„Präventive Kriminalisierung“?

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sagte, die Razzien hätten die Vermutung bestätigt, dass zum Gipfel nicht nur mit Krawall und Gewalttaten zu rechnen sei. „Jetzt haben sich Hinweise verschärft, dass es auch zu terroristischen Anschlägen kommen kann“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Die Polizei müsse den Hinweisen nachgehen und den Tätern habhaft werden. Die Razzien seien ein ganz normaler Vorgang.“ „Auf die Stimmungen und Gemütslagen einzelner Gruppierungen kann hier keine Rücksicht genommen werden.

Dunkle Gestalten

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz warnte vor Dramatisierungen. „Gewaltbereitschaft ist eine Sache, die sehr ernst zu nehmen ist, aber wir stehen jetzt nicht vor einer Revolution in Deutschland oder ähnlichem“, sagte er im Deutschlandfunk. Der G-8-Gipfel sei immer Zielpunkt extremistischer Aktivitäten gewesen.

Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) verteidigte die Durchsuchungen: Es gelte, gegen gewaltbereiten Extremismus entschieden vorzugehen, egal ob von rechts oder von links, sagte er im TV-Sender N24. Beim G-8-Gipfel seien 15.000 Gäste aus dem In- und Ausland zugegen, sagte der CDU-Politiker. „Und diese Gäste haben einen Anspruch darauf, dass Deutschland alles tut, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.“ Bosbach nannte es „selbstverständlich“, dass daneben auch das Recht auf friedliche Demonstrationen gewährleistet sei. Das Demonstrationsrecht sei aber „kein Recht auf Randale“.

Staatsmacht und Kritiker Auge in Auge

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bezeichnete das Vorgehen gegen die linke Szene als unverhältnismäßig. Weil es gewaltbereite Gruppen gebe, könne nicht eine ganze Bewegung kriminalisiert und in eine terroristische Ecke gestellt werden, sagte sie dem Sender.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Petra Pau, sprach von einer „präventiven Kriminalisierung“ von G-8-Kritikern. “Die Polizei agiert als Heckenschütze.“ Ähnlich äußerte sich der Sprecher des linken Szenetreffs “Rote Flora“ in Hamburg, Andreas Blechschmidt. Die“Antifaschistische Linke Berlin“ erklärte: “Eine Spaltung in gute und schlechte Globalisierungskritiker wird es nicht geben, die Vorbereitungen laufen nach wie vor auf Hochtouren.“ Eine Kriminalisierung werde eine “effektive Massenblockade des Gipfels“ nicht verhindern.

Text: FAZ.NET

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen