Montag, 17. August 2009

Maneo-Umfrage gezielt manipuliert?

Wie wahr sind die Ergebnisse der Maneo-Umfrage 2007/2008?

Wurden die Fragebögen des Berliner Überfalltelefons zu antischwuler Gewalt mehrfach mit falschen Angaben ausgefüllt, um Stimmung gegen Ausländer zu machen? Dafür sprechen Stimmen aus dem "islamkritischen" Umfeld.

Von Norbert Blech

Homophobe Gewalt in Berlin nimmt zu, Muslime sind Haupttäter - Schlagzeilen wie diese liest man andauernd in den Zeitungen, man hört sie in Szenemedien und sie werden auch häufig im Bekanntenkreis verbreitet, von zumeist Unbetroffenen. Einwände von Kritikern, dass etwa die Zahlen des schwulen Überfalltelefons Maneo wenig Aussagekraft besitzen, konnten sich gegen diese Mischung aus Angst und Vorurteil selten durchsetzen. Doch jetzt sind neue Zweifel aufgetaucht, speziell an der großen, zweiten Maneo-Umfrage, die im letzten Jahr vor allem online ausgeführt wurde und auf ein breites Medienecho stieß.

Von gezielten Manipulationen spricht ein anonymer "Frank", der sich bei der Queer.de-Redaktion gemeldet hat und sich als "Aussteiger" bezeichnet. Aussteiger aus einem Subbereich der schwulen Szene, der sich vom Islam bedroht fühlt und Muslime generell als Feindbild bekämpft. Frank schreibt in einer anonymen eMail, er habe den Fragebogen "bestimmt 10 Mal mit unterschiedlichen Angaben ausgefüllt" und Türken als Täter angegeben. Es sei ihm darum gegangen, das Szenario einer "realen Bedrohung" aufzubauen. Er kenne "mindestens fünf" Bekannte, die ähnliches getan hätten. Auch habe er dem Überfalltelefon telefonisch zwei erfundene Übergriffe gemeldet: "Das war unglaublich leicht, die sind so unglaublich dumm und sind einfach zu instrumentalisieren" - da auf diesem Weg jährlich nur rund 200 Fälle homophober Gewalt gemeldet werden, haben diese Anrufe noch größere Auswirkungen auf die Statistik als bei der Online-Umfrage. Mittlerweile schäme er sich für den "eigenen Rassismus", den er auch in zahlreichen Forenbeiträgen auf den unterschiedlichsten Webseiten, darunter queer.de, verbreitet hätte. Einen Beweis für die Manipulation der Maneo-Studie liefert die anonyme Quelle nicht, Rückfragen sind nicht möglich.

"Islamkritik hoffähig machen"

Dass die Zahlen von Maneo leicht für falsche Zwecke genutzt werden können, ist allerdings nicht nur ihm aufgefallen. Im Forum der Webseite "Grüne Pest", einem Sammelbecken für selbsternannte Islamkritiker und Rechtsradikale, forderte ein User mit dem Nick "G.Wilders" zur Teilnahme und Manipulation der Maneo-Umfrage auf: "keine sorge, eure angaben müßen nicht stimmen und schul7bi braucht ihr auch nichts zu sein - jedoch das richtige ankreuzen: ihr wißt schon, von wen geht gewalt aus... die angaben überalsse ich eurer phantasie". Auch ein Abschlusskommentar solle abgegeben werden, der auf die erfundenen Täter und ihren erfundenen Migrationshintergrund eingeht, so der User in dem belebten Unterforum "Homosexualität und Islam: Verfolgung, Folter und Diskriminierung" (in dem auch dazu aufgerufen wird, sich an den Leser-Diskussionen auf queer.de zu beteiligen).

Die Foren-User sollten teilnehmen, da die Studie "bundesweit veröffentlicht wird und in allen überregionalen zeitungen erwähnt wird und ausgewertet wird". Ihm sei wichtig, "gerade in der schwulen und lesben gemeinde islamkritik hoffähig zu machen", schreibt er weiter. "sowie ich gehört habe, liegt für berlin schon ein erstes zwischenergebnis vor, dass 50% der übergriffe von menschen mit türkischen/arabischen background verübt werden. wird natürlich ein schock für schwule und gutmenschen sein." Nur: als der User seinen Aufruf im Februar 2008 postete, war die Umfrage schon einige Tage beendet; ein interessierter Forenteilnehmer konnte sich nicht mehr beteiligen. Allerdings: "ich habe schon im dez dran teilgenommen", teilt "G.Wilders" im Forum mit, und fügt ein Icon an, das gehässiges Grinsen ausdrückt.

