Sonntag, 30. August 2009

»Die Menschen werden wie Tiere behandelt«

Das NoBorder-Camp auf Lesbos wirft der griechischen
Interview: Christian Jakob, Lesbos (Griechenland)
Deeb Zag, 35, lebt als anerkannter Asylbewerber in Budapest und arbeitet dort beim Helsinki-Komittee für Flüchtlingshilfe. Er gehört zu den Organisatoren des diesjährigen antirassistischen NoBorder-Camps auf der griechischen Insel Lesbos, das jetzt zu Ende ging

Sie leben als palästinensischer Flüchtling in Ungarn. Nun kämpfen Sie auf der Insel Lesbos gegen die Internierung afrikanischer Flüchtlinge. Wieso in Griechenland?

Ich war selbst monatelang in einem Internierungslager an der EU-Außengrenze, nachdem ich 2006 versucht hatte, über die Ukraine nach Slowenien zu gelangen. Danach saß ich in Kiew auf der Straße. Genau das passiert auch den Flüchtlingen, die nach Griechenland kommen – nur daß die Bedingungen hier noch viel schlimmer sind.

Inwiefern?

Ich war Mitglied einer Delegation des NoBorder-Camps, die am Freitag das Lager Pagani auf Lesbos besucht hat. 1000 Menschen sind dort eingesperrt, für 300 ist es nur ausgelegt. Bis zu 150 Menschen werden in einem Raum festgehalten; sie teilen sich eine Toilette, eine Dusche, es gibt nicht genügend Betten für alle, es stinkt, es gibt Bakterien, Ungeziefer, Krankheiten.

Warum existiert dieses Lager überhaupt?

Es handelt sich um »Administrativhaft«, angeblich um die Neuankömmlinge zu registrieren. In Wahrheit ist das reine Schikane, die der Abschreckung dient. Oft bleiben die Menschen dort monatelang. Die Polizei räumt nur einmal in der Woche den Müll weg, das Essen wird durch Gitter gereicht. Sie bekommen keine Seife, keine Zahnpasta. Eine Frau verkauft im Gefängnis Seife, Wasser und Zigaretten – aber nur für die, die Geld haben. Die Menschen werden wie Tiere behandelt.

Wie haben Sie mit dem NoBorder-Camp versucht, gegen diese Zustände vorzugehen?

Wir sind hierher gekommen, um für die Rechte der Flüchtlinge zu kämpfen. Dafür war aber nötig, daß sich die die Flüchtlinge selber organisieren.

Hat das funktioniert?

Ja. Schon in der letzten Woche sind 150 von ihnen in Hungerstreik getreten, als wir das erste Mal in Pagani demonstriert haben. Ein Teil von ihnen wurde daraufhin entlassen. Am Samstag haben sie versucht, mit einem zweiten Hungerstreik die Behandlung eines erkrankten Häftlings durchzusetzen. Als der abtransportiert wurde, konnten sie ihre Zellen verlassen und sind in den Innenhof gegangen.

Was haben Sie getan?

Teilnehmer des Camps sind sofort zu dem Lager gefahren. Wir wollten der Polizei signalisieren: Tut den Leuten nichts und erfüllt ihre Forderungen.

Welche Forderungen waren das?

Sie wollten durchsetzen, daß alle Frauen mit Kindern und deren Männer sofort entlassen werden. Die Polizei hat schließlich angekündigt, in den nächsten Tagen 450 Insassen freizulassen, etwa 80 davon sofort. Am Tag davor hatte die UNHCR-Zentrale in Genf die sofortige Schließung von Pagani gefordert.

Warum wurde das Camp gerade auf Lesbos organisiert?

Lesbos ist eine der wichtigsten Durchgangsstationen für Flüchtlinge. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist hier relativ neu, ihre Aktivitäten sind nicht so perfektioniert wie in Osteuropa. Die Menschen kommen hierher, weil sie glauben, daß der Grenzübertritt leichter sei als in Malta oder Spanien.

Hatten Ihre Aktionen Erfolg?

Wir haben geschafft, daß Menschen freigekommen sind …

… die aber wohl ohnehin entlassen worden wären.

Schon. Aber wir haben Druck auf die Behörden ausgeübt. Die wissen jetzt, daß es der Öffentlichkeit nicht egal ist, was sie mit den Menschen machen. Es war auch ein Signal an die Menschen vor Ort: Auf eurer kleinen Insel läuft etwas falsch! Wir hoffen, daß auch sie künftig sagen: Wir wollen nicht mehr, daß Leute systematisch mißhandelt werden, die überhaupt nichts verbrochen haben und einfach nur auf der Suche nach einem besseren Leben hier durchreisen.

Ihr Protest richtet sich gegen die griechische Regierung, die wird aber von der EU unter Druck gesetzt. Sie soll Flüchtlinge von der Einreise abhalten und die durchgekommenen biometrisch erfassen.

Selbstverständlich sind die großen EU-Länder und Frontex mitverantwortlich, weil sie sich weigern, Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Die lokalen Behörden sind aber Mittäter. Wenn Griechenland sagt, wir nehmen zur Registrierung Fingerbabdrücke ab – von mir aus. Dazu sollte aber niemand eingesperrt werden dürfen. Damit das aufhört, bin ich hergekommen.


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