In den Nächten davor und danach brannten in Berlin abermals Autos. Fünfundvierzig Fahrzeuge wurden in diesem Jahr bereits angezündet. Prominentestes Opfer der bundesweiten Anschlagserie war Anfang der Woche in Hamburg der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Bei einem Brandanschlag auf zwei Polizeiautos am vergangenen Freitag in Berlin-Spandau filmte eine Videokamera die Täter von der „Militanten Gruppe“ (mg), die sich zu den Brandanschlägen bekannte.
Allerlei Sicherheitsmaßnahmen und Drohgebärden
Zu ihrem Bedauern versäumte die Polizei es aber, die Aufnahmen zu speichern. Auch sonst wurde zu den zahlreichen Anschlägen im Vorfeld des G-8-Treffens der Staats- und Regierungschefs der führenden westlichen Industrienationen und Russlands kaum Ermittlungserfolge erzielt. Der Verfassungsschutz versucht mit mäßigem Resultat, in der militanten linken Szene Erkenntnisse über geplante Straftaten zu sammeln. Vorletzte Woche entschloss sich die Bundesanwaltschaft daher, ihre Informationsbasis zu verbreitern, indem sie mit Hilfe von neunhundert Polizisten insgesamt vierzig Wohnungen, Häuser und Vereinsräume vor allem in Hamburg und Berlin durchsuchen ließ. Ermittelt wurde und wird gegen zwei Gruppen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Grüne, Linke und Globalisierungsgegner bezeichneten diese Durchsuchungen als überzogen und warfen den Sicherheitsbehörden vor, sie wollten den Protest gegen die Globalisierung „kriminalisieren“. Jedenfalls ergreifen Polizei und Nachrichtendienste zum Treffen der Staats- und Regierungschefs allerlei Maßnahmen, die das Land noch nicht gesehen hat. Dazu gehören auch Drohkulissen. Beinahe im Stundentakt warnen Behördenchefs und Innenminister Schäuble (CDU) vor Anschlägen und Gewalttaten und setzten zugleich eine Ausnahmeregelung nach der anderen in Kraft.
So gerät, wie schon zur Fußball-WM, der Schengen-Vertrag zum Wegfall der Einreisekontrollen vorübergehend außer Kraft, Unterbindungsgewahrsam wird angekündigt und Gefangenensammelstellen eingerichtet. Potentielle Gewalttäter erhalten vorbeugende Hausbesuche der Polizei, Meldeauflagen werden verhängt. Aus Gefängnissen in Mecklenburg-Vorpommern werden Häftlinge in andere Bundesländer verlegt, um Platz für G-8-Zuläufe zu schaffen.
Ein zwölf Kilometer langer Stahlzaun
Für großes Interesse sorgte in dieser Woche die Nachricht, dass die Polizei – nach Art des Staatssicherheitsdienstes der DDR – von Verdächtigen Geruchsproben erhoben habe, denen im Verdachtsfall Schnüffelhunde folgen könnten. Dagegen erhob sich Protest, obwohl die Bundesanwaltschaft erklärt hatte, die Proben seien bei der Mai-Razzia von „fünf oder sechs“ Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren genommen worden.
Symbol des aufwendigen Sicherheitskonzepts ist ein zwölf Kilometer langer Stahlzaun, der um den Tagungsort, eine Hotelanlage in Heiligendamm an der Ostsee, gezogen wurde. Dem Zaun darf man sich während des Gipfeltreffens nur bis auf zweihundert Meter nähern. Zum Schutz der Anlage und der dahinter versammelten Politiker und ihrer Berater bieten Bund und Länder insgesamt 16.000 Polizisten auf, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Freiberg, sprach vom „größten Polizeieinsatz aller Zeiten“. Zudem werden mehr als eintausend Bundeswehr-Soldaten eingesetzt, die nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium überwiegend für Versorgungs- und Sanitätsaufgaben eingesetzt werden sollen.
Seeseitig wurde in dieser Woche mit weiteren Schutzmaßnahmen begonnen, die in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos sind. Beim Besuch des amerikanischen Präsidenten Bush hatten bereits Fregatten und Schnellboote von Küstenwache und Marine vor der mecklenburgischen Ostseeküste patrouilliert, zum G-8-Gipfel lassen die Sicherheitsbehörden ein mehr als vier Kilometer langes Netz ausbringen, das gemeinsam mit Kampftauchern den Unterwasserbereich vor Heiligendamm vor Eindringlingen schützen soll. Dabei achten die Sicherheitsbehörden nicht bloß auf Linksextremisten oder NPD-Anhänger und deren Kundgebungen, sondern suchen auch nach Hinweisen auf möglicherweise geplante Anschläge auf das Politiker-Treffen oder andere Ziele in Deutschland, etwa von Islamisten. Mit gutem Grund, denn während des letzten G-8-Treffens in Gleneagels in Schottland waren am 7. Juli 2005 bei vier Anschlägen in Londoner U-Bahnen und Bussen 56 Menschen getötet worden, darunter vier der Terroristen.
