Ein Youtube-Filter beeinträchtigt die iranische Protestbewegung im Netz
YouTube - Irans Protest-Sender. Dort ist zu sehen, wie Menschen demonstrieren, für Freiheit kämpfen und auch sterben. Irans Regierung konnte das nicht verhindern. Nun helfen jedoch womöglich Urheberrecht und YouTube selbst ungewollt bei der Zensur.
Es ist der perfekte Doppelpass, den die iranischen Demonstranten mit den westlichen Medien seit dem 12. Juni, dem Beginn der Proteste in Teheran, spielen. Für ausländische Journalisten gilt ein Berichtsverbot in Iran - unterlaufen wird es per Internet: Die Demonstranten nehmen Videosequenzen mit ihren Handys auf und veröffentlichen sie später auf dem Video-Portal YouTube. Fernsehstationen - auch das ZDF - oder Nachrichtenagenturen nutzen diese Videos, nachdem sie überprüft wurden, als Rohmaterial für ihre Berichte.
Ausgeklügeltes Zusammenspiel
Selbst das Sperren der YouTube-Website in Iran lässt die Bilder nicht verschwinden. Die Demonstranten finden neue Wege. Sie nutzen Filesharing-Programme, und anschließend übernehmen Bekannte und Freunde im Ausland das Hochladen. Oder sie schicken ihre Aufnahmen direkt an ausländische TV-Stationen wie BBC-Persia oder Voice of America, die in persischer Sprache senden. Beide Sender sind per Satellit auch in Iran zu sehen. So sind die Videos der Proteste weltweit zu sehen - trotz der vorübergehenden YouTube-Sperrung in Iran.
Von Woche zu Woche wird das Zusammenspiel zwischen Demonstranten, Bloggern und Journalisten ausgeklügelter. Wir ausländischen Journalisten geben in Blogs und Chats Empfehlungen - etwa Ortschilder, Tageszeitungen und markante Gebäude zu filmen. So können später, wenn die Videos im Web vorliegen, Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen klar festgestellt werden.
"Video urheberrechtlich geschützt"
Diese Teamarbeit per Internet funktionierte wochenlang tadellos. Nun jedoch haben sich die Web-Aktivisten plötzlich panisch zu Wort gemeldet. Der Blogger Dochtartargh, ein sehr aktiver YouTube-Nutzer, schreibt: "Ich liege mit Fernsehsendern im Clinch." Ihm sei mitgeteilt worden, dass die von ihm hochgeladenen Videos urheberrechtlich geschützt seien. Dabei habe er doch das betreffende Video direkt aus Iran erhalten. Nun drohe ihm jedoch gar die Löschung seines YouTube-Kontos.
Wie kann das sein? Viel steht auf dem Spiel - schließlich waren es Internetnutzer wie Dochtartargh, die den Mord an Neda und Sohrab Arabi aus Iran brachten und weltweit publik machten.
Software soll illegale Kopien ausmerzen
Schuld an dem Problem sind Mechanismen zum Urheberrechtsschutz, wie Henning Dorstewitz von Google, dem Mutterkonzern von YouTube, auf Nachfrage erklärt. Wegen häufiger Verletzungen des Urheberrechts hat YouTube die Software "Content ID" entwickelt. Partner von YouTube, etwa Fernsehanstalten, können eine Referenzdatei ihrer Filme oder ihrer Musik hochladen. "Content ID" vergleicht dann alle in den YouTube-Datenbanken gespeicherten Videos mit der Referenzdatei.
Gibt es eine Übereinstimmung, wird der YouTube-Partner informiert, dass ein anderer Nutzer das Material des Partners nutzt. Normalerweise wäre nun davon auszugehen, dass der andere Nutzer etwa eine Fernsehsendung mitgeschnitten und hochgeladen hat - ein klarer Urheberrechtsverstoß. Bei entsprechender Einstellung schickt das Programm "Content ID" deshalb vollautomatisch eine E-Mail an den YouTube-Nutzer, in der dieser aufgefordert wird, das entsprechende Video zu löschen. Folgt der User nicht der Aufforderung nicht, kann sein YouTube-Konto aufgelöst werden.
YouTube: Partner müssen verzichten
Ein berechtigter Anspruch, in normalen Zeiten. Doch im Falle der Irankrise und im Fall von Doghtartargh ein unerwünschter Effekt, könnte doch durch diesen automatisierten Prozess der wahre Urheber zur Löschung seines Videos gezwungen werden oder, wenn er sich weigert, sogar sein YouTube-Konto verlieren. Zudem ist es für die eigentlichen Urheber, also der Protestbewegung, gerade wünschenswert, dass ihre Bilder und Videos vielfach kopiert und verlinkt werden.
YouTube selbst beteuert, aufgrund der Rechtslage nicht eingreifen zu können. Das Unternehmen möchte seine Kunden des "Content ID"-Programms, sprich die TV-Sender, über diese möglichen, nicht gewollten Konsequenzen aufklären. Nur wenn diese YouTube-Partner freiwillig darauf verzichten, Referenzdateien aus ihren Beiträgen zu erstellen, in denen sie iranische YouTube-Videos verwenden, können Dochtartargh und all die anderen Web-Demonstranten weiter Bilder aus Iran an die Öffentlichkeit bringen. Sollten sie das nicht tun, könnte dieser Urheberrechtsmechanismus möglicherweise das bewirken, was Ahmadinejad bisher nie geschafft hat: den Bilderfluss aus Iran zu unterbrechen oder zumindest zu reduzieren.
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