"Anstieg" von 16 auf 40 Prozent

Die Auswertung der zweiten Maneo-Umfrage benennt in einer Kurzauflistung keine Zurückweisung von "Online-Fällen" aufgrund von Zweifeln. 23.170 Umfragen wurden online ausgefüllt, 5.901 seien "unvollständig" gewesen und nicht in die Bewertung eingeflossen, der Rest sei "vollständig abgeschlossen"; dazu kamen 208 ausgefüllte Print-Fragebögen. 17.477 Fragebögen seien ausgewertet worden, was darauf schließen lässt, dass keine Fragebögen aus anderen Gründen nicht in die Statistik eingingen. Später heißt es allerdings widersprüchlich: "Einige wenige Fälle mussten ausgeschlossen werden, weil sie auf einen homophoben, rechtsradikalen oder psychisch verwirrten Hintergrund schließen ließen und unsinnige Angaben enthielten." Rund 7.100 Personen hätten von Vorfällen berichtet.

Zur vermuteten Herkunft der Täter bei diesen Fällen, die neben körperlichen Übergriffen auch Beleidigungen und Diebstahl umfassen, macht die Studie folgende Aussage: "Von denen, die sich in ihrer Einschätzung sicher sind, nehmen 16.9 Prozent einen rechtsradikalen Hintergrund der Täter an. 60.4 Prozent der in Deutschland wohnenden Befragten denken, dass es Deutsche waren, folglich vermuten 39.6 Prozent eine nichtdeutsche Herkunft bzw. einen Migrationshintergrund bei den Tätern." Die Auwertung ergab hier einen großen Unterschied zum Vorjahr: "Die im Bericht zur Vorjahresuntersuchung geäußerte Befürchtung, dass der dort in einer offenen Frage erhaltene Anteil nichtdeutscher Täter mit 16 Prozent der Fälle unterschätzt sein dürfte (vgl. Lippl 2007), kann damit als bestätigt angesehen werden."

Es ist ein deutlicher Unterschied, der durch eine andere Frageweise und vermutlich falsche Angaben zustande gekommen ist, aber schnell als Anstieg missverstanden wird; in einer Studie, die von den Machern selbst als nicht repräsentativ bezeichnet wird. Trotzdem haben diese unsicheren Prozentzahlen, brutale Einzelfälle, beängstigter Szenetratsch, Skandalisierung und Medienberichterstattung dazu geführt, dass der Eindruck entstanden ist, homophobe Gewalt würde zunehmen, und das vor allem in der Hauptstadt (wo es freilich, anders als in dem meisten Städten, ein Überfalltelefon mit einem dauernd Zahlen und Forderungen vorlegenden Hauptamtler gibt).

"Gefühlte Zunahme" von Übergriffen

Und der Eindruck, dass diese Gewalt vor allem von jungen Migranten ausgehe. Dafür gibt es kein belastbares Zahlenmaterial, und selbst die unsicheren Statistiken von Maneo sprechen dagegen. Aber die Berichterstattung ist anders. Ein Beispiel aus der "Süddeutschen" aus diesem Frühling: "Ein pauschales Täterprofil - männlich, jung, Migrationshintergrund - lehnt sie (Kathrin Doumler vom LSVD, Anm. d. Red.) ab. Auch wenn gerade junge Männer mit einem arabisch-patriarchalisch ausgeprägten Wertesystem häufig Probleme mit Homosexualität haben". Maneo-Leiter Bastian Finke sagt in dem Artikel, es gebe eine "gefühlte Zunahme" von Übergriffen.

Wie einige andere in der Berliner Szene hatte er in den letzten Jahren verbal aufgerüstet und etwa von "No-Show-Areas" für Schwule in der Hauptstadt gesprochen. Ein anderes Mal hatte er gewarnt, es solle keine "falsch verstandene Rücksicht auf scheinbar folkloristische Religionselemente" geben. Zu den Ergebnissen der ersten Umfrage hatte Finke in einer Pressemitteilung geschrieben: "Viele haben bisher die Augen vor einer bestimmten Tätergruppe verschlossen. Ohne, dass wir danach gefragt haben, haben uns 16 Prozent von Tätern nichtdeutscher Herkunft berichtet. Hätten wir nach dieser Tätergruppe gefragt, hätten wir noch mehr Nennungen gehabt." Die Geister, die er rief, hat er in der zweiten Umfrage offenbar bekommen.

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