Für fünfzig Euro ein „Gipfel-Ticket“
Der gewaltige Schutzaufwand, der an die einhundert Millionen Euro kosten wird, ist gleichwohl geeignet, die Veranstaltung zu diskreditieren, noch bevor ein Wort gesprochen wurde und kann damit bereits den Erfolgen der G8-Gegner zugerechnet werden. Doch die Bestrebungen, etwa der Vereinigung „Block G8“ gehen darüber hinaus. Weil sie voraussichtlich Anreise und Transport der Staats- und Regierungschefs nicht verhindern kann, will man sich, so ein Aufruf im Internet, „darauf konzentrieren, die Zufahrtsstraßen zum abgelegenen Tagungsort (zu) besetzen und blockieren, die der Tross von DiplomatInnen, ÜbersetzerInnen und Versorgungsfahrzeugen passieren muss, um nach Heiligendamm zu gelangen. Wir wollen den G-8-Gipfel real und effektiv unterbrechen und von seiner Infrastruktur abschneiden!“
Die Protestierer und Blockierer bereiten sich – ähnlich wie die Polizei – generalstabsmäßig auf die Ereignisse vor. Der größte Teil der etwa 100.000 Demonstranten, die zwischen 2. und 8. Juni an der Küste erwartet werden, will friedlich demonstrieren gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt oder auch gegen die „Kriegsverbrecher der G8“ (so ein Aufruf). Deshalb haben Gewerkschaften, christliche Organisationen, Linke und Grüne Busse und Züge bestellt, für die man sich Tickets kaufen kann – ganz nach Art deutscher Revolutionen. Das Busticket etwa kostet zehn Euro bei der Linken, bei der Gewerkschaftsjugend kann man für fünfzig Euro ein „Gipfel-Ticket“ im Zeltlager Bützow buchen, bei Attac kostet die Mitreise in einem der Sonderzüge zur Rostocker Großdemonstration 55 Euro. Insgesamt werden in drei Zeltlagern Übernachtungsplätze für etwa 15.000 Demonstranten angeboten. Außerdem wurde in einer ehemaligen Schule in Rostock Evershagen ein so genanntes „ Covergence Center (CC)“ eingerichtet, sozusagen das Hauptquartier des Protests.
Geruchsproben in Gläsern Ähnlich wie Fingerabdrücke oder eine DNA-Spur an einer Zigarette gehören auch Geruchsspuren zum Repertoire der Strafverfolgung. Verfolgt werden solche Spuren von besonders ausgebildeten Hunden. Zum Abgleich einer vorgefundenen Geruchsspur - etwa an einem Kleidungsstück, das an einem Tatort aufgefunden wurde - können Verdächtige veranlasst werden, eine Geruchsprobe abzugeben. Das geschieht etwa, indem von dem Probengeber einige Zeit ein Metallröhrchen umfasst und dann in einem Glas luftdicht verschlossen wird. Die Polizei braucht zur Erhebung einer Geruchsprobe, anders als bei einem DNA-Vergleich, keine richterliche Anordnung. Der Verfassungsschutz hat sich nach Auskunft des Innenministeriums seit einigen Jahren dieser Methode der Spurenerhebung. Die Bundesanwaltschaft sieht in einem positiven Geruchsvergleich lediglich ein Indiz, der Beweiswert wird als geringer eingeschätzt als beispielsweise ein Fingerabdruck oder eine DNA-Spur. Die DDR-Staatssicherheit (Stasi) hatte zur Erfassung und späteren Jagd auf Regimegegner von diesen unbemerkt Geruchsproben erhoben, etwa indem Tücher auf Sitzkissen gelegt wurden, auf denen Dissidenten bei Verhören saßen. Die Tücher wurden dann in Einmachgläsern luftdicht verpackt und gelagert. Spürhunde der Stasi hätten dann später einen Dissidenten anhand der Geruchsprobe suchen und finden sollen. Beispiele für eine erfolgreiche Verwendung dieser Methode sind nicht bekannt. Sie gilt als ein Symbol für den menschenverachtenden, zynischen Charakter des SED-Regimes. |
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