Mittwoch, 5. August 2009

Aufregung um vermeintlich gekipptes Filtergesetz

Von Christian Stöcker

Große Aufregung in Deutschlands Blogosphäre: Eine Zeitung berichtete, das Wirtschaftsministerium wolle das Inkrafttreten des von-der-Leyenschen Filtergesetzes bis nach der Wahl im September verzögern. Damit stehe das Gesetz womöglich vor dem Aus. Alles Unsinn, heißt es nun aus Berlin.

Unter der Überschrift "Guttenberg ärgert von der Leyen" (in der Online-Fassung) legte Heribert Prantl, Politikchef der "Süddeutschen Zeitung" persönlich dar, welches Schicksal seiner Meinung nach dem Internet-Filtergesetz von Familienministerin Ursula von der Leyen blühen könnte: Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums habe bestätigt, man habe das Gesetz zunächst nicht an den Bundespräsidenten weitergeleitet, sondern an die Europäische Kommission. Und zwar "zur Notifizierung" - die Kommission solle die Möglichkeit erhalten, zu dem Gesetz Stellung zu nehmen. Zeit habe sie dafür bis zum 8. Oktober.

Familienministerin von der Leyen (m.), Wirtschaftsminister zu Guttenberg: Filtergesetz durch Vertagen sabotiert?
So lange Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz nicht unterzeichnet, ist es auch nicht in Kraft. Nun, so Prantl, müsse Köhler damit warten, bis die EU-Kommission sich geäußert hat. Sollte das bis zum Termin der Bundestagswahl am 27. September nicht geschehen sein, müsste der Gesetzgebungsprozess womöglich von vorne beginnen, wegen eines Rechtsbegriffes namens "Diskontinuität".

Sollte das so umstrittene Sperrgesetz also womöglich doch noch kippen? In Deutschlands Blogosphäre jedenfalls sorgte der Artikel für einige Aufregung, um nicht zu sagen freudige Erregung. Womöglich könnte das Gesetz gar wegen eines Streits zwischen den beiden Unionsparteien CSU und CDU, zwischen von der Leyen und Guttenberg kippen?

Ganz und gar nicht, teilten Familien- und Wirtschaftsministerium auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE übereinstimmend mit. Es sei auch nicht darum gegangen "das Gesetz zu verzögern, sondern darum, eine Verzögerung zu vermeiden" heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Die EU-Kommission habe den Standpunkt vertreten, die "Notifizierung" sei nötig, in Berlin sei man anderer Meinung, habe das Gesetz aber dennoch weitergeleitet, um ein zeitraubendes Hickhack zu vermeiden.

"Unterliegt nicht der Diskontinuität"

Die in der "Süddeutschen" genannte Frist sei eine "Stillhaltefrist", was bedeutet, dass einfach gar nichts passiert, wenn die EU-Kommission sich bis dahin nicht geäußert hat - Zustimmung durch Schweigen gewissermaßen. Diese Stillhaltefrist endet am 8. Oktober 2009. "Die Bundesregierung wird deshalb das weitere Gesetzgebungsverfahren erst nach Ablauf dieser Frist veranlassen", heißt es aus dem Familienministerium. Umgesetzt würden die Sperrmaßnahmen ohnehin bereits - weil es schon entsprechende Verträge zwischen dem Bundeskriminalamt und den Internet-Providern gibt, die das gleiche vorsehen wie das Gesetz selbst. Die in der "Süddeutschen" aufgestellte These, das Gesetz müsse dann nach der Wahl von Grund auf neu gemacht werden, sei haltlos: "Im Übrigen unterfällt das Gesetzgebungsvorhaben aufgrund der durch die Notifizierung eintretende zeitliche Verzögerung nicht der Diskontinuität."

In juristischen Kommentaren zum Grundgesetz findet man eine ähnliche Einschätzung. So schreibt etwa der ehemaliger Verfassungsrichter Dieter Hömig in seinem Grundgesetz-Kommentar: "Gegenstände, die im Bundestag abschließend behandelt sind, aber noch der Behandlung durch andere Bundesorgane bedürfen, können von diesen nach dem Ende der Wahlperiode des Bundestages weiterberaten werden"; nur wenn sich der Bundestag "noch einmal damit befassen müsste", etwa weil der Bundesrat Einspruch einlegt oder den Vermittlungsausschuss anruft, würde ein Gesetzesvorhaben dem Diskontinuitätsprizip verfallen.

Bundestag und Bundesrat haben das umstrittene Gesetz jedoch bereits abgesegnet. Vor der Verabschiedung hatte es massive Proteste gegen das Vorhaben gegeben, unter anderem eine Online-Petition, die von über 130.000 Menschen unterzeichnet wurde. Das Gesetz soll dafür Sorgen, dass im WWW frei oder gegen Bezahlung zugängliche Kinderpornografie in Deutschland nicht abgerufen werden kann. Dazu soll das Bundeskriminalamt (BKA) Listen mit entsprechenden Seiten führen, die Internet-Provider müssen gewährleisten, dass diese Seiten nicht aufgerufen werden können. Wer sie trotzdem ansteuert, bekommt ein Warnschild zu sehen.

Kritisiert wird das Gesetz in erster Linie aus vier Gründen:

  • Es gilt als wenig zielführend, weil sich die Sperren mit wenig Aufwand auch von Laien umgehen lassen würden
  • Es erschwert nur den Zugang, sorgt aber nicht dafür, dass gegen die Anbieter tatsächlich vorgegangen wird
  • Es hat für die Errichtung einer Infrastruktur gesorgt, die auch zum Sperren anderer Inhalte genutzt werden könnte - und entsprechende Forderungen wurden auch bereits mehrfach erhoben.
  • Der am schwersten wiegende Kritikpunkt dürften aber verfassungsrechtliche Bedenken sein: Die Tatsache, dass mit dem BKA eine Polizeibehörde dafür zuständig ist, über die Verfügbarkeit medialer Inhalte hierzulande zu entscheiden, betrachten die Kritiker des Gesetzes als Verstoß gegen die verfassungsmäßige Gewaltenteilung.

Um dem letzten Punkt zu begegnen, wurde kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes noch eine Expertenkommission eingeführt, die die Sperrlisten des BKA regelmäßig überprüfen soll. Auch diese Regelung geht Kritikern aber nicht weit genug.

Mitarbeit: Björn Hengst, Dietmar Hipp